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Polen
Mit dem Hausboot auf dem Weichsel-Werder Ring

Auf der Hausbootsfahrt von Elbing nach Danzig geht es durch schöne Landschaften und geschichtsträchtige Gegenden. Sie dauert mehrere Tage.

Von Wilfried Kochner |
    Die Altstadt von Danzig.
    Die Altstadt von Danzig. (Wilfried Kochner)
    Für ein paar Tage wird das Hausboot "Blei", der Name steht für eine Fischart aus dem Bereich der Karpfen, unser zu Hause sein. Magdalena Thumacz begleitet uns an Bord. Sie ist Mitarbeiterin des deutschen Charterunternehmens in Elbing und hilft uns bei der Verständigung mit dem Techniker Stanislaw Nowak. Er übernimmt heute die Einweisung. Sanfte Wellen schlagen gegen das Boot. Leicht schaukelt die "Elblag" hin und her. Auch für unerfahrene Skipper ist, was folgt, keine Herausforderung. Nautische Kenntnisse braucht hier keiner:
    "Also das Schiff ist mit einem Dieselmotor ausgestattet. Es gibt auch verschiedene Instrumente, die beim Fahren natürlich notwendig sind. Es hat zwei Ruder. Es gibt auch ein Echolot. Das Echolot zeigt, wie tief hier das Wasser ist, es zeigt vom Boden des Flusses bis zum Boden des Bootes. Wir haben auch einen Wasser- und einen Dieseltank und was noch, die Lage des Ruders."
    Und dann beschreibt Magdalena Thumacz auch noch spontan die Ausstattung der Kabine:
    "Und dann links sieht man also die Innenbeleuchtung, den Kühlschrank, alles mögliche, was zum Fahren nötig ist."
    Damit ist unsere Einführung auch schon beendet und wir können endlich den Motor starten. Jede Crew erhält vor dem Ablegen noch eine genaue Routenbeschreibung, damit unterwegs niemand verloren geht, sowie Landkarten und Ausflugtipps. Obendrein gibt es noch eine Notfallnummer.
    "Gut, dann wollen wir jetzt den Motor anlassen. Man muss ein bisschen abwarten, weil das Diesel ist."
    Worauf wir Freizeitskipper noch achten müssen, hat uns Techniker Stanislaw Nowak schnell vermittelt:
    "Am Wichtigsten ist es, auf die Route zu achten. Man muss genau darauf achten, damit man gut fährt. Nicht zu nah am Ufer und keine anderen Boote beschädigen. Man muss auch auf die Instrumente achten, die mit dem Motor und dem Schiff zusammenarbeiten. Außerdem muss man fahren und sich ausruhen."
    Magdalena Thumacz würde diese Ruhe gerne nutzen. Denn sie könnte stundenlang von den Orten entlang unserer Route und ihrer wechselhaften Geschichte erzählen. Doch sie muss wieder von Bord und beschränkt sich deshalb auf Elbing und schlägt dabei doch einen großen Bogen. Ganze sechs Häuser sind nach dem Zweiten Weltkrieg in der Innenstadt erhalten geblieben. 96 Prozent waren zerstört. Erst in den letzten 20 Jahren wurde Elbing im alten Stil neu errichtet:
    "Die Straßen, die Plätze – alles sieht aus wie vor dem Krieg. Wenn man den alten und den neuen Stadtplan von Elbing sieht und sie aufeinanderlegt, dann sind die Straßen genauso wie früher. Es ist noch nicht alles fertig. Das dauert ein bisschen, den privaten Investoren fehlt manchmal das Geld und deshalb sieht man noch Häuser, die noch ab und zu nicht wieder fertig sind. Aber sonst sieht alles sehr schön aus."
    Eine wirklich sehenswerte Stadt. Eine Stadt im Werden, denn noch sind nicht alle Häuser wieder aufgebaut. Wir verlassen jetzt endlich die neue Marina von Elbing gemächlich in Richtung Süden. Bis Danzig werden wir ein paar Tage unterwegs sein - bei Tempo 8 bis 10 km/h und viel Zeit für ausgiebige Landgänge haben.
    In der Nebensaison herrscht kaum Verkehr auf dem Wasser. Es ist still: Kein Straßenlärm ist zu hören, kein Fluglärm. Selbst die sonst so scheuen Kraniche und Graureiher fliegen nicht davon, als wir uns nähern. An den Ufern wuchert das Schilf. Seerosenfelder säumen die Ufer. Angler versuchen ihr Glück. Die Graureiher scheinen erfolgreicher zu sein.
    Aufstieg eines Bootes am Oberländer Kanal.
    Aufstieg eines Bootes am Oberländer Kanal. (Wilfried Kochner)
    Ohne Wasser unterm Kiel erleben wir den spektakulärsten Teil der Reise auf dem Oberländischen Kanal. Es knirscht und ächzt gewaltig und ruckelt etwas. Dann geht die Überquerung eines Moränenhügels auf dem Landweg los. Unser Hausboot wird fest vertäut auf einer Lore, einem Transportwagen, der auf Schienen fährt. Wasserkraft bewegt das dicke Stahlseil der Standseilbahn. Im Schritttempo geht es die grüne Ebene hinauf, auch Rollberg genannt, oben angekommen kommt wieder Wasser in Sicht. Unser Hausboot gleitet von der Lore wieder ins Wasser und wir setzen unsere Reise fort. Wir sind beeindruckt, denn das System funktioniert seit 1860, daran haben auch die jüngsten Renovierungsarbeiten nichts geändert. Und es ist einzigartig auf der Welt. Und ein wenig muss man an Werner Herzog denken, an Fitzcarraldo, nur müheloser.
    Fünf solcher Anlagen gibt es hier am Oberländischen Kanal. 30 Schleusen hätte man bauen müssen, um die gut 100 Meter Höhenunterschied zur Eylauer Seenplatte zu überwinden. Doch da Danzig unser Ziel ist, drehen wir um.
    Wieder an Elbing vorbei, biegen wir in den Jagiellonenkanal ein, dem ältesten Kanal Polens, und fahren die Nogat stromaufwärts. Natur, Technik, geschichtsträchtige Orte - wir haben schon so Einiges erlebt auf unserer Reise. Jetzt freuen wir uns auf den nächsten Landgang.
    An Steuerbord taucht Marienburg auf. Wir legen direkt unterhalb der Festung an. Verabredet sind wir dort mit der Fremdenführerin Teresa Ronkowska. Sie wird uns durch die größte Backsteinburg Europas führen:
    "Ich beschreibe normalerweise die Burg in drei Stunden den Besuchern. Solange dauert die Führung durch die Burg, mindestens drei Stunden, weil sie so groß ist die Burg. Ich glaube, jeder findet hier auf der Burg etwas für sich selbst, wenn es um die Geschichte geht. Historiker, Archäologen und die Leute, die das Interesse für Kunst haben. Das ist ein Museum jetzt. Es gibt viele Ausstellungen und jeder findet nach eigenem Interesse etwas Interessantes."
    Und wir müssen weiter. Unser Ziel: die Marina in Danzig, mitten in der Altstadt gelegen. Dort treffen wir den Danziger Stadtführer Andreas Kasperski:
    "Ja, das ist, was ich immer sage. Die Leute – also meistens – wenn sie sich nicht auskennen, bleiben hier im Zentrum, ist natürlich schön. Aber das Besondere an Danzig ist: Die Russen zerstörten die Innenstadt zu 90 Prozent im März 1945, die wurde annähernd wiederaufgebaut. Aber der ganze Rest der Stadt, der größte Teil der Stadt, war überhaupt nicht zerstört. Wenn der Zustand sich dann verschlechtert hat, dann überhaupt nur, weil man sich 70 Jahre nicht darum gekümmert hat. Jetzt aber, durch das Umdenken, wird es ja anders, das heißt, in all diesen Stadtteilen, die bei jungen Leuten immer beliebter werden, weil authentischer, das ist das wahre alte Danzig. Und hier kommt durch die Bürgerinitiativen, durch die Initiativen der Stadt Danzig ganz neues Leben rein. Und diese Stadtteile sollte sich jeder Tourist angucken, weil da hat man noch die Atmosphäre des alten Danzig und gerade jetzt durch die Entwicklung sind sie wirklich sehenswert."
    Mindestens zwei Tage muss man für eine ausgiebige Erkundung Danzigs schon einplanen, damit man auch zu sehen bekommt, was Andreas Kasperski so anschaulich beschreibt.