Plastikverschmutzung
Wie sinnvoll sind Plastic Credits im Kampf gegen Plastikmüll?

Über 100 Millionen Tonnen Müll schwimmen in den Weltmeeren. Tendenz steigend. Der globale Handel mit "Plastic Credits" soll dagegen helfen. Unternehmen kaufen Gutschriften, für die dann Müll eingesammelt wird. Ist das mehr als Greenwashing?

    Das Bild zeigt Plastikmüll am Strand von Indonesien
    Plastikmüll am Strand von Bali, Indonesien (IMAGO / NurPhoto / IMAGO / Muhammad Fauzy)
    400 Millionen Tonnen Plastikmüll produzieren die Menschen jedes Jahr und ein Teil davon gelangt immer wieder in die Natur – verschmutzt Flüsse, Seen und Meere, landet in den Mägen von Vögeln und Fischen und schließlich als Mikroplastik auf unseren Tellern.
    Die Vereinten Nationen verhandeln seit 2022 über ein globales Plastikabkommen, um besonders schädliche Kunststoffe zu verbieten und den Plastikmüll zu reduzieren - bisher ohne Ergebnis. Ein Instrument, das bereits jetzt die Plastikverschmutzung bekämpfen soll, sind sogenannte Plastic Credits. Doch an diesen Zertifikaten für Plastikmüll gibt es auch eine Menge Kritik – manche sprechen von Greenwashing. 

    Inhalt

    Was sind Plastic Credits

    In vielen Entwicklungs- und Schwellenländern wird nur das Plastik gesammelt, das auch einen Wert hat. Viele Plastikabfälle sind aber wertlos und landen so in der Natur, vor allem in Seen und Flüssen, von wo sie dann ins Meer treiben. Hier sollen die Plastic-Credits ansetzen. Dabei sammeln Unternehmen die Abfälle ein und verkaufen dann sogenannte Plastic Credits, lassen sich also für das Einsammeln bezahlen.
    Bei dem Unternehmen Plastic Fischer aus Köln kostet ein Credit einen Euro. Im Gegenzug verspricht die Firma ein Kilogramm Plastik aus Flüssen in Asien einzusammeln - Plastik, das dann nicht mehr ins Meer gespült wird. „Wir machen so was wie Carbon Credits, aber für Plastik“, sagt der Gründer und Geschäftsführer Karsten Hirsch.
    Laut Hirsch könne nur ein kleiner Teil des gefischten Mülls recycelt werden. Der größte Teil werde in Zementwerken zur Energiegewinnung verbrannt. Plastic Fischer ist nur eines von vielen Unternehmen, die Plastic Credits anbieten. Viele private Firmen versuchen mittlerweile eine sanfte Art der Herstellerverantwortung zu etablieren. Im Internet gibt es Plattformen, auf denen Unternehmen mit wenigen Klicks Müll-Sammel-Projekte auswählen und mit Credits unterstützen können.
    Dabei gibt es unterschiedliche Ansätze, sagt Henning Wilts, Leiter der Abteilung Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. „Es gibt Unternehmen, die aus der Umwelt heraus sammeln. Es gibt andere Unternehmen, die sich eher dann auf haushaltsnahe Sammlungen von Plastikabfällen konzentrieren. Aber die Idee ist am Ende immer zu dokumentieren, wir haben Menge X an Plastik irgendwo aus der Umwelt rausgeholt, was auch immer wir dann genau damit machen. Aber das dokumentieren wir und verkaufen das sozusagen als Dienstleistung an private Unternehmen.“

    Gibt es Standards für Plastic Credits? 

    Der Markt für Plastic Credits ist stark fragmentiert. Weltweit werben mehrere Organisationen damit, das System standardisieren zu wollen – doch aus Sicht der meisten Experten ist das bislang nicht gelungen. Niemand prüfe, wie viel Müll Credit-Anbieter tatsächlich einsammelten, was mit dem Müll nach der Sammlung passiere und ob die Sammlung tatsächlich zusätzlich erfolge, warnt Arita Bhagat, die bei der gemeinnützigen Organisation GAIA in Indien arbeitet.
    Auch das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung arbeite an der Erstellung von Mindeststandards, sagt Kreislaufforscher Wilts. Die Empfehlung der Weltbank, die Credits Ende 2024 als Ergänzung im Kampf gegen Plastikmüll einzusetzen, hat dem Markt weiteren Auftrieb gegeben. Deshalb ist auch Karsten Hirsch von Fischer Plastic für verbindliche Regelungen. „Das ist eine internationale Bewegung, die hier stattfindet, die in alle Richtungen geht, und es muss reguliert werden.“ Und auch er betont: Plastic Credits dürften auf keinen Fall vorgeschoben werden, um eine verbindliche Herstellerverantwortung zu verhindern. 

    Welche Kritik gibt es an Plastik Credits?

    Verpackungshersteller stehen wegen ihres hohen Plastikverbrauchs in der Kritik, Plastic Credits sehen viele als einfachen Weg, um diese Kritik abzuschütteln. Gegner der Plastic Credits warnen vor Greenwashing, etwa Arita Bhagat von GAIA. Sie sagt, dass manche Firmen so tun, als könnten sie ihren Plastikverbrauch durch den Kauf von Credits kompensieren. So wie bei CO2-Emissionen mit sogenannten Carbon Credits, die ebenfalls stark in die Kritik geraten sind.
    Das Bild zeigt zwei Kinder, die von einer Brücke aus auf einen Fluss voller Plastikmüll schauen
    Müll in einem Fluss in Westjava, Indonesien - circa 400 Millionen Tonnen Plastik produzieren die Menschen jedes Jahr (picture alliance / NurPhoto / Dasril Roszandi)
    Aus wissenschaftlicher Sicht seien die Plastic Credits aber "Unfug", betont die deutsche Wissenschaftlerin Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut. Es sei unmöglich, pauschal ein Kilo Plastik in der Produktion gegen ein Kilo eingesammeltem Plastikmüll aufzurechnen.
    Dafür gebe es viel zu viele unterschiedliche Arten von Kunststoffen und darin gebundenen Chemikalien, die alle unterschiedliche Schäden bewirkten: Man befände sich schon jetzt bei der Plastikproduktion außerhalb der "planetaren Belastungsgrenze". "Wir müssen drosseln und wir können das nicht haben, dass Plastikhersteller einfach irgendwo was einzahlen, um sich frei zu kaufen und weiter im großen Maßstab ihre Produktion steigern."
    Ein Problem aus Sicht von Kritikern ist auch, dass diese Symptombekämpfung nur eine minimale Verbesserung darstellt. Der indonesische Biologe Prigi Arisandi betont: Plastik zu verbrennen, löse das Problem nicht. Bei der Verbrennung entstehe CO2, was den Klimawandel verstärke. Außerdem seien die ökologischen Standards für die Müllverbrennung in Asien oft lax und würden schlecht kontrolliert. 

    Stehen die Plastic Credits im Widerspruch zu den Plänen der UN?

    Viele Experten sehen in den Plastik-Credits auch eine Gefahr für verbindliche Regelungen innerhalb der Vereinten Nationen. Sie fürchten, dass es noch schwieriger wird, sich im Rahmen der UN auf verbindliche Regeln zu einigen, wenn Unternehmen die freiwilligen Credits als Lösung „vorschieben“ können.
    Seit 2022 verhandeln die Vereinten Nationen über Verbote von besonders schädlichen Kunststoffen, über Vorgaben für die Recyclingfähigkeit und über eine sogenannte Erweiterte Herstellerverantwortung. Unternehmen, die Kunststoffe in den Verkehr bringen, sollen verpflichtet werden, die Entsorgung mitzubezahlen. So wie bei den dualen Systemen in Deutschland, besser bekannt als Grüner Punkt.
    Im August gehen die Verhandlungen weiter –  und es ist nicht sicher, ob es tatsächlich ein Abkommen geben wird, denn die Ansätze gehen weit auseinander. Deshalb sieht Kreislaufexperte Henning Wilts vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie in den Plastic Credits, bis die UN verbindliche Herstellerverantwortung etablieren, eine Art Übergangslösung. 
    Möglicherweise könnte man die Plastik-Gutschriften dann auch später in die erweiterte Herstellerverantwortung integrieren, indem man es Unternehmen freistellt, ob sie eine verpflichtende Abgabe in ein duales System einzahlen oder in adäquater Menge Plastic Credits kaufen, so Wilts. Dafür bräuchte es allerdings sehr klare Standards für die Credits, die es aktuell nicht gibt.

    nm