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Plagiate in der Wissenschaft
"Wir reden nicht vom Mittelalter, sondern vom Ende der 90er-Jahre"

Der CDU-Abgeordnete Frank Steffel hat seinen Doktortitel verloren, weil er Zitate nicht kenntlich machte. Seine Erklärung, dass das zu seiner Zeit üblich gewesen sein soll, hält der Jurist Stephan Rixen für wenig überzeugend. Fragen zum redlichen wissenschaftlichen Arbeiten seien "vor 20 Jahren nicht anders beantwortet worden als heute", so Rixen.

Stephan Rixen im Gespräch mit Benedikt Schulz | 05.02.2019
    Der CDU-Abgeordnete Frank Steffel im Bundestag.
    Die FU Berlin hat dem CDU-Abgeordneten Frank Steffel seinen Doktortitel entzogen (picture alliance / dpa / Gregor Fischer)
    Benedikt Schulz: Wieder ein Doktortitel weniger im Deutschen Bundestag: Der CDU-Abgeordnete Frank Steffel bekommt seinen Doktortitel entzogen. Das hat seine Uni gestern bekannt gegeben, die FU Berlin. Ihm wird vorgeworfen, dass er in seiner Ende der 90er-Jahre in den Wirtschaftswissenschaften geschriebenen Dissertation an zahlreichen Stellen wörtliche oder fast wörtliche Übernahmen in erheblichem Umfang nicht als solche gekennzeichnet hat.
    Interessant ist aber vor allem das: Steffel hat unter anderem auf Folgendes verwiesen, nämlich auf Darlegungen seines damaligen wissenschaftlichen Betreuers im Promotionsverfahren, und demzufolge sei diese Zitierweise damals im gesamten Fachbereich üblich gewesen. Stephan Rixen ist Jurist an der Uni Bayreuth und Sprecher des Ombudsgremiums für die Wissenschaft bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft, also das DFG-Gremium, das zu Fragen der wissenschaftlichen Redlichkeit berät. Ich will mit ihm über diesen Fall sprechen. Herr Rixen, hallo!
    Stephan Rixen: Guten Tag, Herr Schulz!
    Schulz: Also "das war damals so üblich" - es ist ja nicht das erste Mal, dass dieses Argument der Verteidigung dienen soll, wenn es um Plagiate geht. Für mich klingt das immer ein bisschen danach: Damals waren die Alarmanlagen halt nicht so gut und deswegen war das Ausrauben von Banken damals irgendwie üblicher. Wie sehen Sie das?
    Rixen: Gut, also ein Banküberfall, über den reden wir nicht, so dramatisch ist es nicht, aber für die Wissenschaft ist es natürlich trotzdem ein wichtiges Ereignis, was wir nun hier besprechen. Diese Erklärung, dass damals die Dinge ganz anders gewesen seien, ist tatsächlich nicht unüblich. Nun reden wir ja allerdings nicht vom Mittelalter, sondern von den Jahren Ende der 90er-Jahre, insofern ist natürlich auf den ersten Blick schon das mal so ein Argument, zu fragen, kann das so überzeugend sein? Und wenn man die Grundfragen, um die es hier geht – gebe ich redlich an, woher ich Texte habe, woher ich Ideen habe, oder gebe ich das nicht an… Ich glaube, diese Grundfrage ist vor gut 20 Jahren nicht anders beantwortet worden als heute, und ich glaube, das sollte man sich immer bewusst machen.
    Schulz: Wenn das jetzt eine beliebte Argumentationslinie ist, Annette Schavan hat es so ähnlich ja auch damals formuliert, vor einigen Jahren: War es denn tatsächlich üblicher?
    Rixen: Also man muss natürlich unterscheiden zwischen dem völlig legitimen Interesse eines Betroffenen, sich auch zu verteidigen – der Titel oder der akademische Grad ist ja noch nicht sozusagen rechtswirksam entzogen, möglicherweise werden ja noch Gerichte darüber entscheiden. Aber die Frage, was üblich und was richtig ist, das sind ja zweierlei. Und insofern kann es sein, das wird die Universität bestimmt in ihrer Entscheidung im Detail begründen, dass möglicherweise bestimmte Zitationspraktiken dort geübt wurden, die aber trotzdem schon den lange Zeit allgemein anerkannten Standards nicht entsprochen haben. insofern ist es wirklich immer wichtig, zu fragen: Was meint jemand, was angeblich richtig gewesen sei, und was war damals schon auch in Berlin, national wie international, denn der allgemein anerkannte Standard?
    "Man kann niemanden rückblickend in Herz oder Kopf schauen"
    Schulz: Frank Steffel hat selbst gesagt, er habe damals keinen Täuschungsvorsatz gehabt, und es ist in der Vergangenheit ja tatsächlich zu Fällen gekommen, wo Prüfverfahren eingestellt wurden, weil man eben keine Täuschungsabsicht erkennen oder nachweisen konnte. Was halten Sie eigentlich von diesem Kriterium der Täuschungsabsicht? Ist das ein angemessenes Kriterium, was sich überhaupt nachweisen lässt?
    Rixen: Also es ist zunächst mal in praktisch jeder Promotionsordnung enthalten und bringt natürlich eine Menge Probleme mit sich. Täuschen, das impliziert natürlich das Signal, dass es darum geht, dass jemand bewusst in die Irre geführt hat. Nun können Sie aber niemandem, schon gar nicht rückblickend, wirklich ins Herz oder in den Kopf schauen. Das heißt, was Juristinnen und Juristen tun, ist, sie arbeiten mit Indizien und sagen etwa, wenn 20, 25 Prozent der Arbeit immer wieder auffällig sind, weil doch nicht korrekt zitiert wurde, oder wenn sich durch eine Arbeit gleichsam wie ein Schnittmuster wiederkehrende Praktiken wiederholen in der Weise, dass nicht korrekt zitiert würde, dann schließt man daraus, dass das nicht zufällig passiert oder dass das einem nicht nur mal so unterläuft. Insofern ist das zwar zunächst einmal auf den ersten Blick nicht einfach, festzustellen, wurde getäuscht oder nicht, aber die Verwaltungsgerichte haben darüber Jahrzehnte jetzt auch in einer bewährten Spruchpraxis Kriterien entwickelt, dass man sozusagen indirekt auf den Willen schließt dessen, um dessen Verhalten es geht.
    Prof. Dr. Stephan Rixen, Universität Bayreuth, Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
    Stephan Rixen ist Jurist an der Uni Bayreuth und Sprecher des Ombudsgremiums für die Wissenschaft bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Stephan Rixen)
    Schulz: Aber jeder macht ja Fehler. Wann ist es denn ein Plagiat und wann ist es schludriges Arbeiten?
    Rixen: Gut, ich meine, das ist natürlich die zentrale Frage, die aber, wie ich den Eindruck habe, manchmal davon ablenkt, dass Schludern, mal im Einzelfall nicht aufpassen und sozusagen dauerhaft nicht korrekt zu arbeiten, dass das zwei verschiedene Dinge sind. In der Wissenschaft spricht man auch vom Honest Error, also den Dingen, die einem jeden passieren können – dass man in irgendeinem Zitat vielleicht den Namen falsch geschrieben hat oder vielleicht eine Seite nicht korrekt genannt hat, so was passiert im Eifer sozusagen des wissenschaftlichen Arbeitens wie sonst irgendwo auch. Aber die Frage ist, wenn das zunimmt, wenn das immer mehr wird: Ist es dann noch überzeugend, zu sagen, ach, das ist mir gerade so passiert? Ich glaube, das ist der entscheidende Punkt und da haben die Gerichte eben dann doch über die Jahrzehnte Kriterien entwickelt, wo sie sagen, na ja, das kann dann nicht mehr nur zufällig sein, wenn wir nicht mehr bloße Einzelfälle haben, sondern wenn sich das auffällig häuft in einer Arbeit.
    "Eine übertriebene Angst ist auch nicht richtig"
    Schulz: Was ist denn eigentlich so schwer daran? Ich meine, richtiges Zitieren lernt man meiner Erfahrung nach im ersten Semester, spätestens im zweiten.
    Rixen: Also ehrlich gesagt kann ich auch nicht ganz nachvollziehen, was so schwer daran ist. Ob man das allerdings immer schon im ersten Semester lernt, da hätte ich meine Zweifel. Es gibt schon viele Universitäten, Hochschulen, die das vom ersten Semester an auch wirklich als Thema auf der Agenda haben. Aber mein Eindruck ist, dass bei vielen Forschungseinrichtungen, Universitäten, Hochschulen da noch etwas mehr geschehen könnte, damit tatsächlich diese Selbstverständlichkeit, die eigentlich gegeben sein müsste, auch tatsächlich da ist. Insofern ist es schon richtig: Eigentlich sollte es kein Problem sein. Aber wir könnten, glaube ich, auch gerade den nachwachsenden Generationen doch noch mal helfen, auch zu Beginn des Studiums, begleitend während des Studiums und nicht erst bei der Doktorarbeit einfach darüber nachzudenken: Ist das ein richtiges Zitat oder müsste ich noch mehr zitieren oder ist es möglicherweise auch schon zu viel? Ich beobachte manchmal auch bei Studierenden eine etwas übertriebene Angst, etwas falsch zu machen. Auch das ist nicht richtig. Aber was wir brauchen, ist eine Selbstverständlichkeit des Themas, die immer mitläuft, die nicht sozusagen zusätzlich hinzukommt, sondern die das ganze Studium da ist, ohne auch die Leute zu verschrecken.
    Schulz: Sagt Stephan Rixen, Verfassungsrechtler an der Uni Bayreuth und Sprecher des Ombudsgremiums für die Wissenschaft bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Herr Rixen, vielen herzlichen Dank!
    Rixen: Ja, gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.