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Platz der Grundrechte

Karlsruhe - der Name dieser Stadt ist im öffentlichen Bewusstsein identisch mit den Bundesgerichten, die dort nationales Recht sprechen. Erst in zweiter Linie denkt man an das Karlsruher Zentrum für Kunst- und Medientechnologie oder an die Karlsruher Kunstakademie. Dennoch oder gerade deswegen bewirbt sich zur Zeit auch Karlsruhe um den Kulturhauptstadt-Titel. Auf die Frage "Was hat Recht mit Kultur zu tun?", antwortet man dort zur Zeit: "Alles". Denn Recht und Gerechtigkeit seien kulturelle Uranliegen, Kern und Voraussetzung auch jeglichen künstlerischen Schaffens. - Künstlerisch sichtbar machen will dies eine spektakuläre Installation des Künstlers Jochen Gerz, er wird einen "Platz der Grundrechte" in Karlsruhe installieren. Sein Kunstwerk basiert - ähnlich wie auch zum Beispiel die "Bremer Befragung" vor einigen Jahren - auf einer demokratischen Konsultation, und deren erstes Forum beginnt heute in Karlsruhe. Worüber wird da heute von Bürgern im Karlsruher Rathaus debattiert und entschieden?

Jochen Gerz im Gespräch |
    Rainer Berthold Schossig: Auf diesem "Platz der Grundrechte" sollen 48 Schilder an 24 Masten aufgestellt werden. Darauf sollen Aussagen über Recht und Gerechtigkeit zu lesen sein, die Sie recherchiert haben. Wie und wo haben Sie das gemacht; auch bei Gericht?

    Jochen Gerz: Wir werden heute über acht Standorte reden, also über historische Standorte, was auf dem Schlossplatz passiert ist, als die Folter 1767 aufgehoben wurde, die Leibeigenschaft 1783 aufgehoben wurde, oder was auf dem Marktplatz passiert ist, der Regierungssitz der ersten Republik in Deutschland usw. bis in die Gegenwart. Der zweite Zusammenhang wären quasi Plätze, die negativ besetzt sind, also letzte öffentliche Hinrichtungen, der Anschlag und die Ermordung von Buback 1977. Als dritter Punkt kommen dann einfach von den Bürgern selbst eingebrachte persönliche Gründe, warum sie einen Ort ganz persönlich besetzen wollen und realisiert sehen wollen.

    Schlossig: Sie sind ja eher für Ihre unsichtbaren Kunstwerke im öffentlichen Raum bekannt, so wie in Hamburg-Harburg etwa oder in Saarbrücken auf dem dortigen Schlossplatz. Diesmal soll es aber doch auch einen zentralen, wie Sie sagten, sichtbar begehbaren Platz der Grundrechte geben. Ist es nun ein Zugeständnis von Ihnen an das Event Kulturhauptstadt?

    Gerz: Nein, sagen wir es mal so, in der Stadt wird man sicher begreifen – das ist die Hauptsache -, dass eigentlich dieser Prozess ein Prozess der Findung ist. Ich habe mit 24 der hauptsächlichen Präsidenten der großen Gerichte, Verfassungsgericht, Bundesstaatsanwaltschaft und den anderen Oberlandgerichten gesprochen und habe sie gefragt, was für sie das Recht heute ist. Dann bin ich zu 24 Bürgern gegangen, über die Recht gesprochen worden ist und die zum Teil hinter Gittern sitzen, und habe sie gefragt, was für sie das Recht ist. Natürlich kam bei den einen sehr viel über das Recht raus, und bei den anderen kam sehr viel über das Unrecht. Das heißt also, das wird sehr verschieden erlebt, je nachdem, auf welche Seite man sich befindet. Aber das Recht ist nicht so abstrakt und objektiv, wie man sich das vorstellt. Das ist ein Gegenstand der Erregung und der großen Emotionalität, und das sollte eigentlich so ein ganz klein wenig dabei rauskommen.

    Schlossig: Haben die befragten, wie Sie sagten, Richter, aber auch Gefängnisinsassen über die Beziehung zwischen Kunst und Recht nachgedacht bei diesen Gesprächen, die Sie führen konnten?

    Gerz: Also wenn sie es getan haben, dann wäre es schön, aber dann haben sie es mir nicht gesagt. Sie hatten einfach meiner Meinung nach das Herz zu voll, um Dinge durch das Sprachrohr Kunst zu sagen, die sie sonst normalerweise nicht sagen könnten. Vor allem diejenigen, die hinter Gittern sitzen, hatten sehr viel Sprachbedarf, und sie haben sich irgendwie ein bisschen diese Sprache Kunst geliehen, haben sie benutzt und haben das, was sie auf der Seele hatten, gesagt.

    Schlossig: Das ist ja eigentlich der Kern Ihrer Installation, wenn ich das richtig verstehe, dass Sie sagen, ich setze mit ästhetische Mittel Aussagen im öffentlichen Raum, die über das Prinzip Recht beziehungsweise Unrecht Auskunft geben.

    Gerz: Es kommt dabei raus, dass es eine Gesellschaft, in der kein Unrecht geschieht, nicht geben kann, so sehr sich die Richter auch bemühen, eine solche Utopie herbeizuführen, wie Peter Weiber in einem der Gespräche sagt, eine Zivilgesellschaft müsste eigentlich eine Gesellschaft ohne Unrecht sein. Das wird angestrebt, aber bei jedem neuen Gesetz, bei jeder neuen Vorschrift, bei jedem neuen Bewusstsein entstehen auch neue Unrechte.

    Schlossig: Was bleibt zum Schluss übrig im Stadtbild, also der Platz der Grundrechte und die Schilder im Stadtraum zum Lesen?

    Gerz: Also dieser kleine Schilderwald, der also auf dem Platz der Grundrechte sein wird, das heißt, jeweils eine Seite des Straßenschilds ist von einem Rechtsgelehrten, einem Kompetenten, einem Profi besetzt, das heißt, was ist Recht heute, und auf der anderen Seite das von einem direkt Betroffenen, sozusagen einem Sprachlosen, der also sagt, was Unrecht heute ist, sich selbst zum Teil auch bezichtigt als jemand, der schuldig ist und der der Gesellschaft etwas schuldet. Dieser Dialog, der in Wirklichkeit eigentlich nicht stattfindet, hat mich daran interessiert. Wenn man mit so einem sperrigen Thema wie Recht irgendwas erreichen will, dann muss man es wahrscheinlich dadurch erreichen, dass man einfach als Bürger glaubhaft sich ein solches Thema aneignet.