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Polen wider Willen

In Polen lebten - nachdem 1945 die Grenzen neu gezogen waren - noch rund 250tausend Ukrainer. Die polnischen Kommunisten beschlossen, die Ukrainer zwangsumzusiedeln - nicht zuletzt aus Angst vor den Übergriffen der ukrainischen Partisanen. So mussten ganze Dörfer in die ehemals deutschen Gebiete: Ostpreußen, Niederschlesien und Pommern ziehen. In den neuen Dörfern wurden die Ukrainern streng überwacht, selbst Hochzeiten mussten von den polnischen Behörden genehmigt werden.

Von Jan-Uwe Stahr und Wojtek Mroz |
    Etwa 700 Mitglieder hat die griechisch-katholische Gemeinde in Kolobrzeg (Kolobjek), dem früheren Kolberg. Es sind ukrainischstämmige Polen, die 1946 an die Ostsee zwangsumgesiedelt wurden. Die Gemeinde wurde aber erst vor einigen Jahren gegründet, denn im kommunistischen Polen wurde alles, was den Ukrainern eine Heimat in der Fremde gegeben hätte, verboten: ihre Religion, ihre Sprache und ihre Musik. Erst jetzt dürfen sich die polnischen Ukrainer auch offiziell wieder zu ihren Wurzeln bekennen. Inzwischen wollen das aber gar nicht mehr alle. In manchen Familien sind beide Lager vertreten, wie beispielsweise bei den Tymas. Mit drei Generationen leben die Bauernfamilie unter einem Dach.

    Mit schnellen Schritten kommt ein Mann über den matschigen Hof gestapft. Er trägt eine dicke Weste über dem karierten Flanellhemd, die Jeans sind stecken in grünen Gummistiefeln. Seine roten Wangen leuchten. Die wachen, blauen Augen mustern die Gäste. "Guten Tag ich bin Jurek Tyma" sagt der Landwirt.

    Er sei ein großer Anhänger der Europäischen Union, sagt Jurek Tyma gleich zur Begrüßung. "Ohne die EU-Osterweiterung wären hier wieder Konflikte entstandenaufgetaucht". Was er damit meint, sagt der Bauer nicht. Aber man merkt: Er mag nicht über die Vergangenheit reden. Jurek Tyma ist 44 Jahre alt. Und auf dem ehemals deutschen Hof in Powalice geboren. Als Kind von zwangsumgesiedelten Ukrainern.

    An dem alten Bauernhaus rankt wilder Wein. Die weiße Fassade ist frisch gestrichen. Hinter den StäIlen stehen ein großer, neuer Schlepper und eine Erntemaschine. Auf einer Holzbank neben der Haustür liegt eine Kartoffel: ein Riesenexemplar.

    "Ein Kilo und vierzig Gramm", sagt Anton Tyma und lächelt stolz. Der 88 jährige Senior kommt aus dem Schweinestall. Die dicke Brille ist beschlagen. Die Hörgeräte pfeifen. Aber sein Gang ist kerzengerade. Die beiden Tymas bitten hinein in ihr Wohnhaus. Die ganze Familie sitzt schon am Tisch. Großmutter Tyma, die Schwester von Jurek Tyma, seine Frau und die Tochter. Ein Begrüßungsschnaps wird ausgeschenkt. Der Großvater nimmt sich ein Glas, setzt sich in den Sessel und gibt ein Zeichen zum Trinken. "1947 sind wir Ukrainer hierhin gekommen" sagt er. Aber vorher hätten hier schon zwei Jahre lang die Polen gehaust.

    Hier war ein ziemlicher Trümmerhaufen. Die vorherigen Bewohner hatten so ziemlich alles abmontiert und weggenommen. Aber ich dachte ich nehme diesen Hof. Die Felder waren nicht weit. Ich habe einen Antrag gestellt und gleich eine Zusage bekommen.

    Die zwangsumgesiedelten Ukrainer bekamen damals eine kleine Unterstützung von den polnischen Behörden. Damit konnten er und seine Frau Maria das Haus notdürftig reparieren. Die ersten 17 Jahre musste der Bauer als Waldarbeiter schuften. "Maria, und ich hatten eine harte Zeit", sagt Grossvater Anton und gießt noch einen Schnaps aus. Auch Maria bekommt noch einen. Mit geschmeidiger Bewegungen reicht die schlanke 82 jährige ihrem Mann das Glas. Setzt sich aufrecht auf das Sofa. Lächelt wie ein junges Mädchen. Maria Tyma kann sich noch genau daran erinnern, wie sie ihre Heimat nahe der ukrainischen Grenze verlassen mussten, im Mai 1947:

    Unsere Männer waren morgens früh auf das Feld gefahren. Und dann kamen Soldaten indas Dorf. Wir mussten uns vor der Kirche versammeln. Und dann wurde uns gesagt: Ihr habt zwei Stunden Zeit alles einzupacken und dann fahrt ihr in den Westen. Ich musste die Männer holen. Jede Familie durfte noch eine Kuh und ein paar Säcke Weizen mitnehmen. Dann wurden wir zum Bahnhof gebracht. Und in die Waggons eingeladen. Eine Woche lang sind wir gefahren. Dann wurden wir hier nach Karlino gebracht und die Familie wurden auf die Dörfer verteilt. Ein paar hierhin und der Rest woanders.

    Es dauerte Jahre bis die ukrainischen Bergbauern begannen, sich zwischen den Polen an der Ostsee zu Hause zu fühlen. Großmutter Maria schaut ihren jüngsten Sohn an: Jurek, der die alten Geschichten eigentlich nicht mehr hören mag.

    Als meine Kinder hier geboren wurden. Größer wurden und dann später hier zur Schule kamen, da fühlte ich, dass wir nun wirklich hier sind und hier bleiben.

    Die Tymas fanden sich damit ab, dass sie keine Ukrainer mehr sein durften. Dass die Kinder wie Polen römisch-katholisch getauft wurden und nicht wie Ukrainer griechisch-katholisch. Und damit, dass sie die ukrainsche Sprache nicht mehr lernten. Aus Ukrainern sollten Polen werden, so wollte es der Staat. Aber dennoch bekamen sie zu spüren, dass sie Außenseiter waren. Zum Beispiel auf der Schule, wie Jurek Tyma nur ungern erinnert.

    Na ja, ab und zu doch. Weil ich ein Ukrainer war und kein Pole. Als ich zur Schule gegangen bin, noch 1970 - fast 30 Jahre nach dem Krieg, hatten die Leute noch nicht vergessen, was zuhause erzählt wurde. Die Ukrainer waren böse. Und hier bei uns hat meine Mutter erzählt: die Polen waren böse. Da war noch immer der Krieg. Und manchmal wurde ich in der Schule als Ukrainer beschimpft. Aber meine Kinder werden heute nicht mehr als Ukrainer beschimpft.

    Bei den Tymas wird heute nur noch polnisch gesprochen, auch zu Hause in der Familie. Viel wichtiger als die ukrainische Sprache, sie heute das Deutsch, findet Jurek. Auch er habe es gelernt. Nicht in der Schule sondern in Deutschland. In den neunziger Jahren war er oft da. Als Erntehelfer auf einem Hof in Itzehoe..

    Wir haben einen engen Kontakt zu einem Deutschen aus Itzehoe. 1981 hat er uns er das erste mal besucht. Er war danach einige male hier und wir waren bei ihm. Er hat uns geholfen

    Der deutsche Freund der Tymas kommt aus Powalice, dem damaligen Petershagen. Seiner Familie gehörte bis 1945 der Hof, auf dem heute die Tymas leben. "Er versteht, dass der Krieg uns das Schicksal beschert hat" sagt Jurek. In Deutschland habe er auch gesehen, wie eine moderne Landwirtschaft funktioniert. Dass man einen großen Hof braucht und moderne Maschinen. Auch einen Computer mit Internetanschluss hat der Landwirt Jurek Tyma inzwischen angeschafft. Damit er sich die neuesten Informationen und die Förderanträge von der EU herunterladen kann. Aber auch nach Feierabend sitzt der Bauer oft am PC. Dann komponiert er Lieder für seine 19jährigen Tochter Marta. Eine Lobeshymne auf die Europäische Union zum Beispiel.

    "Sie hat mit dem Lied sogar einen Preis gewonnen. 5000 Sloty auf einem Festival in Kattowitz" sagt Großvater Anton stolz. Er sitzt im Sessel und hält sein leeres Glas in die Höhe. "Marta singt auch unsere alten Lieder aus der Ukraine". Großvater und Großmutter Tyma lächeln zufrieden. Dann nehmen alle noch einen Schnaps. Außer Marta. Sie geht an den Computer und klickt mit der Maus auf ein Lied an aus der alten Heimat: Der Ukraine.