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Platz ohne Lärm

Technik. - Jeder Sechste in Deutschland leidet unter einem gesundheitskritischen Lärmpegel. Doch Lärm ist nicht gleich Lärm. Was als Lärm wahrgenommen wird, hängt nicht nur vom Schallpegel ab, sondern auch davon, wie ein Geräusch beurteilt wird. Jetzt soll es nicht mehr bei der Ursachenforschung bleiben: In einem Pilotprojekt wird ein Platz in Berlin gerade akustisch umgestaltet.

Von Maren Schibilsky | 26.05.2009
    Der Nauener Platz in Berlin-Wedding. Einer von Hunderten lauten Straßenplätzen der Stadt. Zwei Hauptverkehrsstraßen kreuzen sich hier. Auf ihnen fahren täglich Zehntausende von PKWs, LKW´s, Bussen und Motorrädern. Außerdem liegt der Platz in der Einflugschneise des Berliner Flughafens Tegel.

    "Der Nauener Platz ist, wenn er vom Schallaufkommen her betrachtet wird, ein unendlich lauter Platz. Im Grunde liegt das Verkehrsaufkommen in seiner Schallbelastung am Nauener Platz über dem zulässigen Wert von 65 Dba im Mittel. Die Geräusche haben noch einen Beigeschmack, sie sind in der Regel besonders tief frequent."

    Die Akustikwissenschaftlerin Brigitte Schulte-Fortkamp von der Technischen Universität Berlin hat die Lärmbelastung des Nauener Platzes erforscht. Erstmals haben sie und ihr Forscherteam nicht nur die Schallpegel am Platz gemessen, sondern auch das Lärmempfinden der Anwohner in ihre Bewertung mit einbezogen. Eine neue Herangehensweise an die Lärmsituation. Mithilfe von "Soundscapes"- berichtet Brigitte Schulte-Fortkamp.

    "Es geht darum, wie Menschen diese Umgebung wahrnehmen. Das kann ich nicht in Pegel messen, ich kann kein Gerät dran halten, was er gerade fühlt oder nicht fühlt. Man muss ein anderes Messinstrument suchen. Und dieses Messinstrument ist der Mensch selber mit seiner Wahrnehmung."

    Die Betroffenen werden zu Experten. Die Akustikwissenschaftlerin ist mit insgesamt 64 Anwohnern über den Platz gegangen. In großen Gruppen. Mit Männern und Frauen, Jungen und Alten, Menschen verschiedener Kulturen. Brigitte Schulte-Fortkamp nennt das "Soundwork"- Geräuschspaziergang.

    "Man geht mit dem Betroffenen in ihrem Gebiet spazieren und fragt sie nach den Ereignissen, die von Bedeutung sind und wo sie sie hören und bewerten wollen. Und so sucht man sich so genannte ´Hörplätze´, lässt die Leute, die dort wohnen, zuhören und die Geräusche beschreiben, nimmt das mit auf, natürlich auch den Schallpegel, aber auch die verbalen Bewertungen."

    Das Zusammenspiel von Schallmessdaten und subjektiver Lärmbewertung ergibt ein völlig anderes Bild über die Geräuschbelastung eines Ortes. Am Nauener Platz gab es Stellen, wo der Lärmpegel niedrig war. Die Anwohner fühlten sich aber trotzdem unwohl. Die Akustikprofessorin fand heraus, dass dort besonders tieffrequente Geräusche ankamen, die im ganzen Körper Störungen hervorrufen.

    Jetzt wird der Platz umgestaltet. Auf Grundlage dieser neuen "Lärm-Geografie". Ein Pilotprojekt. Auch für die Berliner Freiraumplanerin Barbara Willeke. Eine 1,40 Meter hohe Schallschutzwand soll entstehen. Spiel- und Fußballplatz werden mit angenehm klingende Materialien umgestaltet. Raschelnder Kiesbelag, rauschende Baumarten, die die Verkehrsgeräusche überdecken sollen. Außerdem wird es akustische Inseln geben. Rückzugsräume.

    "Dazu haben wir Elemente entwickelt, die wie Möbel, wie akustische Inseln im Raum die Möglichkeit bieten, dort Klänge, die vorher durch die Begehung, durch die Befragung mit den Menschen erforscht wurden, wie die sein sollen, eingespielt werden können, so dass drei verschiedene Sorten von Klang über Taster zu wählen sein werden."

    Freiraummöbel mit Naturgeräuschen. So hatten es sich die Anwohner gewünscht. Das Know-how zur Schallbewertung soll in ein internationales Programm einfließen, mit dem überall in Städten und Gemeinden, Lärmprobleme schnell und kleinräumig gelöst werden sollen.