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Plakativ, poppig, privat

Ostpunk, Pferdepflegerin, Schriftstellerin, Künstlerin und Professorin: Cornelia Schleime hat sich in Vielem versucht. Eins ist sie jedoch bei allem geblieben: bedingungslos und unangepasst. Und so wollen ihre Bilder, die zurzeit in der Kunsthalle Tübingen unter dem Titel "Blind Date" ausgestellt werden, in so gar kein Schema passen.

Von Christian Gampert | 06.06.2008
    Wer sich auf ein "Blind Date" mit Cornelia Schleime einlässt, sollte sich warm anziehen: Wahrscheinlich kommt ihm ein Häschen im rosa Ballkleid entgegen. So sieht jedenfalls das 2007 entstandene Bild aus, das der Ausstellung den Titel gibt: Blind Date mit einem seltsamen Mensch-Tier-Wesen, einer Mischung aus Mädchen und Bunny und Osterhase - oder sollte sich der Beuys-Hase neu verkleidet haben?

    Natürlich ist die wirkliche, die Künstlerin Cornelia Schleime ganz anders, aber das ironische Spiel mit den Identitäten zieht sich durch die Ausstellung - Bilder von Nonnen und vom Papst, von Jagdhunden und Liebespaaren, was zum Teufel soll das? Ein Blind Date mit der Gegenwartskunst, wieder mal? Die Motive der Bilder sind unendlich banal, von weitem gesehen plakativ wie Werbewände, von einer poppigen Traurigkeit; aber wer näher herangeht, der sieht auf einmal: Diese Gesichter sind wie Landschaften, schrundige Schultern, zerrissene Backen, verätzte Stirnen, expressive Farbüberlagerungen, Materialschlachten, die sich in einem mühevollen, körperlichen Akt des Malens ereignet haben.

    Sehr oft war Cornelia Schleime in Museen noch nicht zu sehen; aber ihre Vorgeschichte als DDR-Punk und große Unangepasste - und ihr - von der Kritik sehr gelobter - Liebes-Stasi-Roman "Weit fort" lassen das Publikumsinteresse jetzt natürlich sprunghaft ansteigen. Dem Tübinger Kunsthallen-Kurator Martin Hellmold dagegen geht es um ihre malerischen Qualitäten - die Basis dafür sieht er in den ungewöhnlichen Materialien, die Schleime verwendet: Acryl, Schellack, Asphaltlack.

    "Die Materialmischung ist optimal, weil sie disharmonisch ist. Das ist ein Materialmix, der sich gegenseitig bekämpft, der eine Aggressivität auf der Leinwand erzeugt, die zum Charakter von Cornelia Schleime und ihrer Art, mit Themen umzugehen, passt. Das heißt: wir haben Leinwände, die gelitten haben, die Brüche zeigen, Oberflächen, die angegriffen sind, Strukturen, die sich gegenseitig zu zersetzen scheinen. Und das ist offenbar genau der Charakter des Lebendigen, wie ihn Cornelia Schleime empfindet und wie sie ihn in Malerei umsetzen will."

    Schleime hat keinerlei Nähe zu den gegenwärtigen, symbolisch aufgeladenen Mode-Tendenzen figurativer Malerei; für sie ist das Authentische, der Zusammenhang von Leben, Arbeiten, Kunst und auch Sexualität entscheidend. Die in der großen Halle präsentierten "Love Affairs" sehen auf den ersten Blick aus wie großformatige fotorealistische Film-Stills; aber trotz aller hollywoodesken Klischeehaftigkeit transportieren sie Erfahrungen, die wir alle einmal gemacht haben: Intimität, Nähe, Zärtlichkeit, Misstrauen, Traurigkeit. Und das zerklüftete Farbmaterial widerspricht der zunächst glatt wirkenden sozialen Oberfläche, die Situationen, die Blicke, die Gesten werden auf einmal ambivalent.

    Aber Schleime malt auch nicht autobiografisch, wie man zunächst meinen könnte, sondern geht immer Umwege. Als ihr Vater starb, malte sie statt seiner den sterbenden Papst - einmal melancholisch, ein trauriges Gebirge von Gesicht, einmal ironisch: der Oberhirte spreizt zwei Finger wie eine Brille vor sein Gesicht und blickt offenbar nicht recht durch. Titel: "ich sehe was, was ihr nicht seht." Sehr katholisch ist das nicht.

    Schleimes Nonnen-Porträts sind das schwarze, entsagungsvolle Pendant zu den fleischlichen Liebesszenen der großen Halle; und die weitaus leichter und flüssiger wirkenden Aquarelle, in einem Extra-Kabinett dargeboten, zeigen surreale Traumgespinste: Mutationen, Metamorphosen. Aus einem Froschleib wächst ein Kopf, dann sieht man eine "Gehörnte", ein böses Mädchen und den Papst, kopulierende Tiere, Käfer, Pflanzen, einen Liebesakt mit dem Titel "erste Hilfe".

    Was bei den Aquarellen direkt aus dem Unbewussten zu kommen scheint, ist in den Ölbildern harte Kompositionsarbeit. Und mit den Tieren ist das so eine Sache: Cornelia Schleime war Pferdepflegerin, jetzt ist sie Kunstprofessorin - und dabei völlig unangepasst. Das soll erst einmal einer nachmachen.