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Politik mit anderen Mitteln

Julia Timoschenko, neue ukrainische Premierministerin, will die bestehenden Gaslieferverträge mit Russland überprüfen und ändern lassen. Probleme mit Moskau scheinen vorprogrammiert, denn über die Gaspreise versucht der Kreml immer wieder, Einfluss auf die ukrainische Innenpolitik zu nehmen. Mit welchem Erfolg, das berichtet aus der Ukraine Florian Kellermann:

    Ende Dezember ist es plötzlich kalt geworden in Lemberg in der Westukraine. Die Menschen hetzen durch den Schnee, um die letzten Einkäufe zu erledigen: Das größte Fest im Jahr, bei dem es auch die Geschenke gibt, ist hier das Neujahrsfest. Das haben die Sowjets so eingeführt, und diese Tradition hat sich bis heute gehalten.

    Anna Petrowna passt der Wintereinbruch gar nicht. Sie steht dick vermummt unter einer Zeltplane mitten im Stadtzentrum und legt die Hände auf einen Metallkasten. Es ist ein Behälter für die gefüllten Teigtaschen, die sie verkauft - er ist zwar isoliert und soll die Leckerbissen warm halten, gibt aber trotzdem ein bisschen Wärme ab.

    "Das ist eine scheußliche Arbeit. Aber es hilft nichts: Alles wird teurer und wir brauchen das Geld. Ich hab ja zwei Kinder. Wenigstens darf ich hier zu Mittag zwei Teigtaschen essen, umsonst. Die, die mit Sauerkraut gefüllt sind, kann ich empfehlen. Ja, es wird wirklich alles teurer, Brot, Fleisch, Strom und jetzt auch schon wieder das Gas."

    Der Gaspreis gehört nun schon fast zum alljährlichen Gespräch an den ukrainischen Gabentischen. Diesmal ist der Preisanstieg besonders kräftig. Fast 40 Prozent wird die Ukraine ab 1. Januar mehr bezahlen.

    Darüber stöhnt auch Ihor Tschajka, ein kleiner Bauunternehmer, der sich gerade eine Kartoffeltasche kauft.

    "Ich muss mich auf einen kleineren Gewinn einstellen im kommenden Jahr. Für die Herstellung von Backsteinen brauchen wir besonders viel Energie. Ich glaube nicht, dass wir diese Mehrkosten einfach an die Kunden weitergeben können. Denn die haben ja durch die Inflation sowieso weniger Geld in der Tasche."

    In diesem Jahr haben sich Moskau und Kiew schon Anfang Dezember auf einen neuen Preis für die Gaslieferungen geeinigt. [Die Verhandlungen schienen diesmal friedlicher zu verlaufen als sonst.] Ukrainische Beobachter sehen aber gerade darin eine politische Intrige: Denn die ukrainische Regierung, die den Gaspreis aushandelte, musste kurze Zeit später abtreten. Mit dem hohen Gaspreis machte sie der jetzt neugewählten Ministerpräsidentin Tymoschenko ein zweifelhaftes Abschiedsgeschenk. Denn für das Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr wird sie verantwortlich gemacht werden.

    Auch Moskau verfolge mit dem Preisanstieg politische Motive, meint Taras Woznjak, der in der Lemberger Bezirksverwaltung für internationale Beziehungen zuständig ist.

    "Russland erklärt schon seit Jahren, dass es den Gaspreis für die Ukraine schrittweise auf das Weltmarkt-Niveau anheben möchte. Dagegen ist nichts zu sagen. Aber der sprunghafte Preisanstieg in diesem Jahr liegt sicher daran, dass wir eine neue Regierung haben, die Moskau nicht gefällt. Die sogenannten Orangefarbenen haben nach der Parlamentswahl das Ruder übernommen. Ich gehe davon aus, dass die neue Premierministerin Julia Tymoschenko gegenüber Moskau eine deutlichere Sprache sprechen wird als ihr Vorgänger."

    Tymoschenko kündigte nach ihrem Regierungsantritt neue Verhandlungen mit Moskau an. Zwar steht der erhöhte ukrainische Gaspreis für das nächste Jahr nun fest und daran dürfte auch Tymoschenko nichts ändern können. Sie wird deshalb auf eine Entschädigung pochen: nämlich auf eine höhere Gebühr für die Durchleitung von russischem Gas durch die Ukraine. [Auch dafür, dass die Ukraine russisches Gas in unterirdischen Tanks vorhält, könnte sie in Zukunft mehr verlangen.]

    Wenn Tymoschenko das tatsächlich durchsetzt, könnte der höhere Gaspreis auf lange Sicht sogar positive Folgen für die Ukraine haben, meint Taras Woznjak.

    "Natürlich profitiert die ukrainische Wirtschaft insgesamt von einem niedrigen Gaspreis. Aber in erster Linie sind es die sogenannten Oligarchen mit ihrer Stahl- und Kohleindustrie. Bisher haben wir das billige Gas dadurch erkauft, dass wir für den Transport nach Europa durch unsere Pipelines von den Russen wenig verlangt haben. Dieser Deal war also eigentliche eine versteckte Subvention für die ukrainische Großindustrie. Die muss sich nun Gedanken machen, wie sie weiter profitabel arbeiten kann und ihre Unternehmen modernisieren."

    Anna Petrowna, die Teigtaschen-Verkäuferin, kann dieses Argument aber kaum trösten. Sie kann nur hoffen, dass die ukrainische Regierung den höheren Gaspreis nicht voll an die Haushalte weitergeben wird.