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Polens illegale Bergleute

Ende der 1980er-Jahre begann in Polen das große Zechensterben. Allein im polnischen Niederschlesien gingen 15.000 Jobs verloren. Seitdem schlagen die Menschen illegal Stollen in den Stein und riskieren für ein paar Stück Kohle ihr Leben.

Von Florian Kellermann | 15.04.2013
    Am Stadtrand von Walbrzych, dem früheren Waldenburg, befindet sich eine große Wohnsiedlung: In den langen, zweistöckigen Gebäuden wohnten früher die Angestellten eines Bergwerkes aus der Nähe. Der Schacht ist längst dicht, aber die Häuser sind noch bewohnt. Die Luft riecht nach verheizter Kohle. Wer dem Geräusch der Motorsäge folgt, trifft auf eine bizarre Szenerie: Mitten im Wald haben Männer in fleckigen Jacken und Handwerkerhosen ein Loch gegraben, viereinhalb Meter tief. Das Holz benutzen sie zur Stabilisierung des Schachts. Einer der Männer steht unten und schaufelt Kohlestücke in einen Eimer, er hat sie vorher mit Hammer und Meißel aus dem Gestein gebrochen. Die Männer oben ziehen den Eimer hoch.

    "In Walbrzych gibt es doch keine Arbeit. In bin seit anderthalb Jahren beim Amt gemeldet - als ausgebildeter Elektromechaniker, aber nichts. Hier habe ich täglich meinen Verdienst, das ist doch besser, als zu Hause herumzusitzen."

    Kamil ist 24 Jahre alt - er arbeitet täglich fünf bis zehn Stunden in den illegalen Kohlegruben rund um Walbrzych. Biedaszybnicy heißen solche wie er im Volksmund: Männer, die sich aus Armut selbst einen Kohleschacht graben. Trotzdem ist Kamil ein bisschen stolz auf seinen Beruf: Wenn es die richtigen Bergwerke in Walbrzych noch gäbe, dann würde er sicher dort arbeiten, sagt er, so wie sein Vater früher. Die niederschlesische Stadt war einst ein Zentrum der polnischen Kohleförderung. Bis 1990 arbeiteten hier 20.000 Menschen unter Tage. Dann beschloss die damalige Regierung, die Bergwerke zu schließen, anders als in Oberschlesien. Das traf vor allem diejenigen Bergleute hart, die noch keine 15 Jahre angestellt waren: Sie haben kein Anrecht auf eine Rente. Einer der ersten, die so zu Biedaszybnicy wurden, war Adam, heute 43 Jahre alt. Nach dem, was er erlebt hat, könne er kein Patriot mehr sein, sagt er, aber besondere Wut habe er auf die Polizei.


    "Manche von denen sind ja in Ordnung. Die sagen: Ihr habt eine Viertelstunde, dann seid ihr von hier verschwunden. Aber andere sind richtige Hunde. Die wollen uns anzeigen und hohe Bußgelder verpassen. Denen macht es richtig Spaß, uns durch den Wald zu jagen."

    Aber selbst wenn sie erwischt werden: Das Bußgeld zu bezahlen, kommt für die Männer nicht infrage. Sie gehen lieber für einen Monat ins Gefängnis. Das illegale Graben lohne sich trotzdem sagen sie, es bringe pro Mann mindestens 500 Euro im Monat. Wie viele Biedaszybnicy es gibt, will Adam nicht sagen, das sei ihr Geheimnis. Die Angaben der Polizei, die von maximal 150 Personen ausgeht, seien jedenfalls weit untertrieben, versichert er. Viele Jugendliche schlössen sich ihnen an. Die Verantwortlichen von Walbrzych reden nicht so gerne über dieses Thema. Es schade dem Image der Stadt, sagt Anna Zabska, Assistentin des Bürgermeisters.

    "Das ist doch nur eine Randerscheinung, Walbrzych entwickelt sich sehr positiv. Im Industriegebiet gibt es inzwischen 6.000 Arbeitsplätze. Wir haben auch ein Zentrum für Beschäftigung gegründet, das Arbeitslose anstellt, zum Beispiel in der Stadtreinigung."

    Doch davon wollen die Biedaszybnicy nichts hören. Sozialarbeit für ein halbes Jahr sei schließlich keine Lösung. Und das Industriegebiet, wo sich auch einige deutsche Unternehmen niedergelassen haben? Von den Gehältern, die dort gezahlt werden, könnten sie keine Familie ernähren, sagen sie. Um ihre Interessen besser zu vertreten, haben sie inzwischen einen offiziell eingetragenen Verein gegründet. Er hat immerhin erreicht, dass viele Mitbürger in Walbrzych heute Respekt vor den Biedaszybnicy haben. Das große Ziel, den Kohlebergbau in Walbrzych wieder aufleben zu lassen, wird der Verein aber kaum erreichen. Das sieht auch der 24-jährige Kamil so:

    "Ich denke die ganze Zeit darüber nach auszuwandern. Meine Mutter wohnt schon in Deutschland. Wenn sie mir dort eine Arbeit besorgt, werde ich nicht mehr lange überlegen. Hier gibt es keine Zukunft."