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Politik gegen Hunger

Um den Hunger in der Dritten Welt zu bekämpfen, reicht es nach Ansicht von Experten nicht aus, immer mehr Lebensmittel zu produzieren. Wichtiger sei eine gerechte Verteilung des Bodens und eine Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, um die Selbstversorgung zu stärken. Ansätze für diese Art der Hilfe und andere Formen der Hungerbekämpfung werden derzeit in Berlin auf der internationalen Tagung "Politik gegen Hunger" präsentiert, an der Experten aus dem In- und Ausland aus den Bereichen Entwicklung und Menschenrechte teilnehmen.

Von Dorothea Jung |
    Es war im Jahr 1996, als der Welternährungsgipfel von den Mitgliedsländern der Vereinten Nationen forderte, ihren Bürgern ein "Recht auf Nahrung" zuzugestehen. Das heißt: Die Länder - vor allem die Entwicklungsländer - sollten nicht nur ökonomische Strategien zur Armutsbekämpfung entwickeln. Sondern sie sollten zusätzlich einen verbindlichen Rechtsrahmen schaffen, der den Bürgern Chancengleichheit im Kampf gegen den Hunger einräumt. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen hatte daraufhin freiwillige Leitlinien entwickelt, wie dieses Recht auf Nahrung von den Entwicklungsländern umgesetzt werden kann. Mit diesen Leitlinien befasst sich derzeit die Tagung in Berlin.

    Einer der Referenten ist Michael Windfuhr vom Foodfirst-Informations- und Aktions-Netzwerk. Seine Organisation versucht, Entwicklungsländer an ihre Menschenrechtsverantwortung zu erinnern und dadurch Verbesserungen für die Hungernden zu erreichen. Windfuhr zufolge sind die Leitlinien eine Art Kochrezeptbuch, in dem steht, was die Regierungen machen können, um das Menschenrecht auf Nahrung umzusetzen:

    " Das Besondere ist, dass es davon ausgeht, dass wir so viel Hunger haben, weil Leute nicht angemessen behandelt werden von ihrer eigenen Regierung. Es gibt zu viele Menschen, - seien sie Frauen im ländlichen Raum oder weil sie in entlegenen Bergregionen wohnen als Kleinbauern - um die man sich einfach nicht kümmert. Die keinen Zugang zu Märkten haben, zur Agrarberatung haben; die nicht selber produzieren können; die also an vielfältigen Stellen diskriminiert werden. Und diese Diskriminierungen sind in viel größerem Ausmaße relevant für den Hunger als meinetwegen Hungerkatastrophen, die wir oft in den Medien haben."

    Dieser Menschenrechtsansatz konzentriert den Kampf gegen den Hunger nicht auf die Nahrung, die fehlt, sondern auf den Zugang, den die Menschen zu den vorhandenen Nahrungsressourcen haben oder nicht. Die freiwilligen Leitlinien sind deswegen sowohl ein Instrumentarium für die Regierungen, ihre Politik gegen den Hunger zu optimieren, als auch ein Rahmen für das politische Handeln von unten. "Die Leitlinien unterstützen die arme Bevölkerung bei ihren Forderungen an die Regierung" versichert Flavio Luiz Schiek-Valente aus Brasilien:

    " Die Leitlinien sind von grundsätzlicher Bedeutung für die Bevölkerung Brasiliens, insbesondere für die arme Bevölkerung. Denn diese Menschen haben überhaupt keine Chance, sich selbstständig zu ernähren: Meistens haben sie keinen Zugang zum Landerwerb; um etwas anzubauen. Sie haben keinen Zugang zur Bildung, sodass sie später einen Job kriegen könnten - sie haben keinen Zugang zu überhaupt einem Einkommen. Und die Leitlinien helfen der armen Bevölkerung und ihren Organisationen, zu begreifen, dass sie einen Anspruch darauf haben, ihr Recht auf Nahrung einzufordern - und von der Regierung, die ja die Leitlinien unterzeichnet hat, zu verlangen, diese auch zu erfüllen."

    Flavio Luiz Schiek-Valente ist in Brasilien Regierungsreferent für die Umsetzung des abstrakten Rechts auf Nahrung in konkretes politisches Handeln. Natürlich werde durch die Leitlinien nicht von heute auf morgen Land verteilt, Bildung gesichert und Infrastruktur bereitgestellt. Aber die brasilianische Regierung habe sich mit dieser Leitlinie verpflichtet, die Bürger über ihr Menschenrecht auf Nahrung aufzuklären. Und das habe durchaus Folgen:

    " Wir versuchen, die Informationen auf jedem möglichen Weg an das Volk zu bringen. Das heißt: Wir sorgen dafür, dass die Pressestäbe der Verwaltungen Bescheid wissen; die Hilfsorganisationen, die Leute im Bildungswesen und im Landwirtschaftsministerium. Und wir arbeiten auch mit dem Radio und mit anderen Medien zusammen. Auf der anderen Seite müssen wir auch unsere eigenen Freunde ausbilden. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen, wie die Gewerkschaften oder die Kleinbauernparteien oder die Nachbarschaftsverbände. Sie haben die Pflicht, ihre Mitglieder über ihre Rechte aufzuklären: Und so wird das Thema von der Basis angestoßen und landet schließlich als Forderung bei der Regierung."

    Für die Tagungsteilnehmer in Berlin ist klar, dass die freiwilligen Leitlinien der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen mehr sind als politische Lyrik. Sie haben vielmehr ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass die Bekämpfung des Hungers und die Sicherung der Menschenrechte zusammengehören.