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Plamen Orescharski soll Bulgarien aus der Sackgasse führen

Dreieinhalb Monate nach der bulgarischen Parlamentswahl ist noch nicht klar, ob das ärmste Land in der EU eine neue Regierung bekommt. Der designierte Premierminister Plamen Orescharski will mit den Sozialisten und der türkischen Minderheit eine Regierung bilden. Doch diese Koalition hat keine eigene Mehrheit.

Von Ingo Lierheimer | 29.05.2013
    "Bulgarien, wache auf….", skandierten die Demonstranten in Sofia Mitte Februar. In Massen gingen sie auf die Straße – nicht nur, weil sie empört waren über die explodierenden Energiepreise, nein, sie wendeten sich auch gegen die politische Klasse an sich, die das Land ihrer Ansicht nach in den letzten zwei Jahrzehnten heruntergewirtschaftet hat. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die organisierte Kriminalität stark, die Wirtschaftskraft schwach. Dreieinhalb Monate und eine Parlamentswahl später ist noch nicht klar, ob das ärmste Land in der EU mit der neuen Regierung erwacht oder ob der Albtraum der Demonstranten vom Februar weiter geht. Immerhin setzt der designierte Premierminister Plamen Orescharski nicht auf altgediente Parteimitglieder im Kabinett:

    "Alle Minister, die ich vorschlagen werde, sind Spezialisten im jeweiligen Bereich. Die Zusammenstellung habe ich nach den Prioritäten in unserem Programm vorgenommen. Das sieht man vor allem an den Vizepremierministern. "

    Womit der künftige Regierungschef die neue Justizministerin meint. Sie leitete bislang die Vertretung der EU-Kommission in Sofia und soll nun die Justizreform schneller vorantreiben - so wie es Brüssel anmahnt. Eine Personalie, die als klares Zeichen Richtung EU zu verstehen ist. Auch Orescharski selbst ist parteilos und wechselte als anerkannter Finanzexperte mühelos die politischen Farben. Ehe er jetzt für die Sozialisten antrat, war er unter einem konservativen Premier vier Jahre lang stellvertretender Finanzminister, später unter dessen sozialistischem Nachfolger Ressortchef. Als Banker hat er zuvor viel internationale Erfahrung in führender Position gesammelt. Das könnte ihm nun helfen bei seiner Aufgabe als oberster Krisenmanager Bulgariens. Sein Hauptaugenmerk:

    "Wir werden gleich den Wirtschaftsminister beauftragen, sehr schnell einen Plan für die Reform der Energiewirtschaft vorzubereiten, um die Energiepreise bis zum Jahresende auf dem jetzigen Stand zu halten."

    Die Regierung hat wenig Spielraum
    Das wird allerdings nicht leicht sein. Denn die Energieversorgung ist in privater Hand. Die Regierung hat wenig Spielraum, um auf die Preise einzuwirken. Doch genau das erwarten die Bulgaren, unter denen jeder Zweite akut von Armut bedroht ist.

    "Wir hoffen, dass sich die Lage verbessert und das Versprechen gehalten wird, dass die Schwachen unterstützt werden. "

    "Ich erwarte, dass die neue Regierung das Land stabilisiert, in dem wir leben, die Einkommen erhöht, die Steuern senkt. Es ist nicht normal, dass ein Kilo Tomaten drei Lewa kostet und wir für drei Lewa pro Stunde arbeiten. "

    Drei Lewa sind etwa ein Euro fünfzig. Der designierte Premier Orescharski will die Wirtschaft beleben und er hat soziale Reformen angekündigt: Eltern sollen stärker unterstützt, Mindestlohnempfänger von der Steuer befreit und die Renten erhöht werden. Letzteres aber nur, wenn es der Haushalt erlaubt. Orescharski ist mehr Realist als Populist.

    Als solcher weiß er auch, dass seine politische Zukunft auf sehr dünnem Boden steht. Die Koalition der Sozialisten mit der Partei der türkischen Minderheit hat nur die Hälfte der Stimmen im Parlament. Ihr fehlt eine eigene Mehrheit. Sie ist auf die Mithilfe anderer angewiesen. Die anderen - das sind Borissows konservative GERB-Partei und die ausländerfeindliche rechtsextreme Gruppierung Ataka. Die Protestbewegung, die durch ihre Demonstration im Februar den Regierungswechsel erst ermöglichte, hat es weder ins Parlament geschafft noch hat sie Orecharski in seiner Regierungsmannschaft berücksichtigt. Auch das ist ein Grund, warum die Bulgaren dem neuen Kabinett kein allzu großes Vertrauen entgegen bringen:

    "Ich erwarte von der Regierung, dass sie mit der sozialen Krise zurechtkommt und das Land stabiler macht. Ich hoffe, dass sie stabil ist, aber ich nehme an, dass wir wieder vorgezogene Wahlen haben werden, z.B. nächstes Jahr, nach dem Winter. "

    Mann:
    "Nein, ich glaube nicht, dass sie bis zum Ende der Legislaturperiode aushält. Ich nehme an, sie bleibt höchstens ein Jahr. Es sind die alten Politiker, wir kennen sie alle. Meiner Meinung nach werden sie nichts Besonderes tun."