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Plakate für die Bundestagswahl

Meurer: 17 Tage noch bis zur Bundestagswahl, die Schlussphase des Wahlkampfs ist eingeläutet. Am Sonntag übertragen ARD und ZDF, der Deutschlandfunk übrigens parallel auch, das zweite TV-Duell zwischen Schröder und Stoiber. Die Wahlkämpfer sind ausgeschwärmt, die Wahlhelfer haben entlang der Straßen und Plätze die Wahlplakate geklebt oder aufgehängt. Denn auch im Zeitalter von Internet und Fernsehen hat das gute alte Plakat offenbar immer noch nicht ausgedient. Am Telefon ist Michael Bernecker von der Fachhochschule für Wirtschaft in Bergisch-Gladbach bei Köln. Er hat in einer Studie die aktuellen Plakate näher untersucht. Guten Morgen, Herr Bernecker.

    Bernecker: Schönen guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Nehmen wir einmal zunächst die beiden großen Parteien und die beiden Spitzenkandidaten Gerhard Schröder und Edmund Stoiber. Welche Beobachtungen auf den aktuellen und neuen Plakaten haben Sie denn gemacht?

    Bernecker: Die SPD hat vor einigen Wochen eine neue Kampagne gestartet, wo der Bundeskanzler als großer Staatsmann präsentiert wird. Dies ist ein völlig neuer kommunikativer Weg: also nicht das klassische Konterfei sondern wir sehen einen großen Staatsmann, der bis spät in die Nacht arbeitet und wir können dort erkennen, dass wir jemanden präsentiert bekommen, also so eine klassische Reportage, die wir dort sehen. Das heißt, der Wähler sieht jemanden, der für ihn arbeitet und dieser Person werden dann noch gleichzeitig Zitate in den Mund gelegt. Also nicht mehr der klassische Bundeskanzler, wie wir ihn bereits kennen, als Mann des Volkes, der eine Flasche Bier trinkt, sondern jemanden, der für das Volk arbeitet, sehr distanziert.

    Meurer: Dagegen Edmund Stoiber, der Kandidat der Union?

    Bernecker: Die Union kommuniziert sehr klassisch, das heißt, Herr Stoiber und gelegentlich im Duo mit Frau Merkel, werden typisch präsentiert, wie Wahlplakate so aufgebaut sind: ein paar weiße Flächen, irgendwo ein Slogan und dann die Spitzenkandidaten, die einen anschauen. Nichts wirklich Neues.

    Meurer: Sie haben ja auch, wenn ich das richtig sehe, Testpersonen die Plakate anschauen lassen oder Sie haben jedenfalls Leute befragt, die die Plakate gesehen haben. Wir kommen diese beiden unterschiedlichen Formen von Politplakaten bei den Testpersonen an?

    Bernecker: Wir versuchen, bei den Interviews mit den einzelnen Probanden deutlich zu unterscheiden zwischen verschiedenen Wirkungen, die ein Plakat haben kann. Zum einen soll ein Plakat aktivieren, das heißt also, wenn ich mit einem Auto oder dem Bus durch die Straßen fahre, soll es auffallen. Und da ist zum Beispiel bei der großen Kampagne der SPD zu beobachten, dass je länger die Plakate stehen um so höher steigt diese Wirkung an, während sie bei der CDU tatsächlich gleichbleibend ist. Das heißt also, dort wird Potential verschenkt.

    Meurer: Also hat die SPD offenbar die besseren Marketing-Leute?

    Bernecker: An der Stelle auf der nationalen Ebene kann man das bejahen.

    Meurer: Damit meinen Sie, dass sozusagen auf der Wahlkreisebene jeder einzelne Abgeordnete fröhlich vor sich hin dilettiert?

    Bernecker: Da kann man leider beobachten, dass diese große Kommunikationslinie nicht mehr durchgehalten wird, das heißt, wir haben dort das klassische Konterfei, 200, 300 Leute werden durch ein Fotostudio geschickt, nette Fotos gemacht und die werden dann an die Wand gehängt. Der Stil, der auf der großen Ebene abläuft, läuft dann auf den kleinsten Ebenen, den einzelnen Wahlbezirken nicht mehr ab. Es gibt einige ganz wenige Ausnahmen, aber in der großen Linie hat man da einfach die Standardplakate, die kaum jemandem auffallen. Und wenn, dann kommt eher die Aussage 'was soll das denn, da ist ja überhaupt keine Botschaft hinter, da ist ja nur ein Foto'.

    Meurer: Also nicht besonders effektiv. Würden Sie vorschlagen, dass eine inhaltliche Botschaft stärker transportiert werden sollte?

    Bernecker: Neben dieser Aktivierung muss ein Plakat innerhalb von zwei, drei Sekunden wirken. In einem normalen Prozess können wir nicht davon ausgehen, dass sich jemand sehr kontinuierlich und langfristig ein Plakat anschaut. Das ist eine unterschwellige Wahrnehmung von zwei, drei Sekunden. Und da muss eine einfache klare Botschaft vermittelt werden. Es kann nicht funktionieren, dass man dort Sätze mit 12, 20, 40 Wörtern verwendet. Das sind einfach klare Botschaften, die vermittelt werden müssen. Es reicht heutzutage nicht mehr aus, einfach nur ein Foto hinzuhängen, ein Parteienlogo in die Ecke zu kleben und dann war es das.

    Meurer: Was ist Ihnen bei den kleinen Parteien aufgefallen, bei Grünen, FDP und PDS?

    Bernecker: Die Grünen kommunizieren keine Personen in dem Sinne, wie es die SPD und die CDU machen. Sie haben eine klare Botschaft, die vermittelt wird: 'Grün wirkt' zum Beispiel. Und dann kriege ich eine Bildstory und eine Schlagzeile, die erläutern, warum Grün wirkt. Vom theoretischen Aufbau sehr schön gemacht, von der Aktivierung etwas problematisch, weil ich hier die zwei, drei Sekunden nicht richtig berücksichtigt habe. Hätte ich dort eine klassische Anzeige, wäre das überhaupt kein Problem. Aber im Straßenverkehr in einem solchen Schilderwald hat der Betrachter oft nicht die Zeit, diese komplexe Botschaft zu dekodieren. Und wenn man sich dann die FDP anschaut, die ja im Vergleich zur letzten Bundestagswahl mit einem deutlich höheren Budget antritt, kann man beobachten, dass diese Botschaft '18' sehr gut ankommt. Die Leute nehmen das wahr, auch wenn sie dann vielleicht sagen 'die wähle ich trotzdem nicht', kann man trotzdem sehen, dass ich eine Wirkung im Plakat habe.

    Meurer: Im Vergleich mit anderen Medien wie Fernsehspots, Radiospots oder auch dem Internet: wo würden Sie die Plakate einordnen?

    Bernecker: Die Plakate sind für die letztendliche Aktivierung unverzichtbar. Das heißt, der Bürger muss einfach sehen: jetzt kommt wieder eine Bundestagswahl und da werde ich jetzt noch mal angesprochen. Da sollten die Parteien vielleicht ein bisschen mehr Augenmerk auch auf die regionalen Plakate legen. Denn es ist nicht damit getan, eine große Kampagne zu machen und dann die einzelnen Wahlkreise zu vernachlässigen. Was wichtig ist, ist dass die Plakate nicht alleine wirken, das heißt, um tatsächlich hinterher diese Aktivierung auszulösen, dass der Wähler das Kreuz an der richtigen Stelle macht, da müssen deutlich mehr Impulse beachtet werden. Also neben Plakaten auch Fernsehwerbung, dann die Auftritte der Politiker, die Pressearbeit... Das ist dann ein Mix der Instrumente. Wir sind leider noch nicht in der Lage,%e zuzuweisen, dass wir wirklich sagen können: Plakate wirken in den und den%bereichen.

    Meurer: Politplakate sind nicht out. Das war der Marketingprofessor Michael Bernecker von der Fachhochschule für Wirtschaft in Bergisch-Gladbach. Herr Bernecker, besten Dank und Wiederhören.

    Bernecker: Vielen Dank.

    Link: Interview als RealAudio