Stefan Koldehoff: "Deutscher Sonntag" von Franz Josef Degenhardt. - Eigentlich war er Jurist und als Rechtsanwalt hat der gebürtige Schwelmer auch lange gearbeitet und hat auch dann noch Kriegsdienstverweigerer und Kommunisten und Mitglieder der Außerparlamentarischen Opposition, auch der Baader-Meinhof-Gruppe, verteidigt, als seine Platten längst schon Erfolg hatten. Aus der SPD flog er 1971 heraus, weil er zur Wahl der DKP aufgerufen hatte. Der trat er dann auch bei – erst sieben Jahre später allerdings. Da hatte er auch schon seine ersten Romane veröffentlicht. Wie kein anderer Sänger beschrieb Degenhardt das enge, oft spießige Klima in der deutschen Nachkriegsrepublik – am schönsten und poetischsten im gerade gehörten Lied vom "Deutschen Sonntag". Es waren nicht Hass und Verachtung, wie man ihm von konservativer Seite unterstellte – es war die Liebe zu seinem Land, die Degenhardt immer wieder auf die Missstände in Deutschland hinweisen ließ. Und nicht zuletzt deshalb erinnern viele seiner Lieder, die mal ganz liebevoll und fein poetisch und mal ironisch bissig-böse sein konnten, bis heute auch stilistisch an Vorbilder aus der deutschen Literatur- und Musikgeschichte.
O-Ton Franz Josef Degenhardt: "Wir mochten die deutsche Kultur sehr und wir litten darunter, dass sie kaputt war, dass die Nazis sie kaputt gemacht haben. Für uns war das nicht gleichgültig, Deutsche zu sein. Also wir hassten Deutschland, weil wir nicht verwechselt werden wollten mit den Nazis. So möchte ich das mal ausdrücken. Wenn wir ein Zitat machten wie "Es dunkelt schon in der Heide", mussten wir entweder gar nichts machen, oder immer wieder darauf hinweisen, was mit diesem Lied geschehen ist."
Koldehoff: Im Alter von fast 80 Jahren ist Franz Josef Degenhardt nun gestern in Schleswig-Holstein gestorben. Dr. Thomas Rothschild ist Literaturwissenschaftler an der Uni Stuttgart mit dem Arbeitsschwerpunkt "Politisches Lied und Literatur des 20. Jahrhunderts". Ihn habe ich gefragt, was denn nun das ganz besondere an Franz Josef Degenhardt gewesen ist.
Thomas Rothschild: Ich würde sagen, die besondere Bedeutung von Degenhardt liegt in diesem Zusammenkommen von politischem Engagement und sprachlicher Perfektion und dann gleichzeitig sein Vortrag. Das ist ja, was Liedermacher auszeichnet gegenüber Liedersängern oder Schlagersängern oder was auch immer, dass sie Interpreten und Autoren zugleich sind. Und das war Degenhardt wie nur wenige andere, wie Wolf Biermann, Hannes Wader, Reinhard Mey in seiner Art, auf eine ganz besondere Weise.
Koldehoff: Nun hat die Zeit, die Sie gerade schon umrissen haben, dafür natürlich auch die Themen geliefert. Es war der Beginn der APO, als _63, _65 die ersten Alben von Degenhardt erschienen, es gab eine Debatte später um Berufsverbote. Hat die Zeit ihm sozusagen auch die Themen geliefert und ihn damit populär gemacht?
Rothschild: Ja nun hat er ja schon Anfang der 60er-Jahre begonnen, eigentlich noch vor der APO, und war anfangs ja vor allem beeinflusst von der französischen Tradition. In Frankreich hat es ja das Chanson immer schon gegeben – also nicht immer schon, aber sehr viel länger gegeben. Georges Brassens ist wahrscheinlich der wichtigste Einfluss, der ja auch zwar nicht tagespolitische, aber gesellschaftskritische Texte geschrieben hat gegen das Spießbürgertum. Das war ja auch ein wichtiges Thema in den frühen Arbeiten von Degenhardt. Sicher hat es dann mit der Studentenbewegung, mit dem, was man mit 1968 verbindet, an Brisanz zugenommen und da haben die Liedermacher oder viele Liedermacher genau hineingepasst. Dass das aber dann verschwunden ist oder weitgehend verschwunden ist, hängt, glaube ich, eher mit der Entwicklung der Musikindustrie zusammen, mit der Technisierung, mit der Veränderung des Musikgeschmacks. Diese Einheit von Interpretation und Autorenschaft, von der ich vorhin gesprochen habe, bedeutet ja auch, dass man eine Musik machen musste, die keinen großen Aufwand hatte. Gerade Degenhardt steht für eine sehr einfache Musik: Er hat sich auf der Gitarre begleitet. Er hat mir mal gesagt, er würde gerne solche Musik machen wie Bob Dylan, und Bob Dylan hat ja dann auch zur Elektrogitarre gegriffen und sich größere Bands um sich geschart. Den Schritt hat er nie gemacht. Vielleicht wäre er dann, wenn er das getan hätte, noch länger im Gespräch geblieben. Aber einen Mangel an Themen, das, glaube ich, gibt es nicht und sie werden ja zum Teil heute im Hip-Hop angesprochen, in Slums, also auf anderen Gebieten. Nur diese spezifische Kombination von politischer Einmischung und Liedermacherei, die hat in der Tat heute kaum noch Öffentlichkeit.
Koldehoff: Dieses kleinbürgerliche Milieu, das Degenhardt so schön und so poetisch vielleicht wie kein anderer nach oder vor ihm beschrieben hat, die Schinkenspeck-Gesichter, das Blubbern dicker Soßen, die Messer, die auf Knochen stoßen, ist das eigentlich jemals sein eigenes Milieu gewesen?
Rothschild: Na ja, er kommt aus Westfalen, aus Schwelm, aus einem katholischen Milieu, und am Katholizismus hat er sich ja auch lange abgearbeitet. Er ist übrigens der Cousin des Kardinals Degenhardt, der vor ein paar Jahren gestorben ist. Aber dieser Ekel, einen kleinbürgerlichen Mief, den man oft mit der Adenauer-Zeit verbindet, das ist schon auch generationenspezifisch, nicht wahr. Man darf ja nicht vergessen: Nach 1945, nach den Jahren des Nationalsozialismus, die Degenhardt noch als Kind miterlebt hat, hatte man ja auf die große Befreiung gehofft. Bis weit in die CDU hinein gab es, wenn sie etwa an das Ahlener Programm denken, sozialistische Vorstellungen, die sehr schnell erstickt worden sind in den 50er-, frühen 60er-Jahren, und da gab es schon einen allgemeinen Ekel oder Verachtung des Spießbürgertums, das wiederum auch zurückgreifen kann auf die Weimarer Republik, auf die Vortester – denken Sie an den jungen Brecht, nicht wahr, denken sie an die Kleinbürgerhochzeit von Brecht. Also da haben auch viele von diesen Liedermachern und in der Umgebung von Degenhardt auch ihre Vorbilder gefunden, in der sozialistischen oder proletarischen grundsätzlichen Kriegszeit.
Koldehoff: Wie stark waren seine politischen Ambitionen? Es gibt ja kaum einen Text über ihn, der nicht auch erwähnt, dass er irgendwann aus der SPD rausgeflogen ist, sich der DKP zugewandt hat. Aber viele seiner Lieder sind gar nicht so direkt politisch, wie man das vermuten würde, oder?
Rothschild: Also einerseits war das gar nicht trennbar von dem Politischen, denn seine politischen Vorstellungen hatten auch mit Freundlichkeit zu tun, hatten auch was zu tun mit solidarisch sein, gemeinsam feiern können. Die Linke ist ja nicht so verbissen und humorlos, wie das ihre Gegner oft darstellen. Aber es ist schon richtig, dass die politischen Lieder, die explizit politischen Lieder von Degenhardt diejenigen sind, die am bekanntesten geworden sind, die sein Markenzeichen waren. Trotzdem, Sie haben schon recht. Ich glaube, dass er auch weit über die Linke hinaus populär war in den späten 60er-, frühen 70er-Jahren – hängt wohl auch damit zusammen, dass er Themen angesprochen hat, wo man gar nicht sozusagen Gesinnungsapplaus geben musste, sondern die einfach schöne Lieder waren und eine freundliche Ausstrahlung hatten.
Koldehoff: Der Literaturwissenschaftler Thomas Rothschild zum Tod des Liedermachers Franz Josef Degenhardt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
O-Ton Franz Josef Degenhardt: "Wir mochten die deutsche Kultur sehr und wir litten darunter, dass sie kaputt war, dass die Nazis sie kaputt gemacht haben. Für uns war das nicht gleichgültig, Deutsche zu sein. Also wir hassten Deutschland, weil wir nicht verwechselt werden wollten mit den Nazis. So möchte ich das mal ausdrücken. Wenn wir ein Zitat machten wie "Es dunkelt schon in der Heide", mussten wir entweder gar nichts machen, oder immer wieder darauf hinweisen, was mit diesem Lied geschehen ist."
Koldehoff: Im Alter von fast 80 Jahren ist Franz Josef Degenhardt nun gestern in Schleswig-Holstein gestorben. Dr. Thomas Rothschild ist Literaturwissenschaftler an der Uni Stuttgart mit dem Arbeitsschwerpunkt "Politisches Lied und Literatur des 20. Jahrhunderts". Ihn habe ich gefragt, was denn nun das ganz besondere an Franz Josef Degenhardt gewesen ist.
Thomas Rothschild: Ich würde sagen, die besondere Bedeutung von Degenhardt liegt in diesem Zusammenkommen von politischem Engagement und sprachlicher Perfektion und dann gleichzeitig sein Vortrag. Das ist ja, was Liedermacher auszeichnet gegenüber Liedersängern oder Schlagersängern oder was auch immer, dass sie Interpreten und Autoren zugleich sind. Und das war Degenhardt wie nur wenige andere, wie Wolf Biermann, Hannes Wader, Reinhard Mey in seiner Art, auf eine ganz besondere Weise.
Koldehoff: Nun hat die Zeit, die Sie gerade schon umrissen haben, dafür natürlich auch die Themen geliefert. Es war der Beginn der APO, als _63, _65 die ersten Alben von Degenhardt erschienen, es gab eine Debatte später um Berufsverbote. Hat die Zeit ihm sozusagen auch die Themen geliefert und ihn damit populär gemacht?
Rothschild: Ja nun hat er ja schon Anfang der 60er-Jahre begonnen, eigentlich noch vor der APO, und war anfangs ja vor allem beeinflusst von der französischen Tradition. In Frankreich hat es ja das Chanson immer schon gegeben – also nicht immer schon, aber sehr viel länger gegeben. Georges Brassens ist wahrscheinlich der wichtigste Einfluss, der ja auch zwar nicht tagespolitische, aber gesellschaftskritische Texte geschrieben hat gegen das Spießbürgertum. Das war ja auch ein wichtiges Thema in den frühen Arbeiten von Degenhardt. Sicher hat es dann mit der Studentenbewegung, mit dem, was man mit 1968 verbindet, an Brisanz zugenommen und da haben die Liedermacher oder viele Liedermacher genau hineingepasst. Dass das aber dann verschwunden ist oder weitgehend verschwunden ist, hängt, glaube ich, eher mit der Entwicklung der Musikindustrie zusammen, mit der Technisierung, mit der Veränderung des Musikgeschmacks. Diese Einheit von Interpretation und Autorenschaft, von der ich vorhin gesprochen habe, bedeutet ja auch, dass man eine Musik machen musste, die keinen großen Aufwand hatte. Gerade Degenhardt steht für eine sehr einfache Musik: Er hat sich auf der Gitarre begleitet. Er hat mir mal gesagt, er würde gerne solche Musik machen wie Bob Dylan, und Bob Dylan hat ja dann auch zur Elektrogitarre gegriffen und sich größere Bands um sich geschart. Den Schritt hat er nie gemacht. Vielleicht wäre er dann, wenn er das getan hätte, noch länger im Gespräch geblieben. Aber einen Mangel an Themen, das, glaube ich, gibt es nicht und sie werden ja zum Teil heute im Hip-Hop angesprochen, in Slums, also auf anderen Gebieten. Nur diese spezifische Kombination von politischer Einmischung und Liedermacherei, die hat in der Tat heute kaum noch Öffentlichkeit.
Koldehoff: Dieses kleinbürgerliche Milieu, das Degenhardt so schön und so poetisch vielleicht wie kein anderer nach oder vor ihm beschrieben hat, die Schinkenspeck-Gesichter, das Blubbern dicker Soßen, die Messer, die auf Knochen stoßen, ist das eigentlich jemals sein eigenes Milieu gewesen?
Rothschild: Na ja, er kommt aus Westfalen, aus Schwelm, aus einem katholischen Milieu, und am Katholizismus hat er sich ja auch lange abgearbeitet. Er ist übrigens der Cousin des Kardinals Degenhardt, der vor ein paar Jahren gestorben ist. Aber dieser Ekel, einen kleinbürgerlichen Mief, den man oft mit der Adenauer-Zeit verbindet, das ist schon auch generationenspezifisch, nicht wahr. Man darf ja nicht vergessen: Nach 1945, nach den Jahren des Nationalsozialismus, die Degenhardt noch als Kind miterlebt hat, hatte man ja auf die große Befreiung gehofft. Bis weit in die CDU hinein gab es, wenn sie etwa an das Ahlener Programm denken, sozialistische Vorstellungen, die sehr schnell erstickt worden sind in den 50er-, frühen 60er-Jahren, und da gab es schon einen allgemeinen Ekel oder Verachtung des Spießbürgertums, das wiederum auch zurückgreifen kann auf die Weimarer Republik, auf die Vortester – denken Sie an den jungen Brecht, nicht wahr, denken sie an die Kleinbürgerhochzeit von Brecht. Also da haben auch viele von diesen Liedermachern und in der Umgebung von Degenhardt auch ihre Vorbilder gefunden, in der sozialistischen oder proletarischen grundsätzlichen Kriegszeit.
Koldehoff: Wie stark waren seine politischen Ambitionen? Es gibt ja kaum einen Text über ihn, der nicht auch erwähnt, dass er irgendwann aus der SPD rausgeflogen ist, sich der DKP zugewandt hat. Aber viele seiner Lieder sind gar nicht so direkt politisch, wie man das vermuten würde, oder?
Rothschild: Also einerseits war das gar nicht trennbar von dem Politischen, denn seine politischen Vorstellungen hatten auch mit Freundlichkeit zu tun, hatten auch was zu tun mit solidarisch sein, gemeinsam feiern können. Die Linke ist ja nicht so verbissen und humorlos, wie das ihre Gegner oft darstellen. Aber es ist schon richtig, dass die politischen Lieder, die explizit politischen Lieder von Degenhardt diejenigen sind, die am bekanntesten geworden sind, die sein Markenzeichen waren. Trotzdem, Sie haben schon recht. Ich glaube, dass er auch weit über die Linke hinaus populär war in den späten 60er-, frühen 70er-Jahren – hängt wohl auch damit zusammen, dass er Themen angesprochen hat, wo man gar nicht sozusagen Gesinnungsapplaus geben musste, sondern die einfach schöne Lieder waren und eine freundliche Ausstrahlung hatten.
Koldehoff: Der Literaturwissenschaftler Thomas Rothschild zum Tod des Liedermachers Franz Josef Degenhardt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.