Lübeck war Staatswesen, und hier habe ich als Kind gelernt, was Politik ist - in Miniaturform. Im Senat saß mein Großvater und sein Vetter, beide als Senatoren. Mein Großvater war ein regierender Mann. Das fand ich hochinteressant.
Der Mikrokosmos der Freien und Hansestadt Lübeck, die im wilhelminischen Deutschland noch selbständig war wie heute Hamburg und Bremen, bot ersten Anschauungsunterricht. Dem sollten alsbald Einblicke ins ungleich komplexere Gefüge der Reichspolitik zu Zeiten der Weimarer Republik folgen. Schon als Student der Geschichte, der Nationalökonomie und des Staatsrechts, zunächst in Tübingen, dann in Berlin, suchte Eschenburg Zugang zu Außenminister Stresemann und fand ihn auch:
Und der Vorsitzende der Nationalliberalen war Bassermann, der Vorgänger Stresemanns als Vorsitzender dieser Partei, und über den war nicht viel bekannt. Und ich wollte also über den eine Doktorarbeit machen. Und da schrieb ich an Stresemann und bekam drei Tage später einen Brief: 'bitte morgen um zehn Uhr kommen'. Und da hat er sich zwei Stunden mit mir unterhalten und alle Hilfe zugesagt, und da hab' ich meine Doktorarbeit gehabt. Damals war es noch etwas Neues, lebende Politiker zu interviewen. Da war ich einer der ersten, der das gemacht hat.
Hier tritt eine weitere Begabung Eschenburgs ans Licht, die ihn später berühmt machen sollten: die für den Journalismus. Doch zunächst hatte er andere Ziele.
1928 hab' ich Doktorexamen gemacht und bin dann in den Verein Deutscher Maschinenbau-Anstalten als Referent eingetreten und hab' Wirtschaftspolitik gemacht. In diesem Verband hab'ich unendlich viel gelernt.
Bis das Dritte Reich dem Verband ein jähes Ende bereitete. Eschenburg blieb bis Kriegsende in der Wirtschaft und wäre es wohl auch weiter geblieben, hätte den politisch Unbelasteten
nicht ein Ruf aus der Politik ereilt. Ein ehemaliger Studienfreund, Paul Binder, war im französisch beherrschten Württemberg-Hohenzollern Finanzminister geworden und empfahl ihn dem damaligen Regierungschef, dem Sozialdemokraten Carlo Schmid. Der machte ihn stante pede zum Staatskommissar für das Flüchtlingswesen, ein schweres Amt, das Eschenburg immer wieder in Konflikt mit der französischen Militärregierung brachte. Seiner Karriere war dies freilich nicht abträglich:
Die Regierung, damals unter Carlo Schmid, war ungeheuer mutig. Die ernannte mich zum stellvertretenden Innenminister, und die Franzosen schluckten das nur mit der Maßgabe, dass ich mit den Flüchtlingen nichts mehr zu tun haben durfte.
1952 verließ Eschenburg die Politik und blieb ihr bis zu seinem Tod 1999 doch treu. Als Ordinarius für wissenschaftliche Politik an der Universität Tübingen wurde er nun zu ihrem scharfsinnigen Beobachter und nicht minder scharfsinnigen Kritiker. Weil er das politische Geschäft von innen kannte, verfügte er über Herrschaftswissen, das den meisten seiner Professorenkollegen abging. Dies befähigte ihn zur Kritik politischer Institutionen, die der journalistisch Begabte zu wahrer Meisterschaft entwickelte. Seine Kolumnen in der Wochenzeitung 'Die Zeit' lehrten manchen Minister das Fürchten, weil sie fast immer ins Schwarze trafen und selten ohne Echo blieben. Kein Wunder, dass die Kanzler Adenauer und Erhard seinen Rat suchten, und Eschenburg immer in brechend vollen Hörsälen dozierte. Am fiktiven Abgeordneten Pachulke erläuterte er den Studenten so unnachahmlich wie eindringlich die Mechanismen des Regierungssystems der Bundesrepublik. Ihr widmete er auch ein Buch, das viele Auflagen erlebte: Staat und Gesellschaft in Deutschland war über Jahrzehnte die Bibel von Politologen und Journalisten. Und noch kurz vor dem Fall
der Mauer gab der Hochbetagte den Regierenden im Hinblick auf die Wiedervereinigung einen klugen Rat, den sie leider nicht befolgten:
Wenn die Grenze fällt, muss in der DDR eine Situation entstanden sein, dass nicht alle rüber laufen. Das alles muss sich in Stufen vollziehen.
Der Mikrokosmos der Freien und Hansestadt Lübeck, die im wilhelminischen Deutschland noch selbständig war wie heute Hamburg und Bremen, bot ersten Anschauungsunterricht. Dem sollten alsbald Einblicke ins ungleich komplexere Gefüge der Reichspolitik zu Zeiten der Weimarer Republik folgen. Schon als Student der Geschichte, der Nationalökonomie und des Staatsrechts, zunächst in Tübingen, dann in Berlin, suchte Eschenburg Zugang zu Außenminister Stresemann und fand ihn auch:
Und der Vorsitzende der Nationalliberalen war Bassermann, der Vorgänger Stresemanns als Vorsitzender dieser Partei, und über den war nicht viel bekannt. Und ich wollte also über den eine Doktorarbeit machen. Und da schrieb ich an Stresemann und bekam drei Tage später einen Brief: 'bitte morgen um zehn Uhr kommen'. Und da hat er sich zwei Stunden mit mir unterhalten und alle Hilfe zugesagt, und da hab' ich meine Doktorarbeit gehabt. Damals war es noch etwas Neues, lebende Politiker zu interviewen. Da war ich einer der ersten, der das gemacht hat.
Hier tritt eine weitere Begabung Eschenburgs ans Licht, die ihn später berühmt machen sollten: die für den Journalismus. Doch zunächst hatte er andere Ziele.
1928 hab' ich Doktorexamen gemacht und bin dann in den Verein Deutscher Maschinenbau-Anstalten als Referent eingetreten und hab' Wirtschaftspolitik gemacht. In diesem Verband hab'ich unendlich viel gelernt.
Bis das Dritte Reich dem Verband ein jähes Ende bereitete. Eschenburg blieb bis Kriegsende in der Wirtschaft und wäre es wohl auch weiter geblieben, hätte den politisch Unbelasteten
nicht ein Ruf aus der Politik ereilt. Ein ehemaliger Studienfreund, Paul Binder, war im französisch beherrschten Württemberg-Hohenzollern Finanzminister geworden und empfahl ihn dem damaligen Regierungschef, dem Sozialdemokraten Carlo Schmid. Der machte ihn stante pede zum Staatskommissar für das Flüchtlingswesen, ein schweres Amt, das Eschenburg immer wieder in Konflikt mit der französischen Militärregierung brachte. Seiner Karriere war dies freilich nicht abträglich:
Die Regierung, damals unter Carlo Schmid, war ungeheuer mutig. Die ernannte mich zum stellvertretenden Innenminister, und die Franzosen schluckten das nur mit der Maßgabe, dass ich mit den Flüchtlingen nichts mehr zu tun haben durfte.
1952 verließ Eschenburg die Politik und blieb ihr bis zu seinem Tod 1999 doch treu. Als Ordinarius für wissenschaftliche Politik an der Universität Tübingen wurde er nun zu ihrem scharfsinnigen Beobachter und nicht minder scharfsinnigen Kritiker. Weil er das politische Geschäft von innen kannte, verfügte er über Herrschaftswissen, das den meisten seiner Professorenkollegen abging. Dies befähigte ihn zur Kritik politischer Institutionen, die der journalistisch Begabte zu wahrer Meisterschaft entwickelte. Seine Kolumnen in der Wochenzeitung 'Die Zeit' lehrten manchen Minister das Fürchten, weil sie fast immer ins Schwarze trafen und selten ohne Echo blieben. Kein Wunder, dass die Kanzler Adenauer und Erhard seinen Rat suchten, und Eschenburg immer in brechend vollen Hörsälen dozierte. Am fiktiven Abgeordneten Pachulke erläuterte er den Studenten so unnachahmlich wie eindringlich die Mechanismen des Regierungssystems der Bundesrepublik. Ihr widmete er auch ein Buch, das viele Auflagen erlebte: Staat und Gesellschaft in Deutschland war über Jahrzehnte die Bibel von Politologen und Journalisten. Und noch kurz vor dem Fall
der Mauer gab der Hochbetagte den Regierenden im Hinblick auf die Wiedervereinigung einen klugen Rat, den sie leider nicht befolgten:
Wenn die Grenze fällt, muss in der DDR eine Situation entstanden sein, dass nicht alle rüber laufen. Das alles muss sich in Stufen vollziehen.