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Politik als Verbrechen

Ugarte Pinochet, der Ex-Diktator Chiles, Alberto Fuujimori, Ex-Präsident Perus, Ex-Junta-Chef Rafael Videla aus Argentinien, Guatemalas Ex-Diktator General Efrain Rios Montt, Israels Premier Ariel Sharon haben eines gemeinsam: Gegen sie alle wird ermittelt, teilweise sind Verfahren eröffnet worden. Die Zeiten, in denen sich Staatsmänner für verbrecherische Politik vor juristischer Verfolgung sicher wähnen konnten, sind vorbei. Morgen, am 12. Februar 2002, beginnt vor dem Internationalen Gerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag der Prozess gegen den letzten Diktator Europas: gegen Slobodan Milosevic, den Ex-Präsidenten Jugoslawiens, den der serbische Journalist Slavoljub Djukic so charakterisierte:

Jele Pilar Weiskopf | 11.02.2002
    Er war Titoist, ein radikaler Kommunist, ein Gegner Titos, ein Jugoslawe und Nationalist, ein Kriegstreiber und ein unermüdlicher Friedensstifter.

    Slobodan Milosevic, den Richard Holbrooke, ehemaliger US-Sonderbeauftragter, als "das Genie des Bösen" bezeichnete, provozierte die NATO im Kosovo zu einem bis heute umstrittenen Krieg. Slobodan Milosevic wurde in der ausländischen Presse und von seinen Verhandlungspartnern gepriesen als Politiker mit westlichem Schliff und weltmännischen Charme, gerühmt als instinktsicherer Stratege, aber auch gefürchtet als gerissener Narziss mit kalter Intelligenz, als "serbischer Nero".

    Das war einmal. Heute ist das ehemalige Jugoslawien zerfallen. Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien sind souveräne Staaten, das Kosovo de facto ein internationales Protektorat, die verbliebene Bundesrepublik Jugoslawien, bestehend aus Serbien und Montenegro, eine fragile Föderation.

    Im Oktober 2000 wurde der Belgrader Diktator in einem Volksaufstand gestürzt. Nur acht Monate später ließ ihn der serbische Premier Zoran Dijnjic auf massivien US-amerikanischen Druck hin in einer Nacht- und Nebelaktion nach Den Haag überstellen - gegen den Willen des jugoslawischen Präsidenten Kostunica und trotz eines Urteils des jugoslawischen Verfassungsgerichtes, das die Überstellung untersagte. Seitdem sitzt Milosevic in Untersuchungshaft des Jugoslawientribunals.

    Hinter ihm liegen vier verlorene Kriege, ein Jahrzehnt der Gewalteskalation und des ungeheureren Leidens. Die erschütternde Bilanz: mehr als 300.000 Tote, zwei Millionen Vertriebene, eine ruinierte Wirtschaft, eine zerstörte Kultur.

    Für seine menschenrechtsverachtende Gewaltpolitik ist er vor dem UN-Strafgerichtshof angeklagt. Das Tribunal ist 1993 unter dem Eindruck der schockierenden Massenexekutionen, Massenvergewaltigungen und "ethnischen Säuberungen" in Bosnien etabliert worden. Der Bochumer Völkerrechtler Hans-Joachim Heintze:

    Das ad-hoc Tribunal in Den Haag beruht nicht auf einem Gesetz, sondern es beruht auf der Entscheidung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Das ist eine Entscheidung, die unter Kapitel VII der UN-Charta angenommen wurde, und die eine Zwangsmaßnahme gegen einen Mitgliedstaat der Vereinten Nationen darstellt.

    Das Gericht ahndet Verbrechen, die ab 1991 im ehemaligen Jugoslawien begangen wurden. Allerdings nicht jede Art von Verbrechen, sondern ausschließlich schwere Verstöße gegen das Völkerrecht. Zu beachten ist, dass die strafrechtlichen Normen nur zum Teil auf dem Humanitären Völkerrecht basieren. Prof. Fischer, akademischer Direktor des Instituts für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht differenziert:

    In den Genfer Abkommen, in den Zusatzprotokollen gibt es nicht sehr viele Artikel über die schweren Verstöße und die schweren Vergehen. Aber neben diesem anwendbaren humanitären Völkerrecht hat sich das internationale Strafrecht entwickelt. Im internationalen Strafrecht findet man die Normen, die für die Bestrafung sorgen. Das ist einmal durch Gewohnheitsrecht entwickelt worden und ist dann kodifiziert worden, also festgelegt worden in den Statuten für die beiden Tribunale, nämlich für das Jugoslawientribunal und das Ruandatribunal, aber auch im Statut des internationalen Strafgerichtshof, der demnächst in Den Haag entstehen wird.

    In den Artikeln 2-5 des Statuts des Jugoslawientribunals sind die zu ahndenden Verbrechen festgelegt:

    Zitat aus dem Statut: Schwere Verletzungen der Genfer Abkommen von 1949 Verstöße gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges § Völkermord und § Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

    Angeklagt werden nicht Staaten, sondern nur natürliche Personen. Deren persönliche strafrechtliche Verantwortung, unabhängig von ihrem Status - seien es auch Staats- oder Regierungschefs - regelt Art. 7 des Statuts. Andrew Keily, Vertreter der Anklage im Kristic-Prozess erklärt:

    Ein Angeklagter kann auf zwei Arten für Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden: Auf der Basis des Art. 7.1, der sich auf die persönliche strafrechtliche Verantwortung bezieht. Ein Beispiel dafür würde sein, wenn ein Militärbefehlshaber seinen Soldaten befiehlt, alle Einwohner eines Dorfes zu töten. Vorausgesetzt wir können beweisen, dass er es angeordnet hat. Verantwortung unter Art. 7.3 würde bedeuten, wenn der Behfehlshaber es nicht angeordnet hat, er aber hinterher herausfindet, dass die Soldanten massenhaft Menschen in einem Dorf getötet haben. Er hat es nicht angeordnet, er findet es später heraus, aber er bestraft es nicht. Das wäre die Verantwortung unter Art. 7.3.

    Milosevic wird in Den Haag der Prozess gemacht wegen Verbrechen in Kroatien, Bosnien und im Kosovo: In allen drei Klagen wird er aufgrund der Artikel 7 Absatz I und Artikel 7 Absatz III angeklagt. Carla Del Ponte, die Chefanklägerin des Tribunals, beschuldigt ihn der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Verstöße gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges im Kosovo in der Zeit zwischen Oktober 1998 und Juni 1999. Ebenfalls für diese Verbrechen und darüber hinaus auch noch für schwere Verstöße gegen die Genfer Konventionen von 1949 in Kroatien und Bosnien-Herzegowina zwischen den Jahren 1991 und 1995 wird Milosevic sich verantworten müssen. Zudem hat die Haager Staatsanwaltschaft Milosevic Völkermord in Bosnien zu Last gelegt.

    Mit Milosevic angeklagt sind vier weitere Personen: Der serbische Präsident Milutinovic, der frühere stellvertretende jugoslawische Ministerpräsident Sainovic, der ehemalige Stabschef der jugoslawischen Armee Ojdanic und Stojiljkovic, einst serbischer Innenminister. Keiner dieser Angeklagten befindet sich bisher in Den Haag. Jean-Jacques Joris, diplomatischer Berater des Tribunals, über den Verbleib der Mitangeklagten:

    Die anderen sind zum Teil immer noch in Serbien. Milutinovic zum Beispiel, der zur Zeit des Krieges im Kosovo Präsident Serbiens war, ist immer noch Präsident der Republik Serbien, und genießt parlamentarische Immunität in Serbien. Bei den drei anderen ist nicht bekannt, wo sie sich aufhalten.

    Doch vorerst sitzt Milosevic allein auf der Anklagebank. Im August 2001 begann das Vorverfahren. Fünf Anhörungen und Statuskonferenzen haben unter dem Vorsitz des britischen Richters Richard May stattgefunden. In dem Vorverfahren sollte das Procedere des Prozesses zwischen Verteidigung, Richter und Anklage verhandelt werden.

    In der Anhörung am 30. Oktober wurde Milosevic auf Antrag der Anklage die Kosovo- und Kroatienanklage in serbischer Sprache vorgelesen. Der einstige Machtpolitiker wird darin beschuldigt, in Kroatien zwischen August 1991 und Juni 1992 ein Terrorregime etabliert zu haben. Mord an Hunderten Kroaten und Vertreibung von mindestens 170.000 Kroaten und Nicht-Serben wird ihm zur Last gelegt. Bedient hat sich Milosevic dazu der serbischen und der jugoslawischen Armee, der Polizei und Paramilitärs.

    Die Kosovo-Anklage skizziert zunächst die Lebensläufe der Angeklagten, gibt ein Abriss der politischen Entwicklung im Kosovo, bevor sie zu den einzelnen Verbrechen kommt, die zwischen Oktober 1998 und Juni 1999 begangen worden sein sollen. Verbrechen von unerträglicher Brutalität werden aufgezählt. Es tauchen Bilder von geschundenen Leichen in Massengräbern auf. 900 Kosovo-Albaner sollen ermordet worden sein. Auf 22 Seiten werden die Namen der identifizierten Toten aufgezählt. Schilderungen werden hinzugefügt von Vergewaltigung, Folter, Plünderung, Zerstörung der Dörfer und systematischer Vertreibung von 800.000 albanischen Zivilisten aus dem Kosovo.

    Als damaliger Präsident Jugoslawiens, Oberkommandierender der Jugoslawischen Armee und Vorsitzender des Obersten Verteidigungsrates sei Milosevic für die geplanten und koordinierten Verbrechen verantwortlich, die von seinen Untergebenen in Armee und Polizei begangen worden sind, heißt es. So bedrückt die Zuhörer im Gerichtssaal den Ausführungen der Staatsanwaltschaft folgten, so unberührt gab sich Milosevic. Er quittierte die Anklage mit den plakativen Worten:

    Langweilen Sie mich nicht, indem Sie mir Texte vorlesen, die auf dem intellektuellen Niveau eines siebenjährigen Kindes verfasst wurden. Ich korrigiere mich, eines geistig zurückgebliebenen siebenjährigen Kindes.

    Dennoch: Am 11. Dezember musste Milosevic sich auch noch die Anklageschrift zu Bosnien-Herzegowina anhören, die er schlicht für absurd hält. Völkermord und Mittäterschaft an Völkermord in der Zeit zwischen 1992 und 95 werden ihm vorgeworfen. Er hingegen hält die Klage für eine fabrizierte Rechtfertigung für die Verbrechen, die bei der Nato-Aggression gegen sein Land und seine Nation begangen worden seien.

    Rund 500 Dokumente will die Staatsanwaltschaft allein für die im Kosovo begangenen Verbrechen als Beweismittel vorgelegen, 90 Zeugen sollen aufgerufen werden. Die drei Klagen - Kosovo-, Kroatien- und Bosnien-Klage, werden gemeinsam verhandelt. Ein erster Sieg Carla Del Pontes, die gegen die richterliche Entscheidung, die Kosovoklage gesondert zu verhandeln, Einspruch eingelegt hatte. Damit hat sie sich mit ihrer Einschätzung durchgesetzt, dass dem Vorgehen in Kosovo, Kroatien und Bosnien ein gemeinsames Motiv, eine Strategie zur Schaffung eines Großserbiens, zugrunde gelegen hat.

    Zunächst wird mit der Beweiserhebung im Kosvo-Fall begonnen, am 1. Juli soll mit den Klagen Kroatien und Bosnien fort-gefahren werden.

    Selbst, wenn es offensichtlich ist, dass die Verbrechen begangen wurden, wird es schwierig sein, Milosevics individuelle, strafrechtlich relevante Verantwortung nachzuweisen. Vor seinem Sturz ließ Milosevic Beweismaterial vernichten. Es ist anzunehmen, dass dem Gericht schriftliches Beweismaterial nur in begrenztem Umfang vorliegt. Horst Fischer zeigt sich dennoch zuversichtlich:

    Es kann durchaus sein, dass es die eine oder andere Tat gegeben hat, wo man den Zusammenhang zwischen dem Täter und der Tat und Milosevic nicht nachweisen kann. Das wird sicherlich in den Verfahren vorkommen. Aber man hat ihm so viele Taten zur Last gelegt, dass ich überzeugt bin, dass am Ende nicht nur ein faires Verfahren durchgeführt wird, sondern dass man ihm auch nachweisen kann, von diesen Verbrechen gewusst zu haben. Nicht von jedem individuellen Verbrechen, aber sicherlich von einer Vielzahl.

    Außer auf schriftliche Dokumente, kann sich die Staatsanwaltschaft auf Geheimdienst-Material wie abgehörte und mitgeschnittene Telephonate stützen. Aber auch öffentlich zugängliche Quellen wie Ansprachen, Reden, Medienauftritte und Photos der Angeklagten dienen als Beweise. Ein weiterer Teil der Beweismittelerhebung sind, so Stefan Wäspi, Ankläger am Tribunal:

    Die Ergebnisse von Exhumierungen, forensische Ergebnis. In Srebrenica als typischer Fall und zwei Dutzende von Massengräbern ausgehoben bisher und ausgewertet. Sie finden hunderte von Augenbinden z.B. oder die Binden, mit denen die Hände hinter dem Rücken zusammengebunden werden. Wenn sie dann eine Leiche in Zivilkleidung exhumieren, eben dessen Augen verbunden sind und die Hände hinter dem Rücken zusammen gebunden sind, dann brauchen sie keinen Experten, um zu wissen, dass diese Person ein Opfer eines Kriegsverbrechens ist - und eben nicht ein normales Schlachtopfer in einem bewaffneten Kampf. Das sind typische Beweise. Sachen wie Augenbinden oder auch eine Uhr, die stehen geblieben ist zum Zeitpunkt der Exekution, die sind tatsächlich nachher noch verfügbar und sind wichtige Beweismittel zum Beispiel zur Tatzeitfestellung im Gerichtssaal.

    Unterstützung in der Beweismittelerhebung erfahren die Ankläger auch durch Menschenrechtsorganisationen. So kann sich die Anklage im Kosovo-Fall auf einen 600 Seiten starken Bericht von Human Right Watch stützen. Die größte US-amerikanische Menschenrechtsorganisation hat die Vertreibung der Kosovo-Albaner systematisch dokumentiert.

    Die Zeugen gehören zu den wichtigsten Beweismitteln. Zumeist sind es Opfer, die Gräueltaten erlitten haben und bezeugen können. Aber nicht immer: manchmal sind Zeugen auch die Täter. Beispiel: die noch immer wegen Kriegsverbrechen und Völkermord gesuchten Serben Radko Mladic und Radovan Karadzic. Der Psychiater Karadzic war Präsident der Republika Srbska, Radko Mladic Chef der serbischen Armee in Bosnien. Andere, deren Zeugenaussagen von großer Bedeutung gewesen wären, sind ermordet worden. Insgesamt sollen von der serbischen Polizei in den vergangenen Jahren mehr als 300 politische Morde verübt worden sein. Prominente Opfer: der ehemalige Vize-Innenminister Radovan Stojcic und der Freischärler-Führer Arkan. Er und seine Milizen sollen im Kroatien-Krieg im Auftrag von Milosevic Dutzende von Massakern verübt haben. Es wird vermutet, dass auch der ehemalige serbische Präsident Ivan Stambolic einem Mordanschlag zum Opfer gefallen ist.

    Als Sprachrohr und juristische Rückendeckung für Milosevic fungiert das internationale "Komitee zur Verteidigung von Slobodan Milosevic". Ramsey Clark, Vorsitzender des Komitees und früher Justizminister der USA, kündigte peinliche Enthüllungen über die Balkanpolitik des Westens an.

    Immerhin hofierte der Westen 1995 Milosovic, um endlich den Krieg in Bosnien mit dem Dayton-Abkommen beenden zu können. Damals war es Milosovic, der Hardliner wie Karadzic zum Einlenken brachte. Wodurch und mit welchen Mitteln, ist unbekannt. Fakt ist aber, dass letztlich die Serben erhebliche Zugeständnisse machen mussten. Fakt ist auch, dass die westlichen Staaten darauf brannten, endlich die hunderttausende, nur zeitweise geduldeten Bürgerkriegsflüchtlinge möglichst bald nach Bosnien zurückzuschicken. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage:

    Sind Milosevics Drohungen Ausdruck von Hybris, oder erwartet Carla Del Ponte tatsächlich noch belastendes Material über die Balkanpolitik westlicher Politiker im Bosnienkonflikt? Diese Spekulationen weist die Chefanklägerin eindeutig zurück:

    Also von Milosevic erwarte ich überhaupt nichts, nachdem er sich so benommen hat in den ersten drei Verhandlungen. Aber wer weiß, vielleicht die Zeit kann auch einige andere Gedanken bei ihm erwecken. Ich weiß es nicht, aber zur Zeit erwarte ich überhaupt keine.

    In der Tat, es fällt schwer, in dem Angeklagten den Despoten und Staatsmann von einst wiederzuerkennen. In den Medien wird von dem "Meister der Täuschung" und dem "Herrn des Konflikts" von einst ein ganz neues Bild gezeichnet: Seine Einlassungen vor Gericht werden als "autistischer Protest" gewertet.

    Milosevic versuchte sich dem Prozess auf seine Art zu entziehen. Bereits in der ersten Anhörung des Vorverfahrens im Juli 2001 weigerte er sich auf schuldig oder unschuldig zu plädieren. Statt dessen agitierte er so intensiv gegen das Gericht, dass Richter May ihm wiederholt das Mikrophon abschaltete. Anwaltliche Vertretung lehnte Milosevic, der selber Jurist ist, ab. Seine keineswegs originelle Begründung: Die Rechtsprechung dieses Tribunals sei illegal, da es nicht von der UNO-Vollversammlung, sondern von dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen etabliert worden sei. Dazu Hans-Joachim Heintze:

    Nun, dieses Argument von Milosevic ist nicht neu. Wir kennen es bereits aus dem Tadic-Verfahren. Tadic war der erste, der von dem ad-hoc Gericht in Den Haag verurteilt wurde, und auch Tadic machte geltend, dies Gericht in Den Haag sei ja kein auf Gesetz geschaffenes Gericht. Das Gericht hat dann in der Revisionsverhandlung des Tadic Prozesses festgestellt, dass das Gericht, das ad-hoc-Gericht für das frühere Jugoslawien tatsächlich nicht durch ein Gesetz geschaffen wurde. Aber das hätte auch gar nicht geschehen können, da es im Völkerrecht nicht wie im innerstaatlichem Recht ein Parlament gibt, das Gesetze schaffen kann.

    Da Milosevic es ablehnt, sich zu verteidigen, haben die Haager Richter drei amici curiae benannt. In der Verfahrensordnung des Tribunals in Den Haag, wie auch in den Verfahrensordnungen vieler angloamerikanischer Gerichte sind die sog. "Freunde des Gerichtes" vorgesehen, um den Richtern eine zusätzliche Expertise zu geben. Sie sollen dem Gericht assistieren, in dem sie die Interessen des Angeklagten wahren. Folgerichtig wies Milosevic daher in der dritten Anhörung Ende Oktober darauf hin, dass er mit diesen Herren nichts zu tun haben wolle. Doch vergeblich. Horst Fischer über den Balanceakt der amici curiae:

    Das Problem im Milosevic-Verfahren ist, dass Milosevic schweigt, jedenfalls in großem Umfang geschwiegen hat, bisher, und dass diese "Freunde des Gerichtes", so wäre ja wohl die deutsche Übersetzung, die üblicher Weise eine neutrale Rolle einnehmen, hier in diesem Verfahren in die Rolle gedrängt worden sind, Milosevic zu verteidigen. Und es hat also die Frage gegeben: Kann ein Instrument, dass geschaffen worden ist, um eine unabhängige und neutrale Beratung des Gerichtes zu garantieren, in die Rolle eines Verteidigers schlüpfen. Und offensichtlich ist dies inzwischen für dieses spezielle Verfahren so akzeptiert worden.