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Polit-Spektakel mit Dame

Seit einem Jahr läuft der Präsidentschaftswahlkampf in den USA. Mit den ersten Vorwahlen - wie immer im Bundesstaat Iowa - kommt nun endlich der Wähler zu Wort. In Iowa wohnt zwar gerade mal ein Prozent aller Amerikaner, noch dazu fast nur Weiße, von denen schätzungsweise 250.000 zur Wahl gehen. Doch das Urteil dieser wenigen hat enormes Gewicht.

Von Klaus Remme | 02.01.2008
    Gesucht wird der nächste Präsident für 300 Millionen Amerikaner. Joe Biden, erfahrener US-Senator und demokratischer Kandidat der zweiten Reihe sagt es seinen Zuhörern täglich: Dies ist für sie alle die bisher wichtigste Wahl ihres Lebens.

    "Entweder bringen wir die Welt und dieses Land wieder in die richtige Bahn oder es wird auf absehbare Zeit große Probleme geben", warnt Biden. Eine Warnung, die vermutlich alle Kandidaten unterschreiben würden. Seit einem Jahr läuft der Wahlkampf, so gesehen ist Halbzeit in diesem Marathon, der am Ende mehrere Milliarden Dollar kosten wird. Allein die beiden Hauptkontrahenten werden zusammen eine Milliarde Dollar ausgeben. Doch soweit ist es noch nicht. Für Republikaner UND Demokraten gleicht schon die Nominierung des Kandidaten einer Zerreißprobe. Und in dieser Phase des Wahlkampfs geht es nicht um Inhalte und Programme. David Yepsen beobachtet die Vorwahlen seit Jahrzehnten für Iowas wichtigste Tageszeitung, den Des Moines Register:

    Der Wähler schaut vor allem auf die Persönlichkeit des Kandidaten, und er fragt sich: Kann dieser Kandidat nachher auch gewinnen, meint Yepsen. An unterschiedlichen Persönlichkeiten mangelt es in diesem Jahr wahrlich nicht. Ein Schwarzer, ein Latino, eine Frau, ein Mormone - neben scheinbar alten Bekannten aus dem Mainstream beider Parteien haben ungewöhnliche Bewerber eine Chance, die dieser Wahl das rechtmäßige Etikett historisch aufdrücken könnten. Wie immer beginnen die Vorwahlen im Bundesstaat Iowa, wo gerade mal ein Prozent aller Amerikaner lebt, noch dazu fast nur Weiße, und von denen gehen morgen schätzungsweise nur etwa 250.000 Menschen zur Wahl. Doch das Urteil dieser Wenigen hat enormes Gewicht. In Iowa begann der Aufstieg von Jimmy Carter 1976, hier gewannen Walter Mondale 1984, Al Gore 2000, John Kerry und George Bush 2004, und alle wurde sie am Ende nominiert. Und weil das so war, besuchen die Bewerber seit Monaten alle 99 Landkreise, jede Stadt, jedes Dorf. Wer will, kann den nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten also persönlich befragen. Dennis Goldberg ist Politikwissenschaftler in Iowas Hauptstadt Des Moines, er lächelt verschmitzt.

    Kein vernünftiger Mensch käme auf die Idee ein derartiges Auswahlverfahren zu entwerfen, so Goldberg. In der Tat, das, was morgen in Iowa stattfinden wird - vor allem bei den Demokraten - hat mit einer herkömmlichen Wahl nichts zu tun. Der so genannte Caucus ist eine Parteiversammlung, ein Polit-Spektakel, dass nebenbei gesagt, viel Spaß machen kann. Briefwahl? Unbekannt. Geheime Wahl? Im Gegenteil. Und wer es sich nach seiner Entscheidung noch mal anders überlegt? Überhaupt kein Problem.

    Die Spielregeln sind entscheidend, viele Kandidaten, hier John Edwards, haben eigens ein Video gedreht, damit jeder weiß, worum es geht. Dennis Goldberg:

    " Wer mitmachen will, muss sich vielleicht um einen Babysitter kümmern, hoffen, dass kein Schneesturm kommt, und man muss ein paar Stunden dabeibleiben, mit anderen Worten, es ist viel mehr als mal schnell seine Stimme am Computer abgeben. "

    Das Verfahren in Kürze: Wer wählen will, muss morgen Abend um halb sieben im Wahllokal sein, danach werden die Türen geschlossen, die Anwesenden gezählt. Je nach Wahlkreis können das zwischen 20 und 300 Leuten sein. Die Anhänger der jeweiligen Kandidaten stellen sich in Gruppen auf. Man muss als Gruppe wenigstens 15 Prozent aller Teilnehmer stark sein. Gelingt dies nicht, ist die Gruppe und damit der Kandidat aus dem Rennen und die "Verlierer" können nach Hause gehen oder - jetzt wird es spannend - sich einer anderen Gruppe anschließen.

    Die heimatlosen Wähler werden nun durch Argumente, durch Bitten und Flehen umworben. Heftige Diskussionen zwischen Familienmitgliedern, Nachbarn und Freunden. Erst danach werden die Stimmen endgültig gezählt. Diese Phase war beim letzten Mal ziemlich entscheidend, sagt Scott Erennan, Vorsitzender der Demokraten in Iowa.

    John Kerry hatte in jedem der 1874 Wahlkreise bestimmte Leute, die während der Wahl weiter für ihn geworben haben. Howard Dean, damals Favorit, nicht. Kerry siegte, Dean verlor. Diese zweite Phase wird auch morgen wichtig sein. Denn auch wenn Hillary Clinton, Barrack Obama und John Edwards in Umfragen gleichauf liegen. Werden die Wähler gefragt, für wen sie sich als zweite Wahl entscheiden würden, liegt Clinton weit hinter ihren Konkurrenten.

    Ich soll diesen Typ ansagen, ziemlich groß, hübsch, mit abstehenden Ohren, den ich so liebe, sagt Michelle Obama in einer Halle voll mit Anhängern. Junge Wähler sind es, begeistert angesichts des jungen Senators aus Illinois. Der Zweikampf zwischen Barrack und Obama und Hillary Clinton bestimmt die Diskussion bei den Demokraten, nicht nur in Iowa. An diesem Nachmittag, Mitte November, war Obama noch in schwieriger Lage. Seit Monaten lag er deutlich hinter Hillary Clinton. Er hatte es bisher nicht geschafft, gewaltige Spendengelder in bessere Umfragewerte zu verwandeln. Doch dieser Abend in Des Moines sollte die Wende bringen.

    Obama sprach als letzter Kandidat, da hatte das Publikum schon drei Stunden lang zugehört, direkt vor ihm hatte Hillary Clinton gesprochen.

    Obama hielt eine begeisternde Rede, im Rückblick ein Meilenstein seines Wahlkampfs. In diesem Land, in dem erst zwei schwarze Gouverneure und drei schwarze Senatoren gewählt wurden, hat der Afroamerikaner Obama tatsächlich eine Chance. Obama will die politisch gespaltene Nation versöhnen. Er kritisiert die Fixierung auf den Gegner:

    " Wenn wir gewinnen wollen, dann dürfen wir keine Angst haben zu verlieren, diese Partei war immer am stärksten, wenn es ums Grundsätzliche ging, nicht um Umfragen. "

    Seit jenem Abend hat Hillary Clinton wenigstens einen Konkurrenten auf Augenhöhe, mit John Edwards, dem Anwalt, der einen Wahlkampf links von Clinton und Obama führt, vielleicht sogar zwei. Inhaltlich liegen sie eng beieinander, alle wollen raus aus dem Irak. Obama hat als einziger den Vorteil, schon vor der Invasion gegen den Krieg gestimmt zu haben. Alle wollen eine ähnliche Gesundheitsreform, Top-Thema für demokratische Wähler. 47 Millionen Amerikaner sind ohne Krankenversicherung. Das wird sich ändern, wenn die Demokraten das Weiße Haus erobern. Eine Frau und ein Afroamerikaner, beide verstehen ihre Bewerbung als historisch. Beide haben ausreichend Geld, um Angriffe des jeweils anderen Lagers zu kontern. Mit Bill Clinton an ihrer Seite hat Hillary ein hoch professionelles Wahlkampf-Team organisiert. Doch die Frage bleibt, sind die acht Jahre an der Seite ihres Mannes im Weißen Haus ein Plus oder eine Hypothek? Der Politikwissenschaftler Dennis Goldberg:

    " Viele Wähler in Iowa mögen sie sehr, aber sie fragen sich auch, kann sie am Ende gegen einen Republikaner gewinnen, da gibt es viele negative Erinnerungen aus ihrer Zeit im Weißen Haus. "

    Obamas Argument ist einfach. Präsidentin Clinton wäre die Fortsetzung einer alten Rivalität, die Washington seit vielen Jahren blockiert. Bush, Clinton, Bush, Clinton, das hieße: die Supermacht, 24 Jahre lang in den Händen zweier Familien, die sich bekriegen.

    Ein Wähler, der anlässlich der CNNYoutube-Kandidatendebatte ein Lied über die konservativen Bewerber singt. Auch die Republikaner tun sich schwer mit ihrer Wahl, doch während die Demokraten sich nicht entscheiden können, weil sie mehrere Bewerber attraktiv finden, sind die Konservativen ratlos, weil sie keinen so richtig mögen. Die Partei ist uneins, sie besteht aus teilweise radikalen Lagern, die einen Konsens fast unmöglich erscheinen lassen. Romney, Huckabee, Guliani, McCain, Thompson, in Deutschland durchgängig unbekannte Namen, doch einer von ihnen wird es werden. In Iowa streiten sich Mitt Romney und Mike Huckabee um den rechten Glauben. Romney, schwerreicher Geschäftsmann, der zuletzt Gouverneur von Massachusetts war. 17 Millionen Dollar Eigenmittel hat er bereits in den Wahlkampf investiert. In eine straffe, professionelle Organisation in Iowa und New Hampshire. Kein anderer Republikaner hat soviel Zeit in Iowa verbracht. Das Ergebnis war ein komfortabler Vorsprung in den Meinungsumfragen bis in den späten Herbst hinein. Doch Anfang November wurde es stürmisch. Romney ein Flip-Flopper, so wurde immer häufiger geschrieben. Ein Flip-Flopper, jemand der sein Mäntelchen in den Wind hängt. In Massachusetts galt er als moderater Konservativer. Homo-Ehen waren damals kein Problem für ihn, heute schon. Und als Abtreibungsgegner ist Romney erst bekannt, seit er Präsident werden will. Sein zweites großes Handicap, besonders in Iowa: Romney ist Anhänger der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, wie es offiziell heißt, einfacher: Romney ist Mormone. Für die religiöse konservative Basis in Amerika ein echtes Problem. Für sie sind Mormonen eher Anhänger eines Kults als Teil der christlichen Kirche. Dennis Goldberg, der Politologe aus Des Moines, erinnert an die Vergangenheit:

    " Für Romney ist es ein größeres Problem als für den Katholiken John F. Kennedy 1960. Immerhin sind 25 Prozent der Bevölkerung katholisch, die Mormonen kommen nur auf etwa zwei Prozent. "

    John F. Kennedy löste das Problem seinerzeit auf legendäre Weise. Kennedy erklärte sich und seine Haltung zur Religion in einer eigens dafür entworfenen Rede, im Rückblick ein Meisterstück politischer Kommunikation. Ich glaube an ein Amerika, so Kennedy am 12. September 1960, das offiziell weder katholisch, protestantisch noch jüdisch ist und kein gewählter Vertreter Anordnungen des Papstes und anderer kirchlicher Autoritäten erbittet oder akzeptiert:

    Auch Mitt Romney versuchte es mit einer Rede zum Thema Glauben, und offensichtlich hatte er im Archiv gestöbert.

    "Keine Autorität meiner Kirche wird jemals meine präsidialen Entscheidungen beeinflussen", versicherte der Mormone aus Massachusetts. 40 Prozent der republikanischen Wähler in Iowa zählen sich zur religiösen Rechten, ein mächtiger, gut organisierter Parteiblock, ohne den George Bush nie Präsident geworden wäre. Diese Gruppe ist für Romney problematisch. Andererseits leben 20.000 Mormonen in Iowa. Nicht unwichtig, denn morgen Abend werden nur wenige tausend Stimmen den Ausschlag geben.

    Eine Band in Elks Lodge, Iowa und das größte Problem für Mitt Romney, spielt Bassgitarre. Lässig steht Mike Huckabee auf der Bühne. Eine Art zweite Heimat für ihn. Huckabee ist ordinierter Baptisten-Prediger, er war Gouverneur von Arkansas. Bis Oktober dümpelte sein Wahlkampf vor sich hin, wenig Geld, kaum Infra-Struktur, keine Basis. Doch irgendwann um diese Zeit merkte die religiöse Rechte, dass sie ohne eigenen überzeugenden Kandidaten da stand. Ende Oktober präsentierten sich alle republikanischen Kandidaten auf einer Konferenz in Washington der sozial-konservativen Basis und Mike Huckabee sah seine Chance:

    " Ich rede heute nicht einfach ZU euch, ich komme aus euren Reihen, sagte Huckabee, ein Kreationist, der offen die Evolutionstheorie bezweifelt. "

    Das geltende Abtreibungsgesetz bezeichnete er als legalen Holocaust und traf den Nerv des Publikums als er rief, wir haben nicht das Recht, Gottes Standard zu verändern, um neuen kulturellen Normen gerecht zu werden, genau umgekehrt muss es sein.

    Beeindruckt, sehr beeindruckend, sehr gut, habe mir gleich seinen Sticker angeheftet, so Reaktionen nach seiner Rede, und diese Huckabee-Aktivistin der frühen Stunde sagte nach der Rede, noch ist es früh genug, wenn wir ihn alle unterstützen, hat er eine Chance.

    Sie hatte Recht. Das war Ende Oktober, und seitdem ist Huckabee steil aufgestiegen. Dass er außenpolitisch ohne jede Erfahrung ist, und sich in den vergangenen Wochen, wenn es um den Iran oder um Pakistan ging, schlecht informiert zeigte. Offenbar keine Hürde für den neuen Star der Religiösen. Sein Sieg in Iowa, der Alptraum für Mitt Romney.

    Staatssekretär Gardner, als er am Thanksgiving-Tag den mit Spannung erwarteten Wahltermin in New Hampshire verkündete. Nur fünf Tage nach Iowa fällt die nächste Entscheidung, und die Probleme für den Mormonen Romney gehen dort weiter. Auch hier hat er lange geführt, auch hier bekommt er Konkurrenz in letzter Minute, jedoch von gänzlich anderer Seite. John McCain ist wieder da, 71 Jahre alt, sie mögen ihn in New Hampshire, hier hat er vor acht Jahren George Bush geschlagen, der ihn daraufhin mit Geld und einer politischen Schlammschlacht in die Knie zwang. McCain war jahrelang in vietnamesischer Kriegsgefangenschaft und wurde dort gefoltert. Wenn McCain die aktuelle Folterdiskussion kommentiert und dabei keine Grautöne zulässt, spricht er mit beispielloser Autorität, wie hier, als Mitt Romney zauderte, sich nicht festlegen wollte.

    John McCain erwiderte:

    " Hier geht es um unser Selbstverständnis. Wer Präsident und Oberbefehlshaber sein will, der sollte in der Lage sein, klare Stellung zu beziehen und zu sagen: Wir werden niemals die Folter erlauben. "

    McCain ist vor allem bei unabhängigen Wählern beliebt. Davon gibt es viele in New Hampshire, das Wahlrecht der Republikaner dort erlaubt ihnen die Teilnahme, und deshalb wird McCain ein Erfolg zugetraut. Sollte es so kommen, ein Sieg Huckabees in Iowa, ein Sieg McCains in New Hampshire, würde es das Aus für Mitt Romney bedeuten und einen lachenden Vierten: Rudy Guliani, ein Mann mit drei Elementen pro Satz, ein Hauptwort, ein Verb und der 11. September. Beißender Spott von Joe Biden, dem demokratischen Senator, und doch liegt darin ein Körnchen Wahrheit. Warum Guliani, der ehemalige Bürgermeister von New York, landesweit in Umfragen führt, ist den meisten Beobachtern ein Rätsel. Ein Politiker in dritter Ehe, mit liberalen Positionen zu Abtreibung und Homo-Ehen. Ein Grauen für die Religiöse Rechte. Der Held des 11. September hat Iowa und New Hampshire weitgehend ignoriert. Mitt Romney hat in Iowa allein sechs Millionen Dollar für Fernsehspots ausgegeben, Rudy Guliani keinen Cent. Er kalkuliert ungewöhnlich, Guliani setzt auf Erfolge in großen Staaten mit vielen Wahlmännern, die am Ende die Nominierung sichern. Staaten wie Florida, Kalifornien und Michigan. Das Feld von hinten aufrollen - eine gefährliche und bisher weitgehend erfolglose Strategie, denn die Gewinner der frühen Staaten werden das mediale Rampenlicht der kommenden Woche ausnutzen. Und immer wieder wird es heißen: Reicht es noch für Guliani? Die Antwort darauf wird am 5. Februar gegeben, dem so genannten Giga- oder Tsunami-Dienstag. An diesem Tag wird in 24 Bundesstaaten zeitgleich gewählt. Danach wird feststehen, welche zwei Kandidaten um das Weiße Haus kämpfen.