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Pleite für Mussbach

Peter Mussbach hat Franz Lehárs "Lustige Witwe" für die Berliner Staatsoper Unter den Linden inszeniert. Die Premiere stieß beim Publikum auf Ablehnung. Am Ende musste der Intendant gar einen "Mussbach raus"-Ruf hinnehmen.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Crash. Ein Flugzeug mit einer Partygesellschaft notlandet irgendwo in der Arktis. Sehr kalt scheint es da aber nicht. Kaum fröstelnd in Anzügen und Kleidchen kommen die Passagiere über die phallusartige Notrutsche herabgeschliddert im ewigen Wind. Eine gläserne Empfangshalle wartet auf sie.

    Hanna, die Chefin, lässt etwas auf sich warten. Im Fallschirm kommt sie herunter getrudelt vom Himmel und schält sich aus ihrem Fliegerdress heraus, tänzelt erst im roten Latexhosenanzug mit Platinblond-Perücke, dann im kleinen oder auch großen Schwarzen über die Flügel. Partyservice on air.

    Aber darf man bei Peter Mussbachs Einrichtung der Lehárschen "Lustigen Witwe" an der Berliner Staatsoper überhaupt fragen nach dramaturgischen Begründungen? Immerhin ist das Libretto Viktor Léons nach einer Komödie des Offenbach-Zulieferers Meilhac eines der besten seines Genres überhaupt.

    Der Tanz auf dem Vulkan und ums goldene Kalb, die Umkehrung der Verhältnisse, dass eine Frau im Geld schwimmt und die Männer nach ihrer Pfeife tanzen - es war vor 100 Jahren sensationell. Mussbach macht daraus ein Stück absurden Theaters über Kapitalismus im heute: Signum dafür der ikonenhaft leuchtende Fächer. Oder er will es machen. Aber es knirscht und knarzt. Und das Publikum heult dagegen an mit steigender Wut.

    Fragen wirft schon die Besetzung der Titelpartie auf. Nadja Michael ist zwar eine gut anzusehende Witwe. Stimmlich kommt sie mit ihrem aufgedonnerten Vibrato aber kaum auf den Teppich, und Text versteht man bei dieser Hanna fast nicht. Für die Partie ihres früheren und neu umworbenen Liebhabers Danilo hat man den einstigen Heldentenor Siegfried Jerusalem reaktiviert. Als Typ ist er absichtsvoll (?) zu alt besetzt. Stimmlich schafft er zumal die zarteren Stellen nicht.

    Es gab zwar in der englischen Version des Stücks auch mal einen Danilo, der gar nicht singen konnte, aber eine Richtschnur ist das nicht. Das zögernde Sich-wieder-Annähern des Paars blendet Mussbach aus. Danilo geht gleich in die Vollen. Aber woher kommt Danilo hier überhaupt? Man fragt es besser nicht. Er schläft eben in der Flugzeugturbine.

    Umso trefflicher ist das Nebenpaar gezeichnet: Valencienne, die vorgeblich "anständige Frau" und ihr Liebhaber Camille. In einem Rettungsboot unter der Persenning turteln sie sich in ihre erträumte Häuslichkeit. Über eine Gangway retten sie sich zu ihrem "letzten" Rendezvous.

    Das "Vilja-Lied", mit dem Hanna ihren Danilo herauszureizen versucht - aber warum eigentlich? Sie flirten ja heftigst miteinander von Beginn - lässt Mussbach sinnigerweise von einem fußlahmen Froschmann-Ballett begleiten. Beim Reiterduett schwingt Hanna sich zurück in ihr Fliegerdress, pickt Danilo wie ein Adler auf.

    Das Grisetten-Kabarett kommt erwartungsgemäß als Transvestiten-Show. Und mit "Lippen schweigen" oben auf der äußersten Spitze des Flugzeug-Flügels von Bühnenbildner Erich Wonder endet das Stück. Schwarz-rot-goldene Pinguine sekundieren drunter stumm dem wieder vereinten Paar.

    Max Renne am Pult geht die Musik flott an. Aber Siegfried Jersualem bringt die Aufführung gelegentlich fast zum Kippen, zumal im Männer-Septett. Dass Mussbach hier die zweite, männer-selbstkritische Strophe streicht, sagt viel über den Geist dieser (nur kritisch gemeinten) Inszenierung.

    Das Publikum sparte nicht mit Zwischenrufen. Das froschkalte "Vilja"-Lied ging fast im Tumult unter.

    Und ob die Rechnung aufgeht, diese kassenträchtige "Witwe" angesetzt zu haben gegenüber einer eigentlich geplanten Neuinszenierung von Aribert Reimanns "Lear"-Oper, bleibt abzuwarten. Man kann Operette verändern, wenn man es kann. Und gerade die "Witwe" war für Lehár ein work in progress. Hier wird es zum doppelten crash. Schade.