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Polens Jugend - gläubig und strebsam?

Die polnische Gesellschaft zählt zu den jüngsten in Europa: 16 Prozent sind unter 24. Polnische Soziologen werden nicht müde, der Jugend des Landes griffige Labels zu verpassen: Generation Nichts, Generation Johannes Paul, Generation 1200 Zloty. Derzeit befassen sich viele polnischen Schüler vor allem mit den bevorstehenden Abiturprüfungen, die durch das Bildungsministerium in letzter Minute noch einmal durch eine Änderung der Prüfungsordnung verschärft worden sind.

Ernst-Ludwig von Aster berichtet aus Polen | 18.12.2008
    Gut 30 Schüler drängen sich in dem kleinen Aufenthaltsraum. Trinken Saft oder Wasser. Diskutieren. Pause am Zbigniew-Herbert-Lyceum, einer Oberschule im westpolnischen Slubice.

    " Gestern haben wir erfahren, dass sich die Prüfungsbedingungen für das Abitur schon wieder ändern. Ich mache einen humanistischen Abschluss hier. Als wir anfingen, hieß es, dass wir Mathe als Pflichtfach noch dazu nehmen müssen. Das war schon eine böse Überraschung. Denn da sind wir einfach schlecht. Und jetzt haben wir erfahren, dass wir noch ein naturwissenschaftliches Prüfungsfach bekommen. Zusätzlich zur Mathematik . "

    Mikolai Tschierkowski ist sauer. Der 17-Jährige mit der schlaksigen Figur, den Schal um den Hals, will in einem Jahr die Matura, das polnische Abitur, machen. Mit geisteswissenschaftlichem Schwerpunkt. Zum wiederholten Mal hat nun das Bildungsministerium in Warschau die Prüfungsregeln geändert. Plötzlich werden die angehenden Geisteswissenschaftler auch noch in Naturwissenschaften geprüft.

    " Das ist einfach nicht fair. Nicht jeder Schüler kann nun auch noch zusätzlich in Biologie bestehen. Oder in Geographie oder Physik. Das ist Selbstmord, "

    schimpft Agnieska, seine Klassenkameradin. Sie steht daneben. Die Wangen leicht gerötet. Für viele von uns wird die Matura zur Zitterpartie, sagt die 17-Jährige,. Mikolai nickt.

    " Wir haben mit den Eltern gesprochen, die sprechen mit den Lehrern. Und die Direktorin diskutiert auch mit den Eltern. Aber ich glaube, wir haben kaum Chancen, etwas zu ändern. "

    Keiner will die Warschauer Entscheidung verteidigen, sagen sie. Alle sind dagegen. Die Lehrer, weil sie nun im Schnelldurchgang neues Wissen vermitteln müssen, die Direktorin, weil alle an ihrer Schule unzufrieden sind, die Schüler weil das Wissens-Pensum kaum zu schaffen ist.

    " Wir haben untereinander diskutiert. Aber wir haben nicht demonstriert. Die Möglichkeit das wir hier auf die Straße gehen ist sehr gering, Wir sind hier eine kleine Schule. In Danzig oder Gdingen, wo die Schulen größer sind, da, kann es vielleicht zu Protesten kommen. "

    Doch bisher ist auch dort alles ruhig. Agnieska zuckt mit den Schultern. Sie kennt die Bilder aus Frankreich und Italien. Wo in diesem Jahr zehntausende Schüler und Studenten zum Teil mit ihren Lehrern auf die Straße gingen, gegen die Bildungspolitik aus Paris und Rom mobil machten. In Polen aber ist es wie immer, sagt Agnieska: "Ruhig". Sie hat noch nie demonstriert, es gab einfach keine Gelegenheit, sagt sie. Mikolai verschränkt die Arme von dem Bauch. Nickt.

    " Wenn etwas Schlimmes passiert, dann helfen wir schon. Aber wenn wir eine Klassenarbeit schreiben und jemand möchte abschreiben, dann lassen wir ihn nicht. Wir glauben, wenn jemand was wissen möchte, sollte er auch lernen. Abschreiben ist unanständig. "

    Alle zusammen. Aber am Ende jeder für sich. Die Mitschüler die drumherum stehen, haben zugehört. Keiner widerspricht. Vor drei Jahren erklärten die Soziologen die Jugend Polens zur "Generation" JP 2". JP steht für Johannes Paul. Weil sie alle mit dem polnischen Papst aufwuchsen, und tausende Jugendliche in öffentlichen Gedenkveranstaltungen für ihn beteten, als sich sein Gesundheitszustand drastisch verschlechterte. Ein Jahr später schon gehörten Mikolai und Agnieska zur sogenannten Generation "Pokolenie 1200 Zloty". Das waren damals umgerechnet rund 400 Euro. Eine Anspielung auf die schlechten Gehälter von Uni-Absolventen.

    " Das ist der niedrigste Lohn, den ein Pole zur Zeit verdienen darf. Und es gibt solche Gruppen, die so wenig verdienen, das hört man immer wieder, Auf der Straße oder in den Geschäften. "

    Aber auch dagegen protestiert niemand, sagt Agnieska. So ist es eben. Mikolai nickt. Der Protest der Solidarnosc-Gewerkschaft, die Streiks und Demonstrationen, die einst den sozialistischen Staats ins Wanken brachten - das alles ist für ihn Geschichte. Die hat mit der Gegenwart in Polen nichts mehr zu tun. Und mit ihrer Generation auch nicht:

    " Ich glaube, dass die Polen generell Individualisten sind. Hier denkt erst einmal jeder an sich. So ist das. Es war so, und es wird auch so bleiben. "