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Pöttering: Mehr als reine Symbolpolitik

Der Präsident des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering, hat das vom EU-Gipfel beschlossene 5-Milliarden-Euro-Konjunkturprogramm in Schutz genommen. Man müsse es im Zusammenhang mit dem Gesamtpaket von 400 Milliarden Euro sehen. Das Geld soll unter anderem für die Energieinfrastruktur der europäischen Länder verwendet werden.

Hans-Gert Pöttering im Gespräch mit Gerwald Herter |
    Gerwald Herter: Ein Zeichen der Geschlossenheit sollte von Brüssel ausgehen, aber dieses Treffen der EU-Staats- und -Regierungschefs stand natürlich auch im Zeichen der Wirtschaftskrise. Nachdem viele nationale Konjunkturpakete schon zu wirken beginnen, haben sich die Staats- und Regierungschefs auf ein europäisches Konjunkturpaket im Umfang von fünf Milliarden Euro geeinigt. Darüber habe ich mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering (CDU), gesprochen. Herr Pöttering, zunächst zum Konjunkturpaket. Es wird von führenden Ökonomen als viel zu dürftig bezeichnet. Der Wirtschaftsweise Bofinger spricht sogar von Peanuts, also von einem Tropfen auf den heißen Stein. Ist das nun europäische Symbolpolitik oder doch mehr?

    Hans-Gert Pöttering: Also ich glaube nicht, dass es Symbolpolitik ist, Herr Herter, sondern dass diese fünf Milliarden gesehen werden müssen im Zusammenhang mit den 400 Milliarden Euro, die ja schon beschlossen sind. Hierbei handelt es sich – bei den fünf Milliarden – noch um eine letzte politische Entscheidung. Und diese fünf Milliarden sollen ja insbesondere verwendet werden für die Energieinfrastruktur – wie wir die Energie verteilen, wenn einer unterbunden wird durch einen Drittstaat – und insbesondere auch für die Errichtung von Breitbandkabeln für die Internetversorgung im ländlichen Bereich. Das ist durchaus sinnvoll, aber man muss diese fünf Milliarden im Zusammenhang der 400 Milliarden sehen. Und alles in allem kann man sagen, dass die Europäische Union sinnvoll und richtig gehandelt hat.

    Herter: Sie sprechen von 400 Milliarden, damit meinen Sie aber die Summe der nationalen Konjunkturprogramme?

    Pöttering: Das ist richtig, wobei diese 400 Milliarden abgestimmt sind in einem europäischen Rahmen. Wir haben ja den europäischen Binnenmarkt mit einem freien Austausch von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital, und das darf nicht unterbunden werden. Da darf es keinen Protektionismus geben, da darf es keine Wettbewerbsverzerrungen geben, sodass diese nationalen Programme, die europaweit, oder besser gesagt EU-weit, koordiniert sind, auch dem europäischen Recht entsprechen. Und alle sagen heute, wir wollen den Binnenmarkt stärken, wir wollen keinen Protektionismus, wir wollen nicht zurück in den Nationalstaat, der alles alleine macht, weil die Europäer heute wissen, nur gemeinsam sind sie stark.

    Herter: Aber die 400 Milliarden, die wurden sozusagen beim Entstehen koordiniert. Also diese europäische Koordination war sicher kein Musterbeispiel. Man hat sich nicht zuerst zusammengesetzt und gesagt, Frankreich macht das, Deutschland macht das, Großbritannien macht das, sondern das ist nach und nach gekommen. Ich denke, das muss man sagen, oder?

    Pöttering: Das muss man sagen, aber stellen Sie sich vor, wie schwierig der Entscheidungsprozess allein in der Bundesrepublik Deutschland ist mit 82 Millionen Menschen, 16 Bundesländern und dem Bund. Bei uns dauert manchmal etwas Monate und Jahre – denken Sie die Föderalismusdiskussion. Und da ist es auch ganz natürlich, dass in der Europäischen Union mit 27 Ländern, mit 500 Millionen Menschen die Entscheidungen nicht von einem Tag zum nächsten getroffen werden können. Und im Übrigen gibt es ja nicht nur die 27 Länder und Regierungen, es gibt die Europäische Kommission, es gibt das Europäische Parlament. Diese fünf Milliarden, von denen jetzt die Rede war, können erst dann ausgegeben werden, wenn das Europäische Parlament zustimmt. Wir brauchen dazu eine Rechtsgrundlage und wir brauchen einen Budgetrahmen, und da ist das Europäische Parlament gleichberechtigt mit den Regierungen. Also, die Sache ist noch nicht am Ziel, aber das Europäische Parlament möchte natürlich verantwortlich seinen Beitrag leisten.

    Herter: Jetzt gibt es einen Betrag von 90 Millionen, den die Bundesregierung in die ländliche Entwicklung stecken kann. Das eignet sich dazu, Milchbauern zu unterstützen. Ist das ein Konjunkturprogramm?

    Pöttering: Das ist eine sehr berechtigte Frage, die man sicher in ihrer Analyse noch vertiefen muss.

    Herter: Hat das etwas mit der Europawahl zu tun und damit, dass die CSU fürchtet, nicht mehr ins Europaparlament zu kommen, weil der Wahltermin auch in den bayrischen Pfingstferien liegt?

    Pöttering: Herr Herter, das wäre eine Frage, die Sie der CSU und dem Ministerpräsidenten stellen müssen.

    Herter: Wenn eine Union mit 27 Mitgliedstaaten – es werden ja hoffentlich bald noch mehr – Programme auf Wahlkampfkalender abstimmt, dann leidet natürlich die Europäische Union insgesamt darunter, oder?

    Pöttering: Also wir wollen jetzt nicht einen Aspekt, der in seiner finanziellen Auswirkung nicht vorrangig ist, in den Vordergrund stellen, sondern in den Vordergrund gestellt werden muss, dass wir den Binnenmarkt stärken, dass wir der Wirtschaft Impulse geben und dass das Geld, das zur Verfügung gestellt wird von diesen 400 Milliarden Euro, auch einen wirklichen Mehrwert hat. Das heißt, dass wir investieren in umweltfreundliche Autos, in die Reduzierung von CO2, das heißt, dass das Geld auch ein Beitrag ist zum Kampf gegen den Klimawandel, dass wir unsere Energiesolidarität verbessern, dass wir den ländlichen Raum wie bei der Internetversorgung berücksichtigen. Das muss im Vordergrund stehen. Und dann ist ganz wichtig, dass wir zurückkehren zu einer stabilen Haushaltspolitik. Es darf sich nicht eine Mentalität, ein Bewusstsein einschleichen bei den Politikern oder bei den Bürgern, wir hätten unendlich viel Geld und wir bräuchten es nur in die Wirtschaft pumpen und alles würde von selbst laufen. Dieses wäre ein verhängnisvoller Weg, denn die Schulden von heute sind immer die Steuererhöhungen von morgen. Und wir müssen jetzt die Geldwertstabilität verteidigen, die Stabilität des Euros. Und hätten wir den Euro heute nicht, wir wären in weit größeren Turbulenzen. Und der Euro ist ein Segen. Und es war ja unter dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl eine gewaltige Kraftanstrengung, den Euro durchzusetzen. Und das zeigt, dass unpopuläre Maßnahmen aus der Sicht von damals sich heute als sehr positiv auswirken. Und deswegen muss man auch in der Europapolitik einen klaren Kurs bewahren.

    Herter: Also CSU-Politiker haben manchmal wirklich sehr gute Ideen, Theo Waigel hatte diese Idee ja auch des Stabilitätspakts, hat das auch durchgesetzt. Derzeit hat die CSU die Idee, Referenden abhalten zu lassen, wenn der EU-Vertrag geändert wird. Das ist seit Anfang des Jahres im Gespräch, die österreichischen Sozialdemokraten waren noch früher drauf gekommen. Was halten Sie davon?

    Pöttering: Also ich bin kein Anhänger einer solchen Politik. Wir haben das System des Parlamentarismus, das heißt, wir wählen Abgeordnete, wir wählen Politikerinnen und Politiker, die die Entscheidungen treffen. Und sollten sie Entscheidungen treffen, die den Menschen nicht gefallen, dann kann man diese Personen beim nächsten Mal wieder abwählen. Hätten wir Referenden gehabt, es hätte den Euro nicht gegeben, der sich heute als ein Segen erweist, wir hätten nicht die Mitgliedschaft im Nordatlantischen Bündnis, wir hätten nicht den NATO-Doppelbeschluss, der mit beigetragen hat zum Untergang der Sowjetunion. Daran sollte man sich erinnern. Aber es kommt ein zweiter Punkt hinzu: Diejenigen, die die Reform der Europäischen Union fordern – und mit Recht, deswegen sind wir ja für den Lissabon-Vertrag –, sind oft auch für Referenden. Aber wenn man Referenden fordert, wird dieses geradezu zur Reformunfähigkeit der Europäischen Union führen, weil Sie dann ja in allen 27 Ländern Referenden machen müssen. Und in jedem Land haben Sie eine andere politische Ausgangslage. Dann ist die Regierung nicht mehr populär und die Leute würden gegen die Regierung stimmen, obwohl es um Europa geht. Das heißt, ich sage, Referenden sind ein Beitrag dazu, dass die Europäische Union reformunfähig wird, und deswegen bin ich kein Anhänger dieser Idee.

    Herter: Wir wären uns einig, wenn wir sagen, bei Volksabstimmungen über EU-Verträge wird immer über alles Mögliche abgestimmt, bloß nicht über die Verträge.

    Pöttering: Das ist ein Wort, das Sie – bewusst oder unbewusst, Herr Herter – zitieren vom früheren französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle, der ja nach einem Referendum – es ging damals um die Regionalisierung Frankreichs – zurückgetreten ist. Und er hat einmal gesagt: Bei einem Referendum wird über alle Fragen entschieden, nur nicht über die Frage, um die es wirklich geht. Ganz so weit gehe ich nicht, aber da liegt ein Kern Wahrheit in dieser Bemerkung.

    Herter: Herr Präsident, wer wird denn der nächste deutsche EU-Kommissar werden?

    Pöttering: Das ist eine Sache der Bundesregierung, da will ich mich nicht einmischen. Ich darf aber daran erinnern, dass die Gesamtkommission das Vertrauen des Europäischen Parlamentes braucht. Und es ist Sache der Bundesregierung, den Zeitpunkt und die Person festzulegen.

    Herter: Aus welcher Partei wird er sein?

    Pöttering: Auch das ist eine offene Frage. Wir haben ja in der Bundesrepublik Deutschland Bundestagswahlen am 27. September. Ich spreche ja hier mit Ihnen als Präsident des Europäischen Parlaments, aber ich darf auch darauf hinweisen, dass die CDU seit 20 Jahren, seit Karl-Heinz Narjes, keinen Kommissar mehr gehabt hat, insofern ist der Anspruch der CDU durchaus legitim, also berechtigt.

    Herter: Haben Sie Ambitionen, Herr Präsident, Kommissar zu werden?

    Pöttering: Wenn man zehn Jahre in verantwortlichsten Aufgaben war, siebeneinhalb Jahre Fraktionsvorsitzender der größten Fraktion der europäischen Volkspartei, der Christdemokraten, dann zweieinhalb Jahre Präsident des Europäischen Parlaments, dann hat man nach einer solchen Erfahrung keinen persönlichen Ehrgeiz.

    Herter: Ein klares Wort. Hans-Gert Pöttering, Präsident des Europäischen Parlaments, im Deutschlandfunk-Interview. Herzlichen Dank!

    Pöttering: Ich danke Ihnen, Herr Herter!