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Poesie gegen Gewalt

Der Lyriker und Romancier Uwe Kolbe aus Berlin war beim Internationalen Festival der Poesie in Medellín - ausgerechnet, steht Medellín doch sonst für Drogen, Gewalt, Tod. Doch das einfache menschliche Wort, sagt Kolbe, habe die Menschen dort zusammengebracht.

20.07.2010
    Christoph Schmitz: In der kolumbianischen Hauptstadt oder Großstadt Medellín wurde es gegründet, vor 20 Jahren: das mittlerweile größte Poesiefestival der Welt. Poesie gegen Gewalt, Verbrechen, Mord in einem krisen- und bürgerkriegsgeschüttelten Lande. Das Gedicht als Gegengewicht zum Tod, zum Drogenkrieg, um Stadt, Land und Menschen zu retten. Wie viel die Poesie im allmählichen Befriedungsprozess Kolumbiens geleistet hat, ist schwer zu ermessen, das Festival gibt es jedenfalls immer noch – zehn Tage lang Dichtkunst Dutzender Lyriker aus aller Welt zieht die Bevölkerung an. 2006 wurde es dafür mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Am Wochenende ist die jüngste Ausgabe zu Ende gegangen, aus Deutschland war der Lyriker und Romancier Uwe Kolbe aus Berlin dabei. Gestern ist er zurückgekehrt: Welche sind Ihre Haupteindrücke kurz nach dem Ende des Festivals und wieder zurück in Berlin?, das habe ich ihn zuerst gefragt.

    Uwe Kolbe: Mir geht es in einem Punkt genauso wie all den anderen Autoren. Was auch immer zu Hause im Heimatland ist, zum Beispiel hier in unserer Kultur in Westeuropa, welche Rolle da Poesie spielt, insbesondere wie marginalisiert sie ist – wenn man einmal in Medellín/Kolumbien bei diesem Festival war, dann weiß man, wie es sich anfühlt, ein Star zu sein.

    Schmitz: Das müssen Sie beschreiben – wie hat das Publikum reagiert?

    Kolbe: Das ist in einem Amphitheater, in einem Open-Air-Theater, 2000, 3000 Leute, Zuhörer, offensichtlich sichtbar alle Schichten der Bevölkerung, also vom wirklich, von den Intellektuellen, von Oberschichtangehörigen sichtlich bis hin zu Leuten aus den Barrios, sensibel, wach, dabei reagierend auf jeden Satz, den man natürlich sagt in Ansprache an das Publikum, aber auch bereit, spontan zu reagieren auf Themen, auf Aspekte von Poesie, auf einzelne Gedichte zu reagieren mit sehr differenziertem Beifall, mit sehr differenziert ... mit Bravorufen – es ist einfach verrückt. Und es ist wirklich ein Gespräch, ohne dass man nun direkt im Einzelnen miteinander ins Gespräch kommt. Aber es ist klar, die auf der Bühne, die Autorinnen, Autoren und die Leute im Publikum teilen etwas, wissen, worum es da geht.

    Schmitz: In welcher Sprache haben Sie denn und die anderen Lyriker aus aller Welt ihre Texte vorgetragen, doch Sie auf Deutsch vermute ich, haben das die Kolumbianer verstanden?

    Kolbe: Nein. Es gab ... Ja natürlich habe ich auf Deutsch meine Gedichte gelesen, aber sie wurden von sehr guten sogenannten Readern, also Vorlesern, die uns für die ganze Zeit jeweils treu zur Verfügung standen, dann auf Spanisch gelesen und entweder in Spanisch oder Englisch die Leute angesprochen. Sehr verschiedene Orte, an denen man zum Lesen kam, eben von einem großen Amphitheater bis zu intimeren Orten: Schulen, Theaterräume, große, kleine ...

    Schmitz: Und vom Publikum wurden Sie also getragen, aber auch von den Veranstaltern, das ist ja auch ein ungeheurer finanzieller Aufwand. Woher kommt das viele Geld?

    Kolbe: Offensichtlich. Es ist einerseits wirklich so, dass im Geiste des Gründers, also Fernando Rendón, des Dichters und Herausgebers der Zeitschrift "Prometeo", ist es offensichtlich sehr stark auch von der Stadt mitgetragen. Die Alcalderia oder Alcaldía, die Stadtverwaltung, gibt da sehr viel Geld, legt Wert. Es ist so, dass Medellín natürlich sein Image kennt und was mit dem Namen verbunden ist. Und in diesem Geiste gegen dieses Image und gegen diese Problematik an ist ja also aus sozialen Gründen das Festival begründet worden, ursprünglich begonnen worden. Und diese Rolle spielt es auch noch heute.

    Schmitz: Haben Sie denn den Eindruck, dass das Poesiefestival von Medellín gesellschaftlich und auch politisch betrachtet Berge versetzt hat, also ist die Befriedung geglückt mit Poesie?

    Kolbe: Das hieße, es wahrscheinlich zu überfrachten. Es ist sicher nicht so, dass dieses Festival das Ende des Escobar-Klans bewirkt hat, aber es ist sicher so, dass es einen Geist ausdrückt, einen Geist in diesem Land und in dieser Stadt, der mehr als positive Zeichen setzen möchte. Und es gibt auch baulich, also von dem, was investiert wird im Stadtbild, Signale, in die Barrios zu gehen, in die Armenviertel zu gehen mit großen Investitionen, mit Metro und Seilbahnanbindung auf allerhöchstem Standard, mit Riesenbibliotheken, mit einem unglaublich schön angelegten botanischen Garten, der eine große Rolle bei dem Blumenfest in der Stadt spielt, und mit natürlich omnipräsenter Polizei und Sicherheitskräften, das muss man auch sagen. Wir waren natürlich die ganze Zeit auch beschützt, und ich kann nur sagen, wir hatten keine Ursache, einfach nur euphorisch zu sein. Aber in dieser Mischung aus Begegnung mit den Organisatoren, auch mit Autoren aus dem Land natürlich und mit einfachen Begegnungen in der Stadt, sind wir alle miteinander also wirklich glücklich gewesen zu erfahren, was für eine positive Rolle Dichtung und das Wort eben spielen können, und wenn Leute im Sinne dieses einfachen menschlichen Wortes, was ja nicht unbedingt immer ein politisches ist, zusammenkommen.

    Schmitz: Berichtet der Dichter Uwe Kolbe von seinem Starauftritt beim internationalen Poesiefestival von Medellín.

    www.festivaldepoesiadeMedellin.org