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Politiker als Lobbyisten
"Keine schwer vermittelbaren Personen"

Schätzungsweise 15 Prozent aller ausscheidenden Bundestagsabgeordneten machten nach ihrer Zeit im Parlament einen Lobbyjob, sagte Stern-Redakteur Hans-Martin Tillack im Dlf. Tillack plädierte dafür, dass sie in ihre alten Berufe zurückkehren sollten. Allerdings würde das oft als Abstieg empfunden.

Hans-Martin Tillack im Gespräch mit Felicitas Boeselager | 05.10.2017
    Hans-Martin Tillack, Stern-Redakteur
    Abgeordnete bieten gewisse Vorteile für Firmen - auch nach einer Karenzzeit, sagt Hans-Martin Tillack. Der Stern-Redakteur schreibt immer wieder über die Nähe zwischen Lobby-Firmen und Politikern. (dpa / Karlheinz Schindler)
    Felicitas Boeselager: Nach der Bundestagswahl heißt für viele ehemalige Abgeordnete: vor der Jobsuche. Manche von ihnen kehren in ihren alten Job zurück. Manche erschließen sich ganz neue Berufsfelder und andere heuern bei Beratungsunternehmen an. Solche Beratungsfirmen, bei denen ihre Kontakte aus der Zeit als Abgeordnete offensichtlich sehr nützlich sein können.
    Ein prominentes Beispiel für so einen Seitenwechsel ist Michael Fuchs. Er war jahrelang Bundestagsabgeordneter. Zuletzt sogar Vizechef der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Und er gilt als Wirtschaftsexperte.
    Bei der letzten Wahl hat er nicht mehr kandidiert. Und jetzt, die Tür in seinem Berliner Büro ist gerade erst hinter ihm ins Schloss gefallen, ist er Senior Advisor bei WMP Eurocom. Das ist eine der bekanntesten Beratungsfirmen für Wirtschaft, Medien und Politik.
    Vor der Sendung habe ich mit dem Stern-Redakteur Hans-Martin Tillack gesprochen. Er schreibt immer wieder über die Nähe zwischen Lobby-Firmen und Politikern. Zuerst habe ich ihn gefragt, warum es eigentlich ein Geschmäckle hat, wenn Bundestagsabgeordnete sofort nach ihrem Ausscheiden für Beratungsfirmen tätig werden.
    Hans-Martin Tillack: Das war ja nicht umsonst so, dass bei Beamten und seit jüngster Zeit auch bei Ministern es Karenzregeln gibt. Das heißt, sie dürfen nicht umstandslos direkt aus ihrem Beamtenjob oder ihrem Ministeramt dann zu einer Firma wechseln, mit der sie vorher beruflich zu tun hatten, weil sonst der Eindruck entstehen kann, dass das Interesse am neuen Job dann die Arbeit im alten Amt beeinflusst hat zugunsten der Firma und zu Ungunsten des Allgemeinwohls, und für Abgeordnete gibt es keine solche Regeln. Das heißt, es kann durchaus sein, dass sich ein Abgeordneter schon während seiner Zeit im Parlament umguckt nach einem neuen Job für die Zeit danach, und dann besteht die Gefahr, dass das Interesse eines möglichen neuen Arbeitgebers größer im Vordergrund stand als das Allgemeinwohl, dem Abgeordnete laut Grundgesetz eigentlich verpflichtet sind.
    Abgeordnete aus dem Wirtschaftsausschuss interessanter
    Boeselager: Welche Politiker gehen dann typischerweise nach der Wahl zu solchen Lobby- oder Beratungsunternehmen? Gibt es da ein Muster?
    Tillack: Also es gibt darüber kaum Untersuchungen bisher, muss man sagen. Es ist aber offensichtlich so, dass es einerseits durchaus Abgeordnete gibt, die aus dem Bundestag ausscheiden, weil sie aufs Altenteil gehen, altershalber. Es gibt andere, die in andere Ämter in der Politik gehen, und dann gibt es aber einen beträchtlichen Anteil, man kann es nicht genau quantifizieren, es gibt eine Schätzung, die sagt, insgesamt 15 Prozent aller Ausscheidenden, wie die letzten drei Wahlperioden, die in Lobbyjobs gehen, und Beratung ist ja oft einfach nur ein Euphemismus für eine Lobbytätigkeit. Berater klingt schicker, aber in Wahrheit geht es darum, dass sie dann für Agenturen oder auch Firmen arbeiten, die Kontakte suchen, und ehemalige Abgeordnete haben das gemein mit anderen ehemaligen Politikern, ehemaligen Ministern, dass sie gute Kontakte haben, und das ist auch offensichtlich das Interesse, das dann vor allem im Vordergrund steht, weil natürlich Abgeordnete Kenntnisse haben des Politikbetriebes, aber vor allem auch Kenntnisse von vielen ehemaligen Kollegen in der Politik.
    Boeselager: Gibt es da ehemalige Abgeordnete, die besonders wertvoll sind für diese Agenturen?
    Tillack: Es ist sicherlich so, ein Abgeordneter im Ausschuss für Arbeit und Soziales ist weniger interessant als jemand aus dem Wirtschaftsausschuss, weil das Wirtschaftsministerium oder auch Finanzausschuss, Finanzministerium mehr Einfluss hat auf relevante Entscheidungen gerade für Unternehmen, aber wie gesagt, es gibt keine richtigen Untersuchungen. Natürlich ist es so, dass auch in der Vergangenheit immer schon, auch bereits während der Amtszeit, Abgeordnete, zum Beispiel von der Union oder auch früher bei der FDP, öfter Nebentätigkeiten bei der Wirtschaft hatten als zum Beispiel Abgeordnete der Grünen, sage ich mal, aber es gibt auch ehemalige Grüne-Abgeordnete, die heute in Lobbyjobs oder in Firmen tätig sind oder Aufsichtsratsmandate haben, die Lobbyarbeit machen.
    Boeselager: Sie haben eben schon ein bisschen beschrieben, was diese Beratungsunternehmen machen, wie die WMP, von der ich eben gesprochen habe. Können Sie das noch mal genauer erklären?
    Tillack: Also die Firma WMP sagt von sich, sie ist eine PR-Agentur, sie macht aber offenkundig auch Lobbyarbeit, sie vermittelt auch Kontakte. Das zeigen interne Papiere. Im Fall WMP hatten sie nach einer Kundenliste, die wir vor zwei Jahren mal publik gemacht haben, Kunden von Rheinmetall, über BMW bis zum Emirat Katar, und die helfen dann ihren Kunden, seien es Firmen, seien es Staaten wie das absolutistisch regierte Katar, die einerseits gut in den Medien wegkommen wollen, aber eventuell auch Kontakte haben wollen zur Politik. Es gibt andere Agenturen wie die Firma PKS, wo mehrere ehemalige Abgeordnete arbeiten, die ganz gezielt sagen, dass sie neben dem Know-how ihrer Mitarbeiter, also der ehemaligen Abgeordneten, auch das Know-who, also wen ich kenne ich, anbieten.
    46 Abgeordnete haben einen Verhaltenskodex unterschrieben
    Boeselager: Sie haben gerade schon von den Karenzzeiten gesprochen, die für ehemalige Regierungsmitglieder gelten. Wie lange müsste denn eine Karenzzeit für Abgeordnete Ihrer Meinung nach sein?
    Tillack: Also es gibt in Brüssel die Forderung, die wird aber auch noch nicht umgesetzt, dass dort für Abgeordnete eine Kranzzeit von zwei Jahren gelten sollte. Es gibt hier in Berlin einen Verhaltenskodex, den 46 Abgeordnete, vor allem von SPD, Grünen und Linken, unterschrieben haben, wo sich die Abgeordneten verpflichten, drei Jahre lang keine bezahlte Tätigkeit, die vor allem Lobbyarbeit beinhaltet, anzunehmen, und trotzdem kann es sogar noch nach diesem Zeitraum so sein, dass Abgeordnete gewisse Vorteile bieten für Firmen, die sie anstellen wollen, weil Abgeordnete haben auf Lebenszeit Zugang zu Bundestag, das heißt, auf Lebenszeit bekommen sie ohne Begründung einen Hausausweis, und bei den Fraktionen von CDU/CSU und SPD haben sie sogar Zugang zu den Fraktionssitzungen. Das sind also durchaus Privilegien, die da erhalten bleiben, und das kann für eine Lobbytätigkeit sehr nützlich sein.
    Boeselager: Aber jetzt können Abgeordnete nicht für immer arbeitslos bleiben, und es ist ja auch irgendwie verständlich, wenn sie ihr Expertengebiet weiter nutzen wollen. Was sollen sie denn tun?
    Tillack: Sie haben natürlich völlig recht, die sollen nicht ewig arbeitslos bleiben. Nun hatten sie normalerweise auch bereits vorher Berufe, in die sie zurückkehren könnten. Es ist verständlich, dass Abgeordnete dann hinterher nach der Abgeordnetentätigkeit, die für sie oft einen Aufstieg bedeutet, dann nicht einen Abstieg wollen. Oft wird dann die Rückkehr in den alten Job als Abstieg empfunden, dennoch sind das ja keine schwer vermittelbaren Personen. Normalerweise, wer Abgeordneter geworden ist, der hat eine Vielzahl von Kompetenzen, die er sicherlich auch einsetzen kann, ohne dass er jetzt direkt in dem Gebiet tätig werden muss, in dem er vorher bereits als Abgeordneter tätig war. Das ist, wie gesagt, bei Beamten ja auch so, dass es (Wort unverständlich, Anmerk. d. Red.)-pflichten gibt, die verhindern sollen, dass es da eine zu starke Überlappung gibt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.