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Plattenladenwoche 2015
Einkaufen bei Third Man Records

Die gute, alte Schallplatte ist nicht totzukriegen: Rund 120 Plattenläden in 70 deutschen Städten verkaufen unverdrossen Vinylscheiben. In der Plattenladenwoche 2015 präsentiert sich die Branche quicklebendig. Auch in den USA lebt das schwarze Gold, etwa bei Third Man Records in Nashville. Eine Mischung aus Plattenladen, Label und Konzertsaal, begründet von Jack White, dem ehemaligen Frontmann der White Stripes.

Von Marcel Anders | 20.10.2015
    "Wir sind eingequetscht zwischen zwei Obdachlosenheimen, einem Swinger-Club und einer Methadon-Klinik. Was nicht gerade die beste Gegend von Nashville ist, sich für uns aber ganz normal anfühlt - weil wir ursprünglich aus Detroit kommen. Insofern ist das ein bisschen wie Zuhause."
    Ben Blackwell, ehemaliger Schlagzeuger der Dirtbombs, ist vor sechs Jahren nach Nashville gezogen, um Geschäftsführer bei Third Man Records zu werden. Ein Unternehmen, das in einer ehemaligen Autowerkstadt an der von 7th Avenue South in Downtown residiert. Und längst als Wallfahrtsort für Musikfans aus aller Welt gilt. Eine Mischung aus Plattenfirma, Konzertsaal, Musikgeschäft und Kuriositätenkabinett. Mit 26 Mitarbeitern, die ausschließlich schwarze Anzüge oder gelbe Kleider tragen und genauso zum abenteuerlichen Gesamtkonzept passen wie Rock-Devotionalien und technische Gimmicks. Darunter ein Voice-O-Graph von 1947, mit dem man seine eigene Single aufnehmen kann - oder, wie Neil Young, ein komplettes Album.
    "Das Ganze hat die Größe einer Telefonzelle - und im Inneren befindet sich ein Mikrofon. Man hat dann ungefähr 150 Sekunden, in denen man machen kann, was man will. Egal, ob man nun ein Lied singt, einen Brief diktiert oder eine Geschichte für jemanden erzählt. Daraus wird dann eine einmalige Platte, was wirklich aufregend ist."
    Genauso skurril wie die Außenpräsentation ist auch die Produktpalette von Third Man. Der Laden führt ausschließlich eigene Veröffentlichungen, die von T-Shirts über Plattenspieler bis zu Tonträgern im reinen Vinyl-Format reichen. CDs oder fremde Labels sucht man vergebens - dafür gibt es Plastik in unterschiedlichen Farben, Formen und Serien. Rock-Singles haben ein blaues Cover, Spoken-Word-Projekte ein grünes, Livemitschnitte ein blau-schwarzes. Und: Das Repertoire weist nur wenige Newcomer auf, sondern vor allem bekannte Namen, die - so Blackwell - exklusiv für Third Man aufnehmen. Wie Beck, Tom Jones, Alabama Shakes und viele mehr.
    "Wir haben über 300 Titel veröffentlicht - auf zwei Millionen Vinyl-Tonträgern. Weshalb Third Man auch kein Hobby-Label ist. Das war es schon am Tag nach unserer Eröffnung nicht mehr."
    Eine Bilanz, die zeigt, dass selbst in der aktuellen Krise der Musikindustrie noch Platz für gute Ideen ist. Denn Third Man ist ein profitables Geschäft, das etablierten Plattenfirmen und Elektro-Discountern die lange Nase zeigt. Eben, indem man primär für Liebhaber und Sammler produziert. Die beziehen die Klang-Kunstwerke zumeist im Abo, zahlen gerne ein bisschen mehr und tragen ihren Teil dazu bei, dass der Vinyl-Markt weiter wächst. So hat "Lazaretto", das jüngste Album von Jack White, stolze 185.000 LPs verkauft. Ein neuer Rekord - für Ben Blackwell aber erst der Auftakt zu mehr.
    "Die spannende Geschichte ist eigentlich nicht, dass Vinyl zurückkehrt, sondern wohin es sich entwickelt. Sprich: Kann heutzutage wirklich jemand eine Million Exemplare eines Albums auf Vinyl verkaufen? Das würde ich gerne erleben. Wir sind zwar noch weit davon entfernt - aber ich setze mir halt gerne große Ziele."
    Wie ambitioniert dieses Ziel ist, verdeutlichen die nackten Zahlen: Vinyl macht weltweit knapp zwei Prozent aller Musikverkäufe aus. Weshalb sich Third Man Records auch nicht darauf versteifen, sondern viele, kleine Standbeine entwickeln. Dazu zählen ein eigenes Presswerk, ein Buchverlag, regelmäßige Konzert- und Kinoabende und demnächst Veröffentlichungen auf essbarem Vinyl. Womit Label und Laden ihren Spaß am Spiel mit den Formaten unterstreichen. Aber laut Mastermind Jack White auch eine missionarische Absicht verfolgen: das Konsumverhalten der Jugend nachhaltig zu ändern.
    "Wir haben Dinge bei diesem 100 Jahre alten Medium probiert, an die sich noch keiner gewagt hat. Wie eine Triple-Decker-Platte, bei der eine Single innerhalb einer Maxi platziert ist. Und Vinyl, das nach Pfirsich riecht. Ich liebe diese Sachen, weil sie das Kind in mir begeistern. Und wenn ich sehe, wie ein Zwölfjähriger in unseren Laden kommt und sich ein Album kauft, das im Dunkeln leuchtet, dann weiß ich, dass es ihn zu guter Musik führen wird."