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Podiumsdiskussion
Grüne Chemiewende in Zukunft notwendig?

Die Chemieindustrie hat in Deutschland nicht den besten Ruf. Karl-Ludwig Kley, der Präsident des Verbands der Chemischen Industrie, will das ramponierte Image seiner Branche aufpolieren. Bei einer Podiumsdiskussion ging es um die Frage, ob es analog zur Energiewende auch eine grüne Chemiewende braucht.

Von Ralph Ahrens |
    Mehrere Studenten in weißen Kitteln arbeiten in einem Labor. Eine Studentin hat einen Mörser in der Hand. Andere betrachten Reagenzgläser.
    "Wir sind im Zentrum der industriellen Wertschöpfung Deutschlands", sagt der Präsident des Verbands der Chemischen Industrie. (Picture Alliance / dpa / Jan Woitas)
    Rund 2.000 kleine und große Unternehmen stellen in Deutschland chemische Stoffe her. Karl-Ludwig Kley, Präsident des Verbands der Chemischen Industrie, ist stolz auf sie.
    "Wir sind im Zentrum der industriellen Wertschöpfung Deutschlands. Ohne uns geht eigentlich nichts. Das klingt vielleicht etwas eingebildet. Aber wenn Sie sich vorstellen, jeder hat sein Apple oder Samsung Galaxy. Das geht nicht ohne Chemie. Jeder braucht Arzneimittel. Das geht nicht ohne Chemie. Ein Auto ist nicht ohne Chemie denkbar."
    Auch Uwe Lahl von der Technischen Universität Darmstadt, der dafür bekannt ist, bei solchen Lobeshymnen reichlich Wasser in den Wein zu gießen, hält diese Industriebranche für unverzichtbar. Die großen Chemiekatastrophen etwa im italienischen Seveso, im indischen Bhopal oder im schweizerischen Basel dürfen zwar nicht vergessen werden, doch müsse man sagen:
    "Dass die chemische Industrie in den letzten Jahren sicherer geworden ist. Das hat nicht von alleine stattgefunden. Das musste auch erkämpft werden. Aber das ist der Status, den wir haben. Und das ist positiv."
    Energiewende und chemische Stoffe
    Zudem ist zwischen Industriemann Kley und Chemiekritiker Lahl unstrittig, dass die Energiewende auf besondere chemische Stoffe angewiesen ist. Zwei Beispiele: Karbonfasern senken das Gewicht von Windradflügeln, sodass diese effizienter Elektrizität produzieren können. Und deutsche Chemiefirmen sind Weltmarktführer bei jenen Chemikalien, die für Batterien von Elektrofahrzeugen benötigt werden. Doch das genügt Karl-Ludwig Kley nicht.
    "Ich habe die Besorgnis, dass wir allmählich selbst zu einem sich selbst einschläfernden Rentnerstaat werden. Mir fehlt der Mut, nach vorne zu gehen. Das machen wir vielleicht noch beim Bungee Springen oder Free Climbing. Aber wenn es um industrielle Innovationen gehe, die jetzt nicht unmittelbar und sofort für jeden erkennbar einen individuellen Vorteil bringen, dann ziehen wir uns zurück und brüllen Risiko. Mit dieser Mentalität kommen wir nicht weiter."
    Chancen und Gefahren von Chemie in der Zukunft
    Die Chemie der Zukunft, das heißt für den Präsidenten des Verbandes der Chemischen Industrie also auch mehr Mut. Er ist für die Gentechnik bei Pflanzen, für den Einsatz von Nanopartikeln und sieht im Fracking, also der Erdgasgewinnung aus Schiefergas, vor allem eine Chance.
    Doch so einfach sei das nicht, entgegnet Uwe Lahl. Sprechen sich Bürger in einer demokratischen Gesellschaft mehrheitlich gegen eine Technik aus, müssen Industrieunternehmen dieses akzeptieren. Aus seiner Sicht haben Chemieunternehmen ganz andere Probleme zu lösen
    "Dazu gehört unter anderem der Umgang mit besonders gefährlichen Stoffen, also Risikofragen am Arbeitsplatz, auch in Verbraucherprodukten. Da muss man noch besser werden, da muss man noch grüner werden."
    Das heißt, Chemikalien müssen vor allem sicherer für Mensch und Umwelt werden. So müssten Unternehmen auf den Einsatz krebserregender, hormonell wirksamer oder sehr langlebiger Substanzen verzichten.
    "Eine richtige Chemiewende, wie man das unter dem Stichwort Green Chemistry, grüne Chemie, versteht, das ist noch etwas, was im Bereich der chemischen Industrie selbst als zu exotisch angesehen wird. Das ist zu visionär."
    Zur Chemiewende gehöre auch, sagt Lahl, dass Chemieunternehmen künftig mehr chemische Stoffe wie etwa Kunststoffe aus Biomasse statt aus Erdöl herstellen. Die Unterschiede liegen hier vor allem beim Tempo der Umstellung, denn im Prinzip rennt der Chemiekritiker bei dem Industriefunktionär hier offene Türen ein. Denn bereits heute stellen die Unternehmen in Deutschland organische Stoffe zu 15 Prozent aus Biomasse her, sagt Karl-Ludwig Kley.
    "Diesen Prozentsatz können wir bis 2030 vielleicht verdoppeln. Lassen sie uns anspruchsvoll sein und sagen, wir schaffen das bis 2025. Dann zeigt es aber immer noch, dass wir Generationen brauchen, bis eine auf nachwachsenden Rohstoffen basierende chemische Industrie überhaupt theoretisch denkbar ist."
    Auch Uwe Lahl ist klar, dass die Chemiewende ihre Zeit braucht. Doch der Anfang ist gemacht.
    "Das ist so wie vor zehn Jahren, als der eine oder andere gesagt hat, wir müssen jetzt erneuerbare Energien nutzen. Ich glaube, irgendwann werden unsere Kinder sagen, ja, das mit der Chemiewende in den Jahren 2013, 2014, 2015 folgende war eine gute Idee. Und heute sind wir da."