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Plattenspieler als Musikinstrumente

Schallplattenkünstler benutzen originale Musikfetzen zweier Schallplatten und setzen sie mit Plattenspielern und Mixern so zusammen, dass daraus ein neues Musikstück entsteht. An diesem Wochenende trafen sich in Köln einige der besten "Turntablisten" der Welt.

Von Axel Rahmlow |
    Auf der Bühne stehen zwei Plattenspieler, mehrere Mischpulte, große und kleine Konsulen, Laptops - alle miteinander verbunden in einem endlosen Wirrwarr aus Kabeln und Adaptern. Dahinter, im orangenen Licht der Scheinwerfer: DJ Q-Bert aus Kalifornien, einer der Pioniere des Turntablism, selbst mehrfacher Weltmeister.

    In Sekundenschnelle wandern die Finger von Q-Bert über die Schallplatten und das Mischpult. Mal beschleunigt er die Platte einen kurzen Moment, zieht sie dann blitzschnell wieder ein paar Millimeter zu sich nach hinten. DJ Q-Bert hat Unzählige dieser sogenannten Scratches erfunden und damit das Turntablism mitbegründet. Plattenspieler sind hier viel mehr als schnöde technische Hilfsmittel:

    "Du benutzt deine Finger um die verschiedenen Töne zu erzeugen. Es ist also ein Musikinstrument, vom Prinzip her nichts anderes als eine Gitarre. Und damit drücke ich mich aus. Ich kann dadurch aus jedem Geräusch ein eigenes Stück Musik machen. Zum Beispiel kann ich ein Wort rhythmisch scratchen und damit einen Beat kreieren. Es ist wie jedes andere Instrument auch. Und für mich ist es wie eine heilende Meditation."

    Musikalisch entsprungen ist Turntablism aus der Hip-Hop-Kultur, hat sich entwickelt, als DJs damit anfingen zwei Songs gekonnt miteinander zu verbinden. Aber Turntablisten wie dem Wuppertaler DJ Unkut geht es nicht in erster Linie darum, das Publikum zum Tanzen zu bringen. Sie wollen manipulieren und durch technische Finesse glänzen:

    "Ich spiele ja nicht nur den Song ab und lass mich dafür feiern. Ich mach ja was damit. Man arrangiert die Beatstruktur neu, man arrangiert die Melodien neu. Das ist etwas sehr Eigenes, da wird etwas Neues kreiert. Es gibt noch den klassischen Gebrauch von Platten, da wird nichts editiert oder ausgetauscht. Und es gibt eine neue Fraktion: Da wird alles selbst produziert, die Drums, die Melodien. Und dann kann man erst recht sagen, dass es Kunst ist, dass alles mein eigener Ausdruck ist."

    Diese neue Vielfalt spiegelt sich auch in den musikalischen Grundelementen wider. Die Basis bleibt Hip-Hop, doch viele Turntablisten bedienen sich längst bei anderen Genres: Drum & Bass, Dubstep, selbst Housemusik. Diese Öffnung resultiert auch aus der zunehmenden Digitalisierung von Musik: Jeder Sound kann am Computer schnell aufgenommen und verändert werden, Plattenspieler und Vinyl sind nicht mehr zwingend notwendig. Das neue Wort heißt Controllerism. Turntablists wie DJ Tabu arbeiten mittlerweile mit digitalen Konsolen, die technisch viel mehr können als ein normaler Mixer und die in etwa wie ein überdimensionaler Joystick funktionieren:

    "Das ist ein Legobaukasten und du musst die Farben sortieren. Heute ist das Digitalisierende auf Touchscreenbasis. Nicht drehende Plattenteller, aber mit einer digitalen Ansicht. Damit scratcht man, mixt man, cuttet man wie auf einem richtigen Plattenspieler, aber es ist nicht gleichzustellen mit dem Vinyl. Ich habe auch noch Platten zuhause stehen, man kommt aus dieser Zeit und mittlerweile modernisiert man sich, man peppt sich selber auf."

    Das sorgt in der Szene seit einiger Zeit für eine Grundsatzdiskussion: MP3s und DJ-Programme auf Computern haben einen wichtigen liberalisierenden Effekt gehabt. Aber: Was bleibt von der Essenz des Turntablism, wenn die Turntables eigentlich nicht mehr nötig sind? Wirklich beantworten kann dieser Frage noch niemand, auch DJ Unkut nicht:

    "Für mich ist ein Turntablist jemand der Platten benutzt. Ganz klar. (Pause) Ganz klar."

    Allerdings versuchen er, wie auch Turntablist-Pionieer DJ Q-Bert, die alte analoge Welt mit der neuen digitalen in Einklang zu bringen. Beim Auflegen haben auch sie mittlerweile einen Computer oder eine Konsole dabei.

    Irgendwann werden auch die als eigene Musikinstrumente gelten. Wie jetzt schon der klassische Plattenspieler.