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Polanski, das Politikum auf europäischer Bühne

"Gebt ihnen das Bankgeheimnis, nicht Polanski" - mit solchen Plakaten protestieren Anhänger des Starregisseurs in Zürich für seine Freilassung aus der Auslieferungshaft. Polanski soll wegen der Vergewaltigung einer 13-Jährigen im Jahr 1977 vor ein US-Gericht. Darf sein Lebenswerk gegen die Schuld angerechnet werden?

Von Hans Woller |
    Man sage noch mal, Kultur habe in unserer Gesellschaft kein Gewicht mehr. Da wird einer der weltweit bekanntesten Filmregisseure auf Grund eines internationalen Haftbefehls und zugleich doch auf reichlich zweifelhafte Art in der Schweiz ins Gefängnis geworfen und schon sorgt das in der Diplomatie für ein innereuropäisches und europäisch-amerikanisches Gezänke allererster Güte.

    Zugegeben - die Schweiz hat in Sachen Diplomatie zur Zeit wirklich kein glückliches Händchen: Erst wird der Bundespräsident zum Gespött im eigenen Land, weil er von einem kompromittierenden Libyen Besuch ohne die Schweizer Geiseln zurückkommt, die dort genommen wurden und sitzen, weil ein Gaddafi Sohn vor zwei Jahren in der Schweiz kurzfristig festgenommen worden war.
    Und nun Polanski.

    Die Schweizer Behörden sagen, sie hätten nur rechtsstaatlich gehandelt und einem seit 2005 bestehenden internationalen Haftbefehl stattgegeben - hatten seit vier Jahren aber sichtlich vergessen, dass der polnisch-französische Regisseur im Wintersportort Gstaad über einen Zweitwohnsitz verfügt und sich regelmäßig dort aufhielt. Also kann man sich in Bern nur schwer vom Verdacht reinwaschen, man habe sich gegenüber den Vereinigten Staaten jetzt plötzlich liebedienernd verhalten, um sie im Streit um hinterzogene Steuermilliarden und die Liste von 40 000 amerikanischen Steuerflüchtlingen etwas sanfter zu stimmen.

    Darüber hinaus hat die Verhaftung des Kulturschaffenden Polanski noch etwas Bemerkenswertes bewirkt: Den Schulterschluss zwischen der sich ansonsten so wenig grünen französischen und polnischen Diplomatie, schreibt doch der Außenminister des ansonsten so sittenstrengen, streng katholischen Polens mit seinem französischen Kollegen einen gemeinsamen Brief an Hillary Clinton, sie möge sich bei Präsident Obama dafür einsetzen, dass der von seinem Begnadigungsrecht Gebrauch mache.

    Frankreichs Außenminister, der bisher nur gestammelt hatte, es handle sich hier um eine "düstere Geschichte, diesen Mann, dessen Talent in der ganzen Welt anerkannt sei festzusetzen, dass sei nicht sehr sympathisch".

    Im europäischen Konzert der Proteste, von Polen, über Deutschland und die Schweiz spielt Frankreich mit Abstand die erste Rolle, hier verliert man mittlerweile den Überblick über die Petitionslisten zur Freilassung Polanskis, hier, wo der medienträchtigste der so genannten Philosophen, Bernard Henry Levy, den Widerstand anführt, mit wehendem Haarschopf und weiter denn je geöffnetem weißem Hemd der Schweiz die Leviten liest:

    Es sei ein Skandal, dass ein 76-Jähriger, der das Krakauer Ghetto gekannt, den stalinistischen Terror erlitten und die schlimmsten Schrecken des Jahrhunderts durchlebt habe, jetzt im Gefängnis sitze, die Schweiz, die noch ganz andere Kriminelle beherberge, habe einen verhaftet, der vor 30 Jahren eine Jugendsünde begangen habe.

    Hoppla, sagt man sich, bei der eingestandenen "Jugendsünde" war Polanski immerhin 45 - und doch legt Filmregisseur und Mitunterzeichner der Petitionen, Costa Gavras noch eins drauf: Man solle endlich aufhören von Vergewaltigung zu sprechen, man müsse sich nur die Fotos anschauen, die 13-Jährige von damals sehe aus, wie 25 - auch da muss man nicht unbedingt gleicher Meinung sein.
    Zwei Tage hat es gebraucht, bis auch nachdenklichere Äußerungen zu vernehmen waren: Erfolgsregisseur Luc Besson zum Beispiel verwies darauf, dass vor dem Gesetz schließlich jeder gleich sei, er selbst habe eine 13-jährige Tochter und bei der Vorstellung, sie würde vergewaltigt, könne er nicht so verständnisvoll reagieren.

    Freilich, man kann sagen, in Europa wäre das Ganze längst verjährt, das Opfer selbst hat die Klage zurückgezogen und plädiert seit Jahren dafür, das Verfahren einzustellen
    Und doch bleibt bei den emphatischen Freilassungsappellen, die Polanskis Handeln vor drei Jahrzehnten im Grunde als Kavaliersdelikt abtun, auch ein ungutes Gefühl.

    Man darf gespannt sein, was in dieser Affäre am Ende mehr Gewicht haben wird: die Rechtsstaatlichkeit, auf die sich die Schweiz und die USA berufen, das diplomatische Gewicht einzelner beteiligter Staaten oder die internationale Solidarität von namhaften Kulturschaffenden.