Donnerstag, 28. März 2024

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Podcast "Happy Endzeit"
Ein Quantum Trost

"Happy Endzeit" ist der etwas sarkastische Name eines neuen Podcast des Netzportals Tonspion. In 30-minütigen Talks geht es um Einzelschicksale von Musikern und Musikerinnen sowie um Strukturen der Musikindustrie in Krisenzeiten. Immer freitags kommen neue Folgen hinzu.

Von Peter Backof | 21.05.2020
Die deutsche Sängerin Mine alias Jasmin Stocker am Hans-Rosenthal-Platz in Berlin; Aufnahme vom 14. April 2016
War auch schon Gast im Endzeit-Podcast: die deutsche Sängerin und Songschreiberin Jasmin Stocker alias Mine (Deutschlandradio / M. Hucht)
Mine: "Wir haben in einer Stunde elfeinhalb Tausend Euro gesammelt." - "Wow!"- "Einfach unglaublich. Und beim zweiten Konzert hatten wir etwas über fünf Tausend Euro gesammelt."
Einnahmequelle Wohnzimmerkonzert
Konkrete Zahlen von "Mine", auch bekannt als Jasmin Stocker, Popmusikerin, Rapperin, geboren 1986. Und zu Gast im Podcast "Happy Endzeit": mit zwei Konzerten aus dem Wohnzimmer rund 16.000 Euro einnehmen; das ist also möglich.
Mine: "Umso geflashter war ich, was für coole Zuhörer ich einfach habe, dass sie sagen: `Hey, das ist solidarisch und ich möchte da auch was geben!´"
Die Konzerte waren von vornherein als Spendensammelaktion angekündigt. Zu Gunsten von Geflüchteten, Obdachlosen, Frauen. Ob Mine mit Konzerten für die eigene Tasche auch so viel Geld eingespielt hätte? - Darum soll es gehen, in "Happy Endzeit", der neuen Podcast-Reihe von "Tonspion". "Tonspion", ein Portal mit Tradition seit 1999, groß geworden in den Nuller Jahren, als es vielen darum ging, Mp3´s zu jagen, zu sammeln, zu "saugen".
Marcus Mötz: "Wir lieben Popmusik, wir lieben Popkultur. Und deshalb sprechen wir darüber."
Und "Happy Endzeit" ist für "Tonspion" auch eine Möglichkeit, sich in Krisenzeiten nochmal frisch aufzustellen: Moderator Marcus Mötz empfängt in seinem Leipziger Wohnzimmer per Audiokonferenz Gäste, für jeweils halbstündige Episoden. Dass die Hersteller von Mikrofonen oder Software für Homerecording zwischendurch ausdrücklich genannt und auch angepriesen werden: Kann nerven! - Aber überwiegend ist Happy Endzeit ein informativer und hintergründiger Talk, in dem Gretchenfragen klar gestellt werden: Wie ist es denn, live zu spielen ohne so richtig live zu sein?
Live-Konzerte kann man nicht ersetzen
Mine: "Die Situation, dass man zu Hause ist, wo Stille ist und eigentlich Feierabendstimmung. Gleichzeitig weiß man, dass das gleich live geht; man weiß aber auch nicht: wie viele Menschen gucken zu? Man sieht die Reaktion auch nicht.
Marcus Mötz: "Könntest du dir vorstellen, das auch in normalen Zeiten fortzuführen?"
Mine: "Nee, ehrlich gesagt. Es ersetzt keine Livekonzerte. Es ist aus der Notsituation eine herausgeborene Sache."
Meint Mine. Und spricht für Tausende Musikerinnen und Musiker. "Happy Endzeit", das ist ein Quantum Trost und Mitgefühl, für alle, die nun ohne physische Bühne dastehen. Aber auch mehr: In der ersten Episode ging es im Gespräch mit Markus Henrik alias Doktor Pop, ums Strukturelle im Konzertbetrieb. Gretchenfrage an ihn: Wird sich die Live-Kultur jemals vom Corona-Schock erholen?
Doktor Pop: "Ich sehe das ein bisschen zwiegespalten. Da ist das Publikum Teil der Kommunikation. Das Mitklatschen, das Reagieren, das Mitfühlen ist ja ganz wichtiger Bestandteil eines Live-Erlebnisses. Das ist sehr schwierig, sowas digital über Livestreams nachzubauen. Rock am Ring als Livestream? Schwierig!"
Abschied von der traditionellen Wertschöpfungskette
Doktor Pop ist ein Vortragsreisender mit leicht ironischem Anstrich. Dem Musikwissenschaftler fällt aktuell auf, dass zum Beispiel auch Albumveröffentlichungen verschoben würden. Die Musikindustrie ticke womöglich noch zu traditionell. Denn auf der anderen Seite:
Doktor Pop: "Auch ganz spannend, dass Künstler jetzt versuchen, alternative Monetarisierungswege zu finden, Bezahlsysteme einzuführen. Andere versuchen es mit Spendensystemen. Gleichzeitig ist das fast der einzige Weg für die Musikindustrie, so eine Wertigkeit reinzubringen: Wie man es im Gangster-Rap mit diesen fürchterlichen Fanboxen kennt; das ist ein Produkt, das kostet fünfzig Euro und da ist dann so ein Käppi drin und ein T-Shirt und manchmal ist auch eine CD drin. So wird Musik heute verkauft: Dass quasi die Marke des Popstars im Fokus steht und dass man darüber versucht, auch andere Sachen zu verkaufen."
Popmusikerinnen und Popmusiker, die auch mal eine Pizza-Edition auflegen, ganz neue Wege der Vernetzung gehen, darin sieht Doktor Pop eine mögliche Zukunft des Pop. 80 Milliarden Streams würden derzeit jährlich weltweit getätigt, Tendenz steigend, Corona hin oder her. Man müsse die traditionelle Wertschöpfungkette hinter sich lassen – Studioarbeit, Veröffentlichung, Konzert, Geld verdienen. Und auch mal endlich über Bezahlschranken nachdenken: Was aus dem Internet kommt, muss nicht immer kostenlos sein. Auf dass die "Endzeit happy" werde. Soweit der Stand nach zwei Episoden. Macht neugierig auf mehr!