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Politik und Unterbewusstsein

Psychologie. - An Wahltagen schlägt die Stunde der Statistiker und Meinungsforscher, die anhand von Umfragen rationale Begründungen für die Entscheidungen der Wähler suchen. Dass das Unterbewusstsein dabei eine entscheidende Rolle spielt, fahnden jetzt kanadische Wissenschaftler heraus.

Von Volkart Wildermuth |
    Das Denken, das rationale Abwägen der Alternativen ist für eine Entscheidung gar nicht so wichtig wie es im Nachhinein den Anschein hat. Die eigene Wahl wird vielmehr von unbewussten Vorlieben geprägt. Das konnte Bertram Gawronski im italienischen Vincenza zeigen. Ende 2007 stritt die Stadt über die Frage, ob die dortige US-Militärbasis zum größten Stützpunkt Europas ausgebaut werden sollte oder nicht. Die Befürworter argumentierten mit Arbeitsplätzen, die Gegner mit Umweltschäden.

    "Die Meinungen waren tief gespalten, aber es gab auch noch Menschen, die sich nicht entschieden hatten. Wir wollten nun vorhersagen, ob sie sich in einigen Wochen für oder gegen den Ausbau aussprechen würden."

    Dazu untersuchte der Psychologe von der Universität von Ontario in Kanada so genannte automatische mentale Assoziationen, persönliche Vorlieben, die aber gar nicht bewusst sind. Bertram Gawronski vermaß die verborgenen Einstellungen mit einem Reaktionstest. Auf einem Computerbildschirm leuchteten Begriffe und dazwischen Bilder auf. Die Versuchsteilnehmer sollten möglichst schnell entscheiden, ob der Begriff positiv oder negativ war und eine entsprechende Taste drücken. Erschien ein Bild der Militärbasis sollten sie ebenfalls eine Taste drücken und zwar je nach Vorgabe manchmal die Taste für die guten und manchmal die für die schlechten Begriffe.

    "Wer unbewusst eine positive Einstellung zur Militärbasis hat, wird schneller reagieren, wenn er auf den Knopf für die positive Begriffe drücken soll und langsamer wenn er beim Bild der Militärbasis den negativen Knopf bedienen muss."

    Eine Woche nach diesem ersten Versuch befragte Bertram Gawronski seine vorher noch schwankenden Versuchsteilnehmer erneut. Einige hatten sich inzwischen festgelegt und gaben dafür auch ganz vernünftige Gründe an. Dabei folgte diese Entscheidung aber in 70 Prozent der Fälle ihren automatischen Assoziationen. Wie sie vorher die pro und contra Argumente bewertet hatten, hatte dagegen wenig Einfluss auf ihre Entscheidung. Ihr Bewusstsein folgte also dem Unbewussten.

    "Wir vermuten, dass die automatischen Assoziationen beeinflussen, wie Informationen verarbeitet werden. Wer positive Assoziationen hat, wird entsprechende Argumente höher gewichten als die Gegenposition. Das heißt, die Leute denken bewusst über die Fakten nach, wägen das Pro und Contra ab, und entscheiden sich zuletzt ganz überlegt. Dabei ist ihnen aber nicht klar, dass die Informationen, mit denen sie ihre Entscheidung begründen, von Anfang an von ihrem Unbewussten eingefärbt sind."

    Sobald eine Entscheidung gefallen ist, geht die Beeinflussung interessanterweise in die andere Richtung und die zur bewussten Meinung passenden automatischen Assoziationen verfestigen sich. Das sollte Meinungsforscher misstrauisch stimmen, argumentiert Timothy Wilson in einem Kommentar in Science. Selbst wenn sie wollten, könnten die Wähler oft gar nicht die wahren Gründe für ihre Entscheidung angeben. Die wichtige Rolle des Unbewussten wundert den amerikanischen Psychologen überhaupt nicht.

    "Unser Geist arbeitet sehr effektiv, in dem er eine Unmenge Informationen unbewusst verarbeitet und dann unsere Handlungen prägt. Wir wären gelähmt, wenn wir über alles langsam und bewusst nachdenken müssten. Der Geist funktioniert sehr gut, wenn er großenteils unbewusst arbeitet."

    Trotzdem spielt der bewusste Verstand eine wichtige Rolle, daran hält auch Bertram Gawronsik fest. Man muss sich den Einfluss des Unbewussten aber bewusst klar machen, um ihn zu minimieren.

    "Wer nicht Sklave seiner automatischen mentalen Assoziationen werden will, sollte ganz bewusst versuchen wirklich alle Informationen zu berücksichtigen."

    Und nicht ein Argument abtun, bloß weil es einem nicht passt. Andererseits – das Unbewusste trifft für gewöhnlich die zu jeder Person passenden Entscheidungen, vielleicht ist der Verstand, die bewusste Überlegung ja überbewertet.