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Pleiten, Pannen und viel Tradition

Den Londonern gelang schon 1863 die erfolgreiche Inbetriebnahme der weltweit ersten U-Bahn-Strecke. Heute ist vom alten Glanz allerdings nicht mehr viel übrig. Pannen, Verspätungen und ständige Bauarbeiten stellen die Geduld vieler Pendler auf die Probe.

Von Ruth Rach |
    Eigentlich hat der Arbeitstag für Jessie, 25, heute ungewöhnlich gut begonnen. Sie musste nur eine U-Bahn passieren lassen, weil die Linie gar so überfüllt war. Der nächste Zug, in den sie sich hineinquetschte, blieb nur ganz kurz im Tunnel stehen, und an ihrer Zielstation funktionierten ausnahmsweise alle vier Fahrstühle. Also kam sie fast pünktlich am Arbeitsplatz an. Und dennoch beschwichtigt das ihren Groll gegen die Londoner Ubahn längst nicht.

    "Die Tube hat ständig Verspätung, ist total überfüllt, entweder drückend heiß, oder eiskalt. Oder sie fährt überhaupt nicht. Und sie ist unverschämt teuer. Kein Wunder, dass die U-Bahn Tube Rage verursacht, einen also in Rage versetzt – ich hasse die U-Bahn. Ich würde liebend gerne auf einen Teil meines mageren Gehalts verzichten, nur um dieser täglichen Tortur zu entgehen."
    Neun Millionen Einwohner. Eine Milliarde U-Bahn-Fahrten pro Jahr. Rund zweieinhalb Millionen Fahrten am Tag. Die Londoner U-Bahn ist die älteste und längste Untergrundbahn Europas.

    Und sie ist das sicherste Verkehrsmittel, sagt Jo de Bank, von Travel Watch – die Kommission vertritt die Interessen der Verkehrsteilnehmer in London.
    "Die Tube ist ein erstaunliches System, wenn man bedenkt, dass manche Teile über 150 Jahre alt sind, wie viele Passagiere jeden Tag transportiert werden, wie tief manche Tunnel liegen – viel tiefer als die meisten anderen U-Bahnen."

    Tatsächlich sind in der London Tube sehr wenig Zugunglücke passiert. Bis heute ungeklärt ist ein Zwischenfall im Jahr 1975, als ein Fahrer mit voller Geschwindigkeit auf eine Tunnelwand zufuhr. Bilanz 43 Tote. Zwölf Jahre später löste ein achtloser Raucher eine Brandkatastrophe in der Station Kings Cross aus: Eine hölzerne Rolltreppe fing Feuer, 31 Menschen kamen ums Leben. Nach dem Vorfall wurden überall in der Tube Sprinkleranlagen und Brandmelder installiert.
    Der Sprengstoffanschlag im Juli 2005 forderte 700 Verletzte und über 50 Tote. Danach ging die Zahl der U-Bahn-Passagiere deutlich zurück, aber nur vorübergehend, erzählt Jo de Bank. Die größte Sorge der Fahrgäste gelte nicht etwa ihrer persönlichen Sicherheit: Vielmehr klagten sie am häufigsten über die hohen Fahrpreise, die vielen Pannen und Reparaturarbeiten, und die Überfüllung.
    Ohne die Kurzstreckenfahrer wären die U-Bahnen lange nicht so überfüllt. Viele Passagiere wissen gar nicht, wie nahe manche Stationen beieinanderliegen: Sie orientieren sich an der klassischen U-Bahnkarte mit den bunten Linien, die leider überhaupt nicht akkurat ist, dabei wären sie zu Fuß viel schneller am Ziel. Und was die Reparaturarbeiten angeht: Die sind absolut notwendig. Aber das Zeitfenster ist sehr klein – die Teams können werktags nur zwischen zwei und fünf Uhr früh arbeiten, wenn die U-Bahn still steht . Und an Wochenenden.

    "Schon seit Monaten, nein, Jahren, sind am Samstag und Sonntag bis zu zwei Drittel der Londoner U-Bahnstrecken beeinträchtigt, beziehungsweise lahmgelegt: Bakerloo Line, District Line, Hammersmith and City Line, Jubilee Line, Metropolitan Line, Northern Line – und Circle Line. Eine Misere ohne Ende."
    Signalpannen sind so häufig, dass man sie bei der Fahrzeitberechnung am besten gleich mit einkalkuliert, sagt auch Will Hopper, ein Londoner Investmentbanker mit Tube-Langzeiterfahrung, frisch von einem Abstecher aus Berlin zurück.

    "Die Berliner U-Bahn hat mich schwer beeindruckt. Wenn man anschließend in die Londoner Tube einsteigt, dann ist es, als würde man vom 21. Jahrhundert ins 20. Jahrhundert umsteigen, und dann gar ins 19. Jahrhundert. Und was mich am meisten amüsiert: die Londoner U-Bahn ist wohl die einzige, die folgende Ansage für nötig hält: 'Derzeit gibt es im Zugverkehr keine Störungen.'"
    "I cant get no satisfaction", intoniert ein Straßenmusikant in der Circle Line. Sein Song geht auf einem besonders schepprigen Gleisabschnitt verloren. Aber die Passagiere sind in Spendierlaune. Der Busker ist zufrieden, und wünscht ihnen zum Abschluss ein Happy Weekend.