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plus minus acht. DJ Tage, DJ Nächte

Wenn jemand schon mit 38 so etwas wie die eigenen Memoiren schreibt, muss er entweder Ungewöhnliches hinter sich haben - oder eine Größe aus der Pop-Welt mit ihren schnelllebigen Modeströmungen sein. Hans Nieswandt kann man zwar ohne weiteres zu der zweiten Kategorie zählen, aber sein Buch "plus minus acht" hat er mit anderen Motiven geschrieben als nur dem, autobiographischem Narzissmus zu frönen.

Uwe Pralle | 28.08.2002
    Ich habe unheimlich oft Erlebnisse gehabt, wenn ich im Zug sitze oder irgendwo im Flugzeug mit jemand mich unterhalte, und dieser Mensch hört dann, dass ich DJ bin, dann werden immer sofort die Ohren gespitzt: Ach das ist ja unglaublich, ach wirklich, ja, das muss ja so und so sein. Also es gibt da eine gewisse Faszination, die von der Figur des DJ ausgeht, und es gibt eine Unmenge von Klischees, die damit zusammenhängen, und Mythen und so weiter. Deswegen ist es ein Feld, wo es total interessant ist, darüber zu schreiben, gerade wenn man es so gut kennt wie ich. Und ich glaube, ich konnte tatsächlich viele Leute damit überraschen, wie es nun wirklich eigentlich eher sich anfühlt.

    Seit den späten 80er Jahren sind DJs, die Piloten in den Klangwolken durchtanzter Nächte, Galionsfiguren einer Szene, in der gut aufgelegt zu sein viel damit zu tun hat, dass gut aufgelegt wird - und solange gehört auch schon Hans Nieswandt zu dieser Szene, und zwar gleich in mehrfacher Funktion: er ist Musikjournalist, etliche Jahre als Redakteur der Musikzeitschrift "Spex", er ist Musikproduzent und dann eben auch einer der profiliertesten deutschen House-DJs. Unermüdlich tourt er seither immer wieder "From: Disco To: Disco". Doch sein Buch "plus minus acht", dessen Titel auf die pitch-control an seinem wichtigsten Arbeitsgerat, den Plattenspielern, anspielt, heißt im Untertitel: "DJ Tage DJ Nächte" - es sind also nicht allein die magischen Seiten der Nächte, von denen er in seinem Buch berichtet.

    Ich sehe das immer so ein bisschen als das kafkaeske Moment, das jeder DJ eigentlich kennt: der Blick in das gähnende Loch der Sinnlosigkeit oder der Frustration oder der Müdigkeit, wie man sie noch niemals für möglich gehalten hat. Ein irrsinniges Hin und Her zwischen Rausch und Euphorie und Grandiosigkeit, und dann wieder Einsamkeit und fehl am Patz sich zu fühlen, das ist schon sehr reich. Und ich habe immer gerne Bücher gelesen über Leute, die etwas machen, was sie mit sehr viel Passion und sehr viel Tiefe machen, von dem ich aber nichts weiß, und darüber einen wahrhaftigen Bericht zu lesen oder einen Eindruck zu bekommen, und so etwas Ähnliches wollte ich auch versuchen zu leisten.

    Es ist ihm auch ganz gut gelungen, manche von den schnöden und manchmal krassen Erfahrungen unterzubringen, die zum DJ-Alltag gehören: ob das nun groteske Schwierigkeiten sind, mit Plattenkisten über die Schweizer Grenze zu kommen, wenn sich dabei misstrauische eidgenössische Zöllner in den Weg stellen; oder ob es kleine oder größere Pleiten sind, wenn man etwa auf einem völlig überdimensionierten Rave mit etlichen Dancefloors gebucht ist, auf denen sich aber das Publikum verliert, so dass es die Veranstalter angesichts des Flops vorziehen, schnellstens mit der Abendkasse zu verschwinden.

    Obwohl Hans Nieswandt viele solcher Anekdoten und Geschichten auch aus seinem derzeitigen DJ-Alltag erzählt, ist die retrospektive und manchmal sogar nostalgische Schlagseite seines Buches nicht zu übersehen. Kein Wunder, denn inzwischen kommt die "DJ-Culture" allmählich in die Jahre. Das zeigt sich aber gar nicht einmal so sehr daran, dass Nieswandt im ersten der drei Teile seines Buches unter dem Titel "Wie es dazu kam" noch einmal ausgiebig die Aufbruchszeiten der späten 80er Jahre heraufbeschwört, eine Zeit, in der er sich vor allem in der damals höchst lebendigen Hamburger Clubszene bewegte, bevor er nach Köln ging. Viel deutlicher machen das vielmehr seine Blicke auf heutige musikalische Tendenzen:

    Also Housemusik ist keine revolutionäre Musik mehr, das hat sich schon gesetzt, es gibt jetzt eine Retro-Abteilung schon wieder, und Old School, und die 80er sind aufgearbeitet worden, deswegen hat das Auflegen heute nicht mehr nur damit zu tun, ständig nur Fortschritt Fortschritt Fortschritt, sondern teilweise auch Rückbesinnung.

    Diese Veränderungen hängen natürlich auch damit zusammen, dass in den 90er Jahren auf die Euphorien des Aufbruchs - wie bei aller Popmusik - auch bei elektronischer Tanzmusik die Kommerzialisierung folgte. Ihre Effekte ziehen sich wie ein roter Faden durch das Buch, wobei Nieswandt sympathischerweise auch offen von den Balanceakten schreibt, die damit einsetzten. Für einen Matador der ersten Stunde, der sich eher im Underground der Clubszene zuhause fühlt, bleiben Mega-Raves der schnell entstandenen Party-Industrie immer ein wenig fremde Planeten. Nachdem er mit Eric Clark und Justus Köhncke "Whirlpoor Productions" gegründet hatte und sie zur eigenen Überraschung mit der Album-Auskopplung "From: Disco To: Disco" einen Charts-Hit landeten, gerieten sie für einige Zeit sogar in den "leichten Fieberwahn" eines Popstar-Lebens. Trotzdem hat Nieswandt auch in dieser mitunter ziemlich kuriosen Existenz nicht aufgehört, auf seine eigenen Maßstäbe als DJ Wert zu legen.

    Also mich hat es immer mehr gereizt, etwas zu machen, als etwas bleibenzulassen. Und gleichzeitig, wenn man es macht, es zu den eigenen Bedingungen zu machen. Also das heißt für mich zum Beispiel: ganz egal, wo ich hingehe und auflege, ich werde mich persönlich niemals in die Situation bringen, Musik zu spielen, die ich nicht mag. Indem ich einfach nur Platten einpacke, die ich gut finde. Das heißt auch, wenn ich für eine Lebensmittelkonzern-Betriebsfeier spiele, stehe ich unter dem großen Druck, mit meinen Mitteln diesen mir fremden Leute einen guten Abend zu geben. Und es gibt da auch noch, ohne das jetzt allzu hoch hängen zu wollen, ein gewisses subversives oder eher erzieherisches Element, dass ich ihnen nämlich bessere Musik mit auf den Weg gebe als sie eigentlich wussten, dass sie sie wollen. Da bin ich auch ein bißchen stolz drauf, das ist mir eigentlich immer ganz gut gelungen, dass alle ihren Spaß haben und hinterher merken, auf welchem hohen Niveau sie jetzt gerade Spaß gehabt haben.

    Die Streiflichter sind recht aufschlußreich, die in "plus minus acht" ins Innere der DJ-Box und vor allem auch in die Gefühlslagen ihrer Insassen geworfen sind. Dass die Verlockungen und die Tücken dieser Welt nah beieinander liegen, überrascht allerdings ebensowenig wie das Fazit, dass es eine ziemlich aufreibende Arbeit sein kann, auf den Dancefloors Spaß zu erzeugen. Trotzdem ist zu bemerken, dass bei Hans Nieswandt sowohl beim Auflegen als auch beim Schreiben darüber nach wie vor der Spaß überwiegt - wobei er an diesem weniger journalistischen und mehr literarischen Schreiben offenbar so sehr Geschmack gefunden hat, dass "plus minus acht" nicht sein einziges Buch bleiben dürfte.

    Das Buch ist, so gesehen, auch ein neuer Schritt, was das Schreiben angeht. Hat mittelbar nur damit zu tun, wie ich früher geschrieben habe, weil es einerseits diese kompetente und faktische Seite daran gibt, Information und so weiter, aber es gibt dann eben in dem Buch viel stärker als in Spex-Reportagen eine "dramatistische" Seite, die mit dem Gefühlsleben in der DJ-Box zu tun hat. Also auf jeden Fall ist das jetzt ein Faden, den ich aufgegriffen habe und den ich noch länger verfolgen will.