"Bau auf, bau auf, freie deutsche Jugend, bau auf. - Bau auf, das Motto der Jugendorganisation der SED seit Bestehen der DDR. Mit viel Energie wurde ein gewaltiges Wohnungsbauprogramm in Angriff genommen. Das Wohnungsproblem soll bis zum nächsten Jahr gelöst sein."
Ein Propagandafilm der DDR zum Wohnungsbau stand im Mittelpunkt der 20-Jahr-Konferenz zur friedlichen Revolution, die der damalige Bürgerrechtler und heutige Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee gestern in Berlin veranstaltete. Ein Propagandafilm der damaligen Hauptnachrichtensendung "Aktuelle Kamera", der, so sagen die Experten des Bundesbauministers heute einen der versteckten Gründe der Revolution vorwegnahm:
"Millionen von Wohnungen wurden gebaut, vorwiegend in Großplattenbauweise. Das ist die eine Seite. Doch im Gegensatz dazu zerfallen die Altstädte. Gebieten mit historischer Bausubstanz droht der großflächige Abriss."
Die DDR, so lautete gestern die These, sei auch deswegen zusammengebrochen, weil ihre Bausubstanz zugrunde ging: Die Altstadtkerne von Greifswald bis Halle zerfielen buchstäblich, der Neubau von Plattenhäusern konnte am Ende dem Zerfall der Substanz nicht mehr Schritt halten. Gleichzeitig war die Plattenindustrie nicht imstande, die Altbauten zu retten, selbst wenn die Politik gewollt hätte. Es fehlte am Ende an der geeigneten Technik und dem Sachverstand. Über 40 Jahre sozialistische Abneigung gegen alle Spuren des Feudalismus und der Kaiserzeit hatten das handwerkliche Know-how weitgehend vernichtet. Die Bürger entwickelten darüber eine solche Unzufriedenheit, dass ab Anfang der 80er-Jahre anti-sozialistische Bürgerinitiativen zur Rettung der Altstädte entstanden, welche schließlich im Herbst 1989 das strukturelle Rückgrat der Revolution bildeten, der sich überraschend die Massen anschlossen. So sieht es zumindest Dr. Harald Engler, vom Leibnitz Institut für Regionalentwicklung:
"An manchen Orten war es so, dass die Vernachlässigung von Altbausubstanz der eigentliche Movens war für Leute sich im Sommer 1989 oder im Herbst sich für die politische Bewegung zu interessieren. Diese Zustände bewegten viele Menschen überhaupt erst sich zu aktivieren."
Die anwesenden Bürgerrechtler von Ulrike Poppe über Joachim Gauck bis Freya Klier empfanden diesen Punkt ein wenig anders: Die schlechte Wohnungssituation habe zwar dazu geführt, dass sich intellektuelle, langbärtige Romantiker in den von der sonstigen Bevölkerung verschmähten Altstadtkernen in WGs, improvisierten Kneipen und kirchlichen Schutzräumen zusammenfinden konnten, entscheidend für die Revolution seien aber die persönlichen Repressionserfahrungen gewesen. Freya Klier:
"Im Jahr 1966 ist mein Bruder verhaftet worden, zusammen mit ein paar Freunden, sieben Jungs, die nichts weiter gemacht hatten als Stones- und Beatles-Texte zu tauschen, und das Pech hatten, dass ein ABV - also verantwortlicher Streifenpolizist - um die Ecke kam. Die haben die Texte nicht rausgerückt, der hat die Jungs mit seiner Dienstwaffe in Schach gehalten, das Überfallkommando der Polizei gerufen und dann wurde allen sieben erstmal der jeweils rechte Arm ausgekugelt. Eine ungeheuer schmerzhafte Angelegenheit. Es gab die Gefängnisstrafen: vier bis elf Jahre. Das war für mich eigentlich der I-Punkt auf das 'Ich halt es nicht mehr aus.'"
Wer bis zu welchem Punkt mehr recht hatte, blieb gestern verständlicherweise offen, schon, weil sich die deutsche Geschichtsschreibung auch 20 Jahre nach dem Mauerfall noch nicht endgültig einig ist, was eigentlich genau zur ersten gelungenen deutschen Revolution geführt hat. Klar wurde gestern nur, dass über die Hälfte der Ostdeutschen heute die DDR mehr gut, als schlecht empfinden. Bedauerlicherweise offen blieb von Seiten des Bauministers die Frage, wie es weiter gehen soll in den fünf neuen Ländern. Denn ironischerweise steht Wolfgang Tiefensee, wie alle entsprechenden Bundesminister vor ihm vor derselben Frage, vor der schon Walter Ulbricht 1961 und Hans Modrow 1990 stand: Wie kann, wenn denn keine Mauer unterhalten werden soll, die Abwanderung der jungen gut ausgebildeten Menschen von Ost nach West gestoppt werden, die sich nach wie vor vollzieht? Eine von Tiefensee in Auftrag gegebene Studie des Berlin Instituts für Demografie schlug letzte Woche vor: Die Politik müsse sich mittelfristig daran gewöhnen, ganze Landstriche verwaltungstechnisch aufzugeben. Die Studie ist nach Intervention des Bauministeriums nicht mehr öffentlich zugänglich.
Ein Propagandafilm der DDR zum Wohnungsbau stand im Mittelpunkt der 20-Jahr-Konferenz zur friedlichen Revolution, die der damalige Bürgerrechtler und heutige Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee gestern in Berlin veranstaltete. Ein Propagandafilm der damaligen Hauptnachrichtensendung "Aktuelle Kamera", der, so sagen die Experten des Bundesbauministers heute einen der versteckten Gründe der Revolution vorwegnahm:
"Millionen von Wohnungen wurden gebaut, vorwiegend in Großplattenbauweise. Das ist die eine Seite. Doch im Gegensatz dazu zerfallen die Altstädte. Gebieten mit historischer Bausubstanz droht der großflächige Abriss."
Die DDR, so lautete gestern die These, sei auch deswegen zusammengebrochen, weil ihre Bausubstanz zugrunde ging: Die Altstadtkerne von Greifswald bis Halle zerfielen buchstäblich, der Neubau von Plattenhäusern konnte am Ende dem Zerfall der Substanz nicht mehr Schritt halten. Gleichzeitig war die Plattenindustrie nicht imstande, die Altbauten zu retten, selbst wenn die Politik gewollt hätte. Es fehlte am Ende an der geeigneten Technik und dem Sachverstand. Über 40 Jahre sozialistische Abneigung gegen alle Spuren des Feudalismus und der Kaiserzeit hatten das handwerkliche Know-how weitgehend vernichtet. Die Bürger entwickelten darüber eine solche Unzufriedenheit, dass ab Anfang der 80er-Jahre anti-sozialistische Bürgerinitiativen zur Rettung der Altstädte entstanden, welche schließlich im Herbst 1989 das strukturelle Rückgrat der Revolution bildeten, der sich überraschend die Massen anschlossen. So sieht es zumindest Dr. Harald Engler, vom Leibnitz Institut für Regionalentwicklung:
"An manchen Orten war es so, dass die Vernachlässigung von Altbausubstanz der eigentliche Movens war für Leute sich im Sommer 1989 oder im Herbst sich für die politische Bewegung zu interessieren. Diese Zustände bewegten viele Menschen überhaupt erst sich zu aktivieren."
Die anwesenden Bürgerrechtler von Ulrike Poppe über Joachim Gauck bis Freya Klier empfanden diesen Punkt ein wenig anders: Die schlechte Wohnungssituation habe zwar dazu geführt, dass sich intellektuelle, langbärtige Romantiker in den von der sonstigen Bevölkerung verschmähten Altstadtkernen in WGs, improvisierten Kneipen und kirchlichen Schutzräumen zusammenfinden konnten, entscheidend für die Revolution seien aber die persönlichen Repressionserfahrungen gewesen. Freya Klier:
"Im Jahr 1966 ist mein Bruder verhaftet worden, zusammen mit ein paar Freunden, sieben Jungs, die nichts weiter gemacht hatten als Stones- und Beatles-Texte zu tauschen, und das Pech hatten, dass ein ABV - also verantwortlicher Streifenpolizist - um die Ecke kam. Die haben die Texte nicht rausgerückt, der hat die Jungs mit seiner Dienstwaffe in Schach gehalten, das Überfallkommando der Polizei gerufen und dann wurde allen sieben erstmal der jeweils rechte Arm ausgekugelt. Eine ungeheuer schmerzhafte Angelegenheit. Es gab die Gefängnisstrafen: vier bis elf Jahre. Das war für mich eigentlich der I-Punkt auf das 'Ich halt es nicht mehr aus.'"
Wer bis zu welchem Punkt mehr recht hatte, blieb gestern verständlicherweise offen, schon, weil sich die deutsche Geschichtsschreibung auch 20 Jahre nach dem Mauerfall noch nicht endgültig einig ist, was eigentlich genau zur ersten gelungenen deutschen Revolution geführt hat. Klar wurde gestern nur, dass über die Hälfte der Ostdeutschen heute die DDR mehr gut, als schlecht empfinden. Bedauerlicherweise offen blieb von Seiten des Bauministers die Frage, wie es weiter gehen soll in den fünf neuen Ländern. Denn ironischerweise steht Wolfgang Tiefensee, wie alle entsprechenden Bundesminister vor ihm vor derselben Frage, vor der schon Walter Ulbricht 1961 und Hans Modrow 1990 stand: Wie kann, wenn denn keine Mauer unterhalten werden soll, die Abwanderung der jungen gut ausgebildeten Menschen von Ost nach West gestoppt werden, die sich nach wie vor vollzieht? Eine von Tiefensee in Auftrag gegebene Studie des Berlin Instituts für Demografie schlug letzte Woche vor: Die Politik müsse sich mittelfristig daran gewöhnen, ganze Landstriche verwaltungstechnisch aufzugeben. Die Studie ist nach Intervention des Bauministeriums nicht mehr öffentlich zugänglich.