Präsidentenwahl in Polen
Politischer Stillstand oder Reformkurs?

Nach der ersten Wahlrunde in Polen treten der proeuropäische Trzaskowski und der nationalkonservative Nawrocki am 1. Juni in der Stichwahl an. Es geht um die Zukunft des Landes – und darum, ob Premier Tusk seinen Reformkurs durchsetzen kann.

    Rafał Trzaskowski schwenkt die polnische Flagge. Die Szene spielt sich am Sonntagabend, dem 18. Mai 2025, in Sandomierz ab. Im Hintergrund jubeln Unterstützer, viele halten kleine und große Polenfahnen in die Höhe.
    Der proeuropäische Trzaskowski lag bei der Präsidentschaftswahl in Polen knapp vor dem nationalkonservativen Nawrocki – nun kommt es zur Stichwahl. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Aleksander Kalka)
    Bei der Präsidentenwahl in Polen am 18. Mai 2025 hat keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erreicht. Am 1. Juni kam es daher zur Stichwahl zwischen dem liberalkonservativen Rafał Trzaskowski von der Bürgerplattform (PO) und dem nationalkonservativen Karol Nawrocki von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Die Abstimmung gilt als Richtungswahl für das EU- und Nato-Land Polen.
    Nach offiziellen Angaben hat Nawrocki die Wahl knapp für sich entschieden.
    Auch wenn ein EU-Austritt Polens nicht zur Debatte steht: Von der Präsidentschaftswahl hängt auch ab, wie sich Polen innerhalb der EU positioniert.

    Inhalt

    Was bedeutet das Ergebnis der ersten Wahlrunde für Polen?

    Nach der Wahl am 18. Mai ist die Ausgangslage für den proeuropäischen Rafał Trzaskowski deutlich schwieriger als zuvor angenommen. Zwar hat der liberale Kandidat die meisten Stimmen erhalten, doch die Mobilisierungschancen für seinen Herausforderer Karol Nawrocki könnten günstiger sein.
    Besonders ins Gewicht fällt, dass die beiden rechtsextremen Kandidaten Sławomir Mentzen und Grzegorz Braun gemeinsam auf rund 20 Prozent der Stimmen kamen, ein in dieser Höhe überraschendes Ergebnis. Ihre Wählerschaft könnte in der Stichwahl eher zu Nawrocki tendieren, was zusammen mit seinem eigenen Ergebnis rechnerisch für eine absolute Mehrheit reichen würde.
    Trzaskowski dagegen hat schwächer abgeschnitten als in den Prognosen erwartet. Noch schwerer wiegt, dass andere Kandidatinnen und Kandidaten aus seinem politischen Lager – mittelliberal bis linksliberal – nur sehr geringe Stimmenanteile erzielt haben. Zusammengerechnet kommt er derzeit nur knapp über 40 Prozent und liegt damit deutlich unter der Schwelle zur Mehrheit.
    Der Druck auf Trzaskowski, in den kommenden zwei Wochen zusätzliche Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren, etwa bisherige Nichtwähler oder Menschen, die ihn zwar kritisch sehen, aber Nawrocki verhindern wollen, ist entsprechend hoch.
    Kommentatoren in Warschau erwarten eine harte Auseinandersetzung zwischen der regierenden PO und der PiS, den beiden größten Parteien, die das politische Leben des Landes seit 20 Jahren dominieren.
    „Das Spiel um alles hat gerade erst begonnen. Ein harter Kampf um jede Stimme. Diese zwei Wochen werden über die Zukunft unserer Heimat entscheiden“, schrieb der proeuropäische Regierungschef Donald Tusk auf X.

    Wer sind die Kandidaten?

    13 Kandidatinnen und Kandidaten traten zur Wahl am 18. Mai an. Bereits seit Monaten deuteten alle Prognosen darauf hin, dass Rafał Trzaskowski, der liberalkonservative Bürgermeister von Warschau, und Karol Nawrocki, der nationalkonservative Kandidat mit Unterstützung der PiS, Kopf an Kopf liegen würden.
    Trzaskowski steht für ein liberales, proeuropäisches Polen, für die Rechte von sexuellen Minderheiten, für eine Liberalisierung des sehr strengen polnischen Abtreibungsrechts. Im Wahlkampf ist er beim Thema Migration nach rechts geschwenkt und setzt nun eher auf Abschottung. Doch er gilt als derjenige Bewerber, der dafür sorgen könnte, dass der Reformkurs von Tusk fortgesetzt und umgesetzt werden kann.
    Die Anhänger des 53-Jährigen loben seine proeuropäische Haltung und seine Rolle bei der Modernisierung Warschaus, in das während seiner Amtszeit erhebliche Investitionen in Infrastruktur und Kultur geflossen sind.
    Kritiker werfen ihm Ineffizienz und Verschwendung in der Warschauer Verwaltung vor. Für Trzaskowski ist es die zweite Präsidentschaftskandidatur, nachdem Duda ihn vor fünf Jahren knapp besiegt hatte.
    Karol Nawrocki, der bei der ersten Wahlrunde nur knapp hinter Trzakowsi liegt, ist – obwohl kein Parteimitglied – der Kandidat der PiS, die bis 2023 acht Jahre lang auch den Regierungschef gestellt hatte. Die Partei stellt sich gegen den Reformkurs von Tusk. Mit der Macht des Präsidentenamtes könnte die PiS die Regierung mindestens bremsen, wenn nicht sogar blockieren.
    Präsidentschaftskandidat Nawrocki bei einem Besuch im Weißen Haus bei US-Präsident Donald Trump.
    Präsidentschaftskandidat Karol Nawrocki wird von der PiS-Partei unterstützt. (picture alliance / ZUMAPRESS.com / White House)
    Der 42-Jährige Nawrocki leitet das Institut des Nationalen Gedenkens, wo er Russland mit seinen Bemühungen gegen sich aufbrachte, Gedenkstätten aus der Sowjetzeit aus der Öffentlichkeit zu entfernen.
    In seiner akademischen Arbeit beschäftigte er sich mit dem antikommunistischen Widerstand und der organisierten Kriminalität in Polen in der Zeit des Kommunismus. Nawrocki gilt als Bewunderer von US-Präsident Trump.
    Dritt- und Viertplatzierte wurden Sławomir Mentzen und Grzegorz Braun, beide Vertreter des rechtsextremen Lagers. Sie gelten als offen antieuropäisch. Beide konnten vor allem bei jungen Wählerinnen und Wählern punkten.

    Welche Macht hat der Präsident in Polen?

    Ein Großteil der politischen Macht in Polen liegt beim Ministerpräsidenten und dem Parlament, dennoch hat der Präsident weit mehr als nur zeremonielle Befugnisse. Das Staatsoberhaupt ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und spielt eine wichtige Rolle in der Außenpolitik.
    Besonders wichtig: Der Präsident kann ein Veto gegen Gesetze einlegen. Der bisherige PiS-nahe Präsident Andrzej Duda, der nach zwei fünfjährigen Amtszeiten nicht erneut antreten darf, blockiert bisher zentrale Vorhaben von Tusks Koalitionsregierung. Unter anderem geht es um die geplante Rückabwicklung jenes vielkritisierten Staatsumbaus, den die PiS-Partei von Jarosław Kaczyński in ihrer Regierungszeit umgesetzt hatte. Ein Dauerstreitthema ist die Justiz in Polen. Deshalb blickt auch die EU ganz genau auf die Wahl.

    Wie ist die politische Stimmungslage in Polen?

    Seit dem Regierungswechsel in Polen Ende 2023 blockiert der amtierende Präsident Duda fast alle Gesetzvorhaben der von Tusk geführten Koalitionsregierung. Ob bei der Justizreform, dem vereinfachten Zugang zu Verhütungsmitteln oder dem Haushaltsgesetz – immer wieder verweigerte der konservative Präsident seine Unterschrift. Es herrscht also ein politischer Stillstand.
    Hinzu kommen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Mitte-Links-Regierungskoalition, die von Tusks Bürgerplattform angeführt wird. Koalitionsinternen Streit gibt es etwa um die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Bei einer Umfrage im Januar 2025 unterstützten nur noch 31 Prozent der Befragten das Kabinett Tusk. 43 Prozent waren gegen die amtierende Regierung.

    Welche Themen bestimmen den Wahlkampf?

    Die Präsidentschaftswahl ist im Grunde eine Fortsetzung der Parlamentswahl von 2023: Für Trzaskowski und seine Unterstützer geht es um die Frage, ob Polen in Europa bleibt, ob das Land ein demokratischer, konstruktiver Partner bleibt, ob demokratischer Diskurs überhaupt möglich ist.
    Für Nawrocki und das PiS-Lager steht angeblich die nationale Souveränität auf dem Spiel, bedroht durch Deutschland und eine EU, die aus ihrer Sicht von Berlin gesteuert wird.
    Das Thema Sicherheit belegt seit Wochen den ersten Platz, wenn es in Umfragen um die wichtigsten Probleme des Landes geht. Danach kommen die Wirtschaft, das Gesundheitssystem und die steigenden Preise.
    Während der Amtszeit der PiS-Regierung hat sich die gesellschaftliche Spaltung in Polen vertieft: die Kluft zwischen nationalkonservativ und liberal, zwischen dem östlichen Polen und dem Westen des Landes, zwischen Großstädten und ländlichen Gebieten.

    Warum ist die Wahl so wichtig?

    Ein Sieg des PiS-Kandidaten wäre ein großes Hindernis für die Regierung von Tusk. Die nächste Parlamentswahl in Polen findet 2027 statt. Sollte Nawrocki aus dem Präsidentenamt heraus die Regierungspolitik blockieren können, stünden die Chancen der PiS auf einen Wahlsieg in zwei Jahren besser.
    Bei der Wahl geht es auch um die Frage, ob Polen es schafft, sich von der PiS zu lösen, die acht Jahre durchregiert und alles daran gesetzt hatte, ihre Macht zu sichern: Sie brachte eigene Leute in zentrale Strukturen, nahm Einfluss auf Medien, Kultur, Bildung und vor allem auf die Justiz.
    Noch ein anderes Szenario sorgt in Polen und in der EU für Befürchtungen: Die PiS hatte in ihrer Regierungszeit vor allem die Gerichte nach ihren Vorstellungen organisiert und besetzt. Das war Gegenstand von Streit zwischen Polen und der EU.
    Und das Gericht, das am Ende darüber entscheiden wird, ob die Wahl gültig ist oder nicht, ist besetzt mit sogenannten Neo-Richtern. Das sind von der PiS eingesetzte Richter, die von der jetzigen Tusk-Regierung nicht anerkannt werden.
    Die Sorge: Das Gericht könnte einen knappen Wahlsieg Trzaskowskis für ungültig erklären und eine Wiederholung anordnen. Dieses Szenario gilt als extrem und eher unwahrscheinlich – wird in Polen aber öffentlich diskutiert.

    tei, ema, mit AP und AFP