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Plastik aus Schlachtabfällen

Bisher werden die meisten Kunststoffe aus Erdöl gewonnen - ein schwindender, fossiler Rohstoff. Eine mögliche Alternative bieten Abfälle aus dem Schlachthaus. Die Produktion von Biokunststoff haben sich Wissenschaftler des Projekts ANIMPOL auf die Fahne geschrieben.

Von Jennifer Wengler | 07.08.2012
    Aus dem Schlachthaus könnten bald nicht nur Schnitzel und Steaks kommen, sondern auch die Verpackungen dazu - hergestellt aus Schlachtabfällen. Was seltsam klingt, ist in kleinem Maßstab bereits möglich: Aus Schlachtabfällen werden Fette isoliert und weiterverarbeitet. Dabei entsteht eine Art Biodiesel, der aufgrund seiner Zusammensetzung nicht als Treibstoff geeignet ist. Jedoch dient ein Teil davon als Futter für unterschiedliche Bakterien. Sie produzieren daraus winzige Biopolymere.

    "Man muss sich bewusst sein: Biopolymere werden verstärkt benötigt werden in Zukunft. Wenn man sich die aktuelle Erdölsituation anschaut – wir werden verstärkt Biopolymere brauchen und wir brauchen eine Strategie, wie wir sie hier in Europa herstellen können",

    sagt Dr. Martin Koller von der Technischen Universität Graz. Er und weitere europäische Forscher wollen mit dem Projekt ANIMPOL einen Schritt in Richtung Erdölunabhängigkeit gehen. Bisher werden die meisten Kunststoffe aus dem schwindenden, fossilen Brennstoff gewonnen. Eine mögliche Alternative bieten Abfälle aus dem Schlachthaus. Die europäische Schlachtindustrie produziert jedes Jahr 500.000 Tonnen Fett, das größtenteils verbrannt wird. Daraus ließen sich etwa 200.000 Tonnen Biopolymere herstellen. Ressourcen, die ANIMPOL nutzen will.

    "Das Hauptziel von ANIMPOL ist die Entwicklung eines integrierten Prozesses zur kosteneffizienten und ökologisch vertretbaren Gewinnung von Biopolymeren aus Abfallströmen."

    Ökologisch vertretbar, weil der "Kunststoff aus dem Schlachthaus" nach dem Gebrauch nicht verbrannt werden muss: Er lässt sich kompostieren. Giftige Nebenprodukte entstünden beim Abbau ebenfalls nicht. Doch Biopolymere hätten noch weitere Vorteile, so Koller:

    "Man kann davon ausgehen, dass wir alle Eigenschaften, die wir uns von Plastikmaterialien erwarten, die können wir durch Biopolymere auch erzielen. Es kommt nur darauf an, wie die genaue Herstellungsstrategie aussieht."

    Je nach Herstellungsart könne der Biokunststoff sogar elastisch sein wie Gummi oder Latex. Daher sei er vielfach einsetzbar.

    "Die Palette ist hier sehr breit. Der einfachste Fall sind einfache Verpackungsmaterialien. Aber es können auch sehr hochwertige Nischenprodukte daraus hergestellt werden. Zum Beispiel Implantate für die Kinderchirurgie."

    Die vom Körper in einer festgelegten Zeit abgebaut werden und eine weitere Operation zum Entfernen des Implantats unnötig machen.

    Ein großer Nachteil aller Biokunststoffe war bisher der Produktionspreis. Leicht lassen sich Biopolymere aus teuren Substanzen, wie reinem Traubenzucker, Stärke oder Ölen herstellen. Schlacht- und Molkereiabfall mache die Herstellung jedoch erschwinglicher, so der Koordinator des Projekts. Eine Einkaufstüte aus Biopolymeren solle zukünftig nicht einmal das Doppelte einer herkömmlichen Plastiktüte kosten. Aber nicht nur der recht günstige Preis sei ein Grund, um auf Schlachtabfälle zurückzugreifen:

    "Solange Menschen auf der Welt zahlreich hungern, ist es nicht vertretbar, etwa Stärkehydrolysat als Rohstoff für die Bioplastik - oder auch für die Biotreibstoffgewinnung einzusetzen. Darum muss man hergehen und solche Rohstoffe einsetzen, die reine Abfallprodukte ohne Marktwert und vor allem ohne Beeinflussung der Ernährungssituation darstellen."

    Für die Zukunft planen Koller und Kollegen eine Pilotanlage, um möglichst bald Biopolymere aus tierischen Abfallprodukten in großem Stil produzieren zu können. Marktreif könnten die Biopolymere dann in zwei bis drei Jahren sein und sollen bis zum Jahr 2015 mindestens zwei Prozent des weltweit produzierten Kunststoffs ausmachen – vor allem in Form von Verpackungsmaterialien und Produkten für die Chirurgie.