Ein soziales Engagement kannten die französischen Neoimpressionisten eigentlich nicht. Obwohl auch in dieser Berliner Ausstellung die einschlägigen Natur- und ländlichen Genreszenen gezeigt werden, wie Georges Seurats "Bauer mit Hacke" von 1882 oder Camille Pissarros lichtdurchflutete und heitere "Apfelernte im Garten" sechs Jahre später. Dennoch ging es den so genannten Pointillisten weniger um die Darstellung ländlichen Lebens im guten wie schlechten Sinn als um formale Fragen. Man orientierte sich an neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Optik aus den USA und Frankreich, vor allem über die Zusammensetzung des natürlichen Lichts und seiner Wahrnehmungseffekte, und versuchte diese auf die Maltechnik zu übertragen, weshalb jener eigentümlich gepunktete Farbauftrag entstand, der manche heute eher an die Pop Art eines Roy Lichtenstein oder sogar an eine Vorwegnahme von Computerpixeln erinnert.
Aber viel bescheidener ging es den Signacs, Seurats oder Pissarros damals um die Objektivierung der Naturdarstellung, zum Beispiel des Eises oder vor allem des Wassers und seiner Lichtreflexe, das bis dahin in seiner zugleich transparenten wie spiegelnden Materialität als malerisch undarstellbar galt. Paul Signacs Gemälde "Wäscherinnen in Les Andelys" von 1886 ist ein großartiges Beispiel für diese sehr technische Ausrichtung der Malerei, mit der sich fast zur selben Zeit auch ein van Gogh herumschlug, freilich mit völlig anderen Ergebnissen.
Weniger bekannt ist der Einfluss dieser Malereiexperimente in Italien, wo sie aber völlig anders interpretiert wurden, nämlich interessanterweise als soziale und politische Botschaft. Die neue Wissenschaftlichkeit, die vermeintliche Objektivität der Malerei diente den italienischen Divisionisten, wie sie sich wegen der Aufgliederung des Lichtes in verschiedene Farbpunkte nannten, gewissermaßen zur Untermauerung sozialistischer Positionen. Denn schließlich hatte ja auch Karl Marx die wissenschaftliche Untersuchung der sozialen Auswirkungen des Kapitals betrieben.
Ein direkter Vergleich von Georges Seurats "Bäuerinnen bei der Arbeit" von 1883 mit Angelo Morbellis Bauernmotiven gut zehn Jahre später, wie ihn die Ausstellung anbietet, könnte die Unterschiede nicht deutlicher zeigen. Seurat zeigt eine intime Szene auf engem Raum, bei der sich zwei Bäuerinnen über ein leuchtend grünes Feld beugen. Die Szene wirkt fast andächtig, das Licht scheint wie ein leises Gestöber von Farbflocken umherzuwehen und entrückt die Figuren in eine ungreifbare Unschärfe, wie Schemen. Hier ist der Expressionismus der Fauvisten formal schon greifbar. Morbelli zeigt dagegen acht Feldarbeiterinnen von hinten, ebenfalls gebeugt, so dass man kurioserweise nur ihre Hinterteile, aber nicht mehr ihre Köpfe sieht, was offenkundig die Demütigung durch die Arbeit verdeutlichen soll. Das Licht ist in winzige Farbpunkte zerlegt, die nicht schweben, wie bei Seurat, sondern eher die gnadenlose Ödnis der Feldarbeit noch gnadenloser, sozusagen hochaufgelöst abbilden.
Der Bildtitel fasst die Anklage mit den Worten zusammen: "Für achtzig Cents!" Mit anderen Worten: Die italienischen Divisionisten befinden sich mit ihrer Malerei zum Teil mehr in der Nähe der Agitation, fast einer politischen Plakatkunst (wie sie erst später entstand), wenn auch freilich großartig: Emilio Longonis "Streikredner" von 1891 wirkt wie ein vom Kreuz gestiegener, rebellischer Christus mit kämpferischer Geste. Pietro Nomellinis Genueser Arbeitertypen sind grandiose psychologische Studien, und Giovanni Segantini, sozusagen der Klassiker unter den Divisionisten, ist durchaus kein Agitator, sondern ein eher wie Max Liebermann von den Niederländern beeinflusster Genremaler, der hier mit wunderbaren großformatigen Porträts und Landschaftsszenen über das erdnahe Leben der Landbevölkerung vertreten ist.
Im letzten Kabinett deutet die Ausstellung dann jedoch das Abgleiten dieser Maltechnik ins Kunsthandwerklich-Gefällige an. Der pointillistische Ansatz feiert sich jetzt nur noch als brillantes Dekor auf abgeschauten Jugendstilmotiven, so die fast unerträglich süßlichen Allegorien von Gaetano Previati. Und selbst Emilio Longoni, der zehn Jahre zuvor noch den tollen Streikredner gemalt hatte, ergeht sich nach der Jahrhundertwende in Naturschwärmereien mit rothaarigen, fiedelnden Nymphen und Wasserrauschen. Welch signifikantes Ende eines sozialistisch-anarchistischen Malereiexperiments also, das im Europa Ende des 19. Jahrhunderts seinesgleichen sucht.
Service: Die Ausstellung ist noch bis zum 15. April zu sehen, Öffnungszeiten täglich von 11 bis 20 Uhr, donnerstags bis 22 Uhr.
Aber viel bescheidener ging es den Signacs, Seurats oder Pissarros damals um die Objektivierung der Naturdarstellung, zum Beispiel des Eises oder vor allem des Wassers und seiner Lichtreflexe, das bis dahin in seiner zugleich transparenten wie spiegelnden Materialität als malerisch undarstellbar galt. Paul Signacs Gemälde "Wäscherinnen in Les Andelys" von 1886 ist ein großartiges Beispiel für diese sehr technische Ausrichtung der Malerei, mit der sich fast zur selben Zeit auch ein van Gogh herumschlug, freilich mit völlig anderen Ergebnissen.
Weniger bekannt ist der Einfluss dieser Malereiexperimente in Italien, wo sie aber völlig anders interpretiert wurden, nämlich interessanterweise als soziale und politische Botschaft. Die neue Wissenschaftlichkeit, die vermeintliche Objektivität der Malerei diente den italienischen Divisionisten, wie sie sich wegen der Aufgliederung des Lichtes in verschiedene Farbpunkte nannten, gewissermaßen zur Untermauerung sozialistischer Positionen. Denn schließlich hatte ja auch Karl Marx die wissenschaftliche Untersuchung der sozialen Auswirkungen des Kapitals betrieben.
Ein direkter Vergleich von Georges Seurats "Bäuerinnen bei der Arbeit" von 1883 mit Angelo Morbellis Bauernmotiven gut zehn Jahre später, wie ihn die Ausstellung anbietet, könnte die Unterschiede nicht deutlicher zeigen. Seurat zeigt eine intime Szene auf engem Raum, bei der sich zwei Bäuerinnen über ein leuchtend grünes Feld beugen. Die Szene wirkt fast andächtig, das Licht scheint wie ein leises Gestöber von Farbflocken umherzuwehen und entrückt die Figuren in eine ungreifbare Unschärfe, wie Schemen. Hier ist der Expressionismus der Fauvisten formal schon greifbar. Morbelli zeigt dagegen acht Feldarbeiterinnen von hinten, ebenfalls gebeugt, so dass man kurioserweise nur ihre Hinterteile, aber nicht mehr ihre Köpfe sieht, was offenkundig die Demütigung durch die Arbeit verdeutlichen soll. Das Licht ist in winzige Farbpunkte zerlegt, die nicht schweben, wie bei Seurat, sondern eher die gnadenlose Ödnis der Feldarbeit noch gnadenloser, sozusagen hochaufgelöst abbilden.
Der Bildtitel fasst die Anklage mit den Worten zusammen: "Für achtzig Cents!" Mit anderen Worten: Die italienischen Divisionisten befinden sich mit ihrer Malerei zum Teil mehr in der Nähe der Agitation, fast einer politischen Plakatkunst (wie sie erst später entstand), wenn auch freilich großartig: Emilio Longonis "Streikredner" von 1891 wirkt wie ein vom Kreuz gestiegener, rebellischer Christus mit kämpferischer Geste. Pietro Nomellinis Genueser Arbeitertypen sind grandiose psychologische Studien, und Giovanni Segantini, sozusagen der Klassiker unter den Divisionisten, ist durchaus kein Agitator, sondern ein eher wie Max Liebermann von den Niederländern beeinflusster Genremaler, der hier mit wunderbaren großformatigen Porträts und Landschaftsszenen über das erdnahe Leben der Landbevölkerung vertreten ist.
Im letzten Kabinett deutet die Ausstellung dann jedoch das Abgleiten dieser Maltechnik ins Kunsthandwerklich-Gefällige an. Der pointillistische Ansatz feiert sich jetzt nur noch als brillantes Dekor auf abgeschauten Jugendstilmotiven, so die fast unerträglich süßlichen Allegorien von Gaetano Previati. Und selbst Emilio Longoni, der zehn Jahre zuvor noch den tollen Streikredner gemalt hatte, ergeht sich nach der Jahrhundertwende in Naturschwärmereien mit rothaarigen, fiedelnden Nymphen und Wasserrauschen. Welch signifikantes Ende eines sozialistisch-anarchistischen Malereiexperiments also, das im Europa Ende des 19. Jahrhunderts seinesgleichen sucht.
Service: Die Ausstellung ist noch bis zum 15. April zu sehen, Öffnungszeiten täglich von 11 bis 20 Uhr, donnerstags bis 22 Uhr.