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Pluralistische Fangemeinde

Linux. – Von einer Szene der Nerds und Geeks, der IT-Freaks und Tüftler, hat sich die Linux-Gemeinde inzwischen weit entfernt. Bestes Beispiel dafür sind die Linux-Tage, deren jüngster gerade in Berlin zu Ende ging. Der Wissenschaftsjournalist Peter Welchering unternahm im Gespräch mit Uli Blumenthal eine Bestandsaufnahme.

    Blumenthal: Herr Welchering, als Hacker-Treffen vor 14 Jahren in Kaiserslautern gestartet, ist aus dem Linux-Tag eine stark businessorientierte Veranstaltung geworden. Nimmt die Linux-Szene immer mehr Abschied vom digitalen Lebensstil "freie Software"?

    Welchering: Ja, das schien eine Zeit lang so, aber wenn man mal genau hinschaut, auf den zweiten Blick ist es eigentlich nicht so. Die Linux-Szene erweitert sich vielmehr um andere Lebensstile. Linux ist inzwischen bei einem ganz normalen Anwender angekommen. Das kann man wohl so sagen, denn Linux hat viel von seinem Ruf verloren kompliziert und schwierig zu sein, auch die Installation unter großen Schwierigkeiten hin zu kriegen. Linux ist eben nicht mehr das Betriebssystem für den Nerd und Geek, also für den Entwickler, der genau weiß, wie jedes Byte rechts und links herum da geradeso durch den Hauptspeicher spaziert, sondern Linux ist aus der Anwenderperspektive tatsächlich jetzt eine Realität geworden. Die Open-Source-Welt hat erkannt, dass sie für den Anwender arbeiten muss, und dass der Anwender leichte, einfache Lösungen haben will. Der Anwender, der will "plug and play" haben. Und das hat natürlich auch bei Apple und Windows dazu geführt, dass er leicht und verständlich eingeführt wird, aber auch da holpert es ja bei der einen oder anderen Anwendung. Das ist bei einigen Open-Source-Sachen auch noch so, aber Open-Source-Anwender legen mehr Wert darauf, dass sie einen leichten Zugang zu diesem System haben. Und die Linux-Welt hat sich durch diesen Anspruch sehr verändert. Sie hat sich diesem Anspruch gestellt und eben leichte, ergonomisch gute Software entwickelt, die einfach besser ist als die konkurrierenden Systeme, weil sie etwas besser durchdacht ist.

    Blumenthal: Zum wiederholten Male gab es einen Behördentag auf dem Linux-Tag. Fahren denn die Verwaltungen jetzt alle auf den Pinguin ab?

    Welcher Ring: Die Verwaltungen waren ganz wichtige Vorreiter für Linux, die Anwendungen im öffentlichen Dienst haben Linux ganz entschieden nach vorne getrieben. Also Krankenhäuser beispielsweise setzen Linux Anwendungen ein. Das hat Linux seriös werden lassen, das hat Vertrauen bewirkt. München etwa ist zur heimlichen Linux-Hauptstadt geworden, in Chemnitz, da laufen kritische Anwendungen in Echtzeit unter Linux. Also ohne diesen Einsatz hätte Linux sicher nicht die Akzeptanz gefunden, die es heute eben auch in der Industrie hat und auch beim ganz normalen Anwender. Und das hat für die Linux-Szene dann eben die Folge gehabt, dass sie ganz verschiedene Gruppen integrieren musste. Also Leute, mit dem eher politischen Ansatz "freie Software freie Menschen", die kommen da zusammen mit Beamten und Behördenmitarbeitern. Oder mit Softwareentwicklern mit einem ganz engen Blick für das Betriebssystem und auf die möglichen Applikationen. Und die wiederum mit Managern, Kaufleuten, die eigentlich nur die Produkte sehen und vermarkten wollten. Das hat sich natürlich auch sehr stark ausgewirkt auf die Linux-Veranstaltung. Nicht ganz zu Unrecht ist sie ein wenig verglichen worden mit dem Kirchentag, bei dem sich verschiedene Gruppen treffen, miteinander sprechen, ins Gespräch kommen, die sonst gar nicht soviel miteinander zu tun haben.