Stefan Römermann: Über die Gefährlichkeit des Pestizids Glyphosat wird seit Jahren erbittert gestritten. Ist es nun krebserregend oder nicht? Ein langes ausführliches Gutachten des Bundesinstituts für Risikobewertung kam zum Schluss, dass das Mittel nicht gefährlich sei. Doch im vergangenen Monat wurden Vorwürfe laut, dass das Institut ganze Kapitel eins zu eins aus einem Antrag des Glyphosat-Herstellers Monsanto abgeschrieben haben soll.
Im Auftrag der österreichischen Umweltorganisation "GLOBAL 2000" hat sich der Plagiatsforscher und Gutachter Stefan Weber die entsprechenden Passagen genau angeschaut und untersucht. Ihn habe ich vor der Sendung gefragt, ob im Text die übernommenen Passagen ausreichend gekennzeichnet wurden.
Stefan Weber: Es gab gar keinen Hinweis. Im Gegenteil! Es gibt sogar ein Kapitel von den drei Kapiteln, die ich mir jetzt genau angeschaut habe: das Kapitel über Genotoxizität, bei dem es um Fragen zur Erbgutschädigung durch Glyphosat geht. Und dieses Kapitel hat einen Autor, den Larry Kier. Larry Kier ist ein Toxikologe, der früher bei Monsanto mitgearbeitet hat und nunmehriger Consultant von Monsanto ist.
"Dieser Text findet sich eins zu eins ohne Quellenangabe im Bewertungsbericht"
Römermann: Das Institut hat wirklich komplett von Monsanto abgeschrieben, sagen Sie?
Weber: Absolut! Und den Larry Kier als Originalautor, auf den ja der Ausgangstext, der Antrag der Glyphosat Task Force in Fettschrift hinweist – "das folgende Kapitel stammt von Larry Kier" -, dieses Kapitel wiederum wurde von Larry Kier auch gemeinsam mit einem Co-Autor im Jahr 2013 publiziert in einem wissenschaftlichen Journal, und dieser Text findet sich eins zu eins ohne Quellenangabe Larry Kier im Bewertungsbericht.
Römermann: Jetzt stellt sich die Frage: Gelten denn die Regeln für wissenschaftliche Praxis – die zitieren Sie auch immer wieder -, die Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis auch wirklich in diesem Fall? Das Bundesinstitut für Risikobewertung, das schreibt ja keine Dissertationen.
Weber: Die Frage ist zu bejahen, aus zwei Gründen. Erstens: Das Bundesinstitut für Risikobewertung bekennt sich selbst auf der eigenen Webseite zu diesen Richtlinien zur guten wissenschaftlichen Praxis, also nicht nur zur guten Laborpraxis, sondern auch zur guten wissenschaftlichen Praxis, und schließt damit Plagiat aus und bekennt, eigenes von fremdem geistigen Eigentum unterscheiden zu müssen.
Römermann: Aber Sie sagen, auf der anderen Seite sagt das Bundesinstitut auch, dass es üblich sei, in solchen Bewertungsverfahren Textpassagen nach kritischer Prüfung auch zu übernehmen. Konnten Sie das nachvollziehen?
Weber: Nein, weil ich muss ja auch die kritische Prüfung dann dokumentieren. Und die kritische Prüfung ist ja nicht damit dokumentiert, dass ich etwas mit "copy pasted" übernehme. Genau dann muss ich ja schreiben als Bundesinstitut, nur dann ist es ja seriös und verstößt nicht gegen die gute wissenschaftliche Praxis: "Wir geben im Folgenden ein Kapitel zur Genotoxizität von Larry Kier wieder. Wir haben dieses Kapitel sorgfältig überprüft und kommen zu exakt denselben Ergebnissen."
Römermann: Wenn man so etwas schreiben würde, dann wäre es in Ordnung. Aber so, wie es hier gelaufen ist, ist es nicht in Ordnung?
Weber: Genauso ist es. Aber auch dann, wenn so eine Passage in so einem Bewertungsbericht vorkommen würde und man exakt zu denselben Schlussfolgerungen kommt, würde das entweder heißen, was ja nicht auszuschließen ist, dass die Glyphosat Task Force sehr präzise, sehr genau gearbeitet hat, somit das Bundesinstitut für Risikobewertung hier keinen Fehler fand und keine Abweichung fand. Das ist ja nicht auszuschließen. Nur: Im Sinne der wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit und der guten wissenschaftlichen Praxis muss genau das im Bewertungsbericht drinstehen.
"Es geht hier um eine sehr zentrale Fragestellung"
Römermann: Was bedeutet denn so ein Plagiat nach Ihrer Erfahrung für die Beschäftigung mit dem Inhalt? Kann man denn jemand, der über so viele Stellen, ich sage mal, abschreibt, tatsächlich noch abnehmen, dass er sich auch wirklich damit auseinandergesetzt hat?
Weber: Das ist ja auch das Problem. Das wissen wir damit nicht mehr. Jetzt kann man natürlich sagen, wenn jemand einfach nur einen Text mit "copy pasted" übernimmt und schreibt, ich schließe mich den folgenden 35 Seiten voll inhaltlich an und die Seiten werden in Kursivschrift wiedergegeben, kann es natürlich auch sein, dass er sich nie mit dem Inhalt auseinandergesetzt hat. Deshalb sagt ja auch die Rechtsprechung, dass eigentlich die seitenweise zitierte Übernahme von Texten auch wissenschaftlich problematisch ist.
Römermann: Wir sprechen hier über ungefähr 50 Seiten aus einem Gutachten von ungefähr 4.000 Seiten. Ist das wirklich entscheidend? Stößt das die Erkenntnisse dieses Gutachtens wirklich komplett um?
Weber: Das ist absolut entscheidend. Es sind genau 103 Seiten von 4.322 Seiten, die überprüft wurden. Die Bewertungen der wissenschaftlichen Studien in Bezug auf Erbgutschädigung, Krebserzeugung und Fruchtbarkeit wanderten wiederum als Textsegmente in die anderen Kapitel mit ein. Das habe ich schon rekonstruiert. Es geht hier nicht um irgendwelche Randkapitel; es geht hier um eine sehr zentrale Fragestellung und es geht darum, noch mal zusammenfassend, dass die Bewertungen der Glyphosat Task Force letztlich von Monsanto und anderen Herstellern hier wortwörtlich unzitiert in diesem Bericht wieder auftauchen und damit der Leser nicht mehr weiß, was war jetzt in diesem Kapitel noch die Eigenleistung des Bundesinstituts für Risikobewertung.
Römermann: Der österreichische Plagiatsforscher Stefan Weber über ein umstrittenes Glyphosat-Gutachten des Bundesinstituts für Risikobewertung. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.