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Polens Kommunisten und der Antisemitismus

1967 hatte Israel im Sechs-Tage-Krieg seine arabischen Nachbarn militärisch besiegt. In der Sowjetunion lief daraufhin die Propaganda gegen Israel auf Hochtouren. Die polnische Parteiführung schloss sich im Jahr 1968 mit dem Schlagwort "Kampf gegen den Zionismus" an. Rund 15.000 Polen jüdischer Herkunft sahen sich gezwungen, das Land zu verlassen. Jetzt hat das polnische Institut für Nationales Gedenken zu einer Tagung nach Warschau geladen. Wissenschaftler und Zeitzeugen gedenken der 40-jährigen Wiederkehr der antisemitischen Kampagne.

Von Martin Sander |
    "Wenn es um die polnisch-jüdischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg geht, dann gibt es da ein Jahr der Schande. Das ist das Jahr 1968, in dem sich die Machthaber des kommunistischen Polen antisemitischer Parolen bedienten, um einen neuen innenpolitischen Kurs zu steuern."

    Janusz Kurtyka ist Direktor des Instituts für Nationales Gedenken, des IPN, der bedeutendsten Institution für polnische Vergangenheitsbewältigung. Aus Anlass der 40-jährigen Wiederkehr der antisemitischen Kampagne von 1968 hat das IPN Wissenschaftler und Zeitzeugen aus aller Welt nach Warschau geladen. Der Politologe Dariusz Stola von der Polnischen Akademie der Wissenschaften betonte die kalte Rationalität der kommunistischen Machthaber bei einer politischen Operation, in deren Folge sich rund 15.000 Polen jüdischer Herkunft - führende Intellektuelle und viele Parteimitglieder - mit ihren Angehörigen gezwungen sahen, Polen zu verlassen.

    "Die Kampagne, über die wir sprechen, war eine staatliche Kampagne, durchgeführt mithilfe des Staatsapparats, mithilfe von Entscheidungen von Menschen, die diesen Apparat kontrollierten. Sie waren rationale Akteure, die weitaus nüchterner kalkulierten, als man es heute glauben möchte."

    "Kampf gegen den Zionismus" lautete in Polen vor vierzig Jahren das allgegenwärtige Schlagwort, ausgegeben vom nationalkommunistischen Flügel der Arbeiterpartei, gerichtet gegen Reformer aller Couleur. 1967 hatte Israel im Sechs-Tage-Krieg seine arabischen Nachbarn militärisch besiegt. In der Sowjetunion lief daraufhin die Propaganda gegen Israel auf Hochtouren. Die polnische Parteiführung schloss sich an und sprach von der Achse Tel Aviv-Bonn mit dem amerikanischen Imperialismus im Hintergrund. Parteichef W³adys³aw Gomu³ka unterstellte eine fünfte Kolonne des Zionismus in der polnischen Arbeiterpartei, welche die Aggressionspolitik Israels unterstütze.

    Gomu³kas Mannschaft, wirtschaftlich erfolglos und reformunfähig, fand zunehmend Kritik in den eigenen Reihen. Bald gingen auch die Studenten auf die Straße, um gegen das Regime zu demonstrierten. Einige Parteikritiker waren jüdischer Herkunft. Sie wurden zur Zielscheibe der Nationalkommunisten unter Führung von Innenminister Mieczys³aw Moczar. Man verleumdete Gegner aller Couleur als arbeiterfeindliche Intellektuelle und Zionisten, mithin als Verräter, die keine polnischen Interessen vertreten würden.

    Plötzlich hatte die Partei wieder Zulauf und konnte beim Proletariat ein wenig punkten, während die katholischen Bischöfe warnten. Die angeblichen Zionisten verloren Parteiämter, Lehrstühle und Studienplätze. Schließlich wurden sie aus dem Land gedrängt und mussten auch noch auf ihre polnische Staatsbürgerschaft verzichten. Die Wissenschaftlerin und Schriftstellerin Viktoria Korb war eines der Opfer der Kampagne:

    "Das erste war, dass ich plötzlich ein Disziplinarverfahren hatte. Und das endete meistens mit dem Rausschmiss aus der Hochschule. Alle Leute, die diese Disziplinarverfahren hatten, waren fast ausnahmslos Juden. Und zuhause war ganz eindeutig, dass mein Vater verfolgt wurde. Man hat ihn in seinem Betrieb aufgefordert, sich von diesen Zionisten zu distanzieren. Stattdessen hat er sein Parteibuch abgegeben, ist aus der Partei ausgetreten."

    Viktoria Korb verließ Polen mit ihrer Familie im August 1968 und ging über Wien nach Berlin. Die Warschauer Konferenz - Auftakt zu einer Reihe von Veranstaltungen, mit denen Polen der Ereignisse von 1968 gedenkt - widmet sich auch den Folgen und der Vorgeschichte, einschließlich des Holocaust. Man fragt nach den Gründen für das kommunistische Engagement vieler assimilierter Juden und deren besonders ausgeprägte polnische Identität bis in das Jahr 1968. Jaff Schatz ist heute Professor am Institut für jüdische Kultur im schwedischen Lund:

    "Die Mehrheit der jüdischen Parteimitglieder schloss eine Emigration aus. Ihre Entschiedenheit und ihre ideologische Haltung illustriert eine Anekdote aus jener Zeit: Wer bliebe in Polen, wenn die Grenzen offen wären und jeder emigrieren könnte? Nur Juden, die beweisen wollen, dass sie keine Zionisten sind."