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Politikum Kohle

Immer mehr Steinkohle-Zechen in Deutschland werden geschlossen, immer mehr Arbeitsplätze abgebaut. Und dieser Prozess hat längst die Zulieferindustrie erreicht. Nur wenige haben ohne den deutschen Steinkohlebergbau eine Überlebenschance.

Von Tonia Koch und Volker Wagener | 16.07.2006
    Noch produziert der Bergbauzulieferbetrieb Becker Mining-Systems in Deutschland. Für den heimischen Markt aber stellt der Mittelständler mit Sitz im saarländischen Friedrichsthal nur noch wenig her. Der Schwerpunkt liegt längst im Ausland. Werkstattmeister Markus Reinheimer.

    "Hier werden Transportbahnen für den untertägigen Betrieb gefertigt: Schienenflurbahnen, Bahnen, die auf der Sohle verlegt werden und Einschienenhängebahnen, die an der Decke hängen. Also früher wurde auch viel Neufertigung für den heimischen Bergbau erledigt, aber jetzt hat es sich stark reduziert, so dass nur noch Reparaturen für den heimischen Bergbau durchgeführt werden und Neufertigung vorwiegend für das Ausland."

    Es läuft gut für den Bergbauspezialisten. In den vergangenen sechs Jahren sind die Umsätze von Becker Mining von jährlich 60 auf 160 Millionen Euro gestiegen - eine Entwicklung die von wenigen Ausnahmen abgesehen in der Branche ähnlich verläuft. Seit 2000 klettern nach Angaben des VDMA, des Verbandes des deutschen Maschinen und Anlagenbaues, die Umsätze der deutschen Bergbauspezialisten pro Jahr zwischen fünf und acht Prozent. Der Markt für deutsche Bergbautechnik, die sich nicht allein auf den Einsatz in der Kohle beschränkt, boomt und das rund um den Globus. Arnold Trokur, Becker Mining Systems:

    "Wir erleben durchaus, dass für High Tech made in Germany international ein angemessener Preis erzielt werden kann, wissen aber auch, dass gerade im Stahl- und Maschinenbau ein lokaler Fertigungsgrad unumgänglich ist, um einen vernünftigen Mix zu erzielen."

    Die gute Konjunktur sorgt auch für mehr Beschäftigung. Allerdings nicht hierzulande, sondern im Ausland. Von den 1100 Becker-Mitarbeitern sind nur noch knapp 200 an den beiden deutschen Standorten Friedrichstahl und Marl tätig. Die Mehrzahl der Beschäftigten verteilt sich auf Standorte in Polen, Südafrika und Frankreich, sowie auf die Wachstumsmärkte China und Australien. Dennoch hat der deutsche Steinkohlenbergbau nach wie vor eine hohe Bedeutung für die Zulieferbranche. Sowohl für die Sicherung der heimischen Arbeitsplätze als auch für die technische Entwicklung. Arnold Trokur:

    "Der deutsche Steinkohlenbergbau ist immer noch ein technologietreibender Bergbau. Das heißt, für die deutsche Bergbauzulieferindustrie ist er wichtig als Partner für Neuentwicklungen, für Innovationen, die dann in den Auslandsmärkten verkauft werden."

    Die Industrie benötigt den heimischen Steinkohlebergbau mehr denn je als Referenz. Denn die RAG, die frühere Ruhrkohle AG, hatte ihre ausländischen Bergbaubeteiligungen bereits wieder verkauft, als der weltweite Steinkohlemarkt erst richtig zu brummen begann. Deshalb bieten sich für die Spezialisten außerhalb Deutschlands keine Möglichkeiten, ihr technisches Know-how in der gesamten Komplexität unter echten Bedingungen zu erproben. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Studie über die mittelfristigen Perspektiven der Zulieferindustrie. Sie wurde von der IG Metall bei Sustain Consult, einem privaten Beratungsinstitut, in Auftrag gegeben. Ralf Löckner, Leiter des Projektes:

    "Das hat einfach damit zu tun, dass Entwicklungen von solchen Maschinen immer gemeinsam mit dem Kunden stattfinden müssen. Es ist ja nicht so, dass in Deutschland in einem Entwicklungsbüro ein Ingenieur hergeht und sich eine Idee ausdenkt, die auf Papier bringt und jemand in einer Fertigungswerkstatt das dann baut. Er geht auch nicht anschließend zum Kunden und sagt: 'Da hast Du eine neue Maschine, viel Glück damit.' Sondern das ist ein Prozess, in dem man stets auch ausprobieren muss, ob das tatsächlich auch so funktioniert, wie man sich das ausgedacht hat. Und dieses Ausprobieren, das muss im Bergwerk stattfinden, und das muss dann natürlich auch vor Ort sein."

    Obwohl inzwischen 80 Prozent der Produktion in den Export gehen, wünschen sich die Zulieferer eine klare politische Entscheidung zugunsten eines Sockelbergbaus. Der Bergbau so der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Steinkohle AG, Bernd Tönjes, wirke sich auf die Unternehmen stabilisierend aus, auch wenn die Abhängigkeit von ehemals 100 Prozent bei vielen Zulieferern inzwischen auf 20 Prozent geschrumpft sei.

    Tönjes: "Trotzdem bleibt der Bergbau als einer der wichtigen Auftraggeber auch für diese Firmen, die im Strukturwandel stecken immer noch ein wichtiger Auftraggeber. Daher kann man auch nicht beliebig die Geschwindigkeit dieses Anpassungsprozesses erhöhen."

    Ein Referenzbergwerk, das als Versuchslabor offen gehalten wird, während alle anderen geschlossen werden, ist ebenfalls keine Lösung. Auch wenn es von der Politik immer mal wieder ins Gespräch gebracht wird. Arnold Trokur:

    "Das Referenz-Bergwerk reicht sicherlich nicht Aber dass es einen Bergbau in Deutschland. geben muss, um eine Bergbauzulieferindustrie in Deutschland zu erhalten, das wäre absurd, auch das zu verlangen von uns Bergbauzulieferern."

    Verlässlichkeit müsse es jedoch geben, damit sich die Industrie definitiv darauf einstellen könne, wann Schluss sei mit dem deutschen Steinkohlebergbau. Ähnlich denkt auch der saarländische Wirtschaftsminister. Für seine Zulieferer will er sich nicht mehr ins Zeug legen. Hans-Peter Georgie:

    "Wichtig ist, dass die Unternehmen frühzeitig informiert werden, und nicht immer eine Hängepartie von Legislaturperiode zu Legislaturperiode, sondern nach den jetzigen kohlepolitischen Verhandlungen Ende des Jahres informiert sind, wann wird im Saarland oder wann wird in NRW dieses oder jenes Bergwerk geschlossen? Je frühzeitiger die Unternehmen das wissen, umso eher sind sie in der Lage, sich um neue Märkte zu kümmern."

    Der saarländische Wirtschaftsminister strebt daher bei den laufenden Verhandlungen über die Zukunft des deutschen Steinkohlenbergbaus ein klar definiertes Auslaufszenario an.

    "Wenn es insgesamt für Deutschland nicht definierbar ist, auf Grund der Gespräche, dass man zumindest für das Saarland einen Endzeitpunkt festlegt."

    Sein Wunsch könnte schneller in Erfüllung gehen als erwartet. Informationen der "Süddeutschen Zeitung" zufolge hat sich eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern der Bundesregierung, der Revierländer, Saarland und Nordrhein-Westfalen sowie Vertretern der RAG und der Gewerkschaft, darauf verständigt, dass das einzige an der Saar verbliebene Bergwerk außerplanmäßig bereits im Jahr 2012 geschlossen wird. Die Gewerkschaft macht für diese Entwicklung die CDU geführte saarländische Landesregierung verantwortlich. Dietmar Geuskens:

    "Ein Ausstieg aus der Kohle an der Saar 2012 wäre ein fataler Fehler. Mir ist es ein Rätsel, wie man davon sprechen kann, dass das Saarland das so einfach wegstecken würde angesichts der Tatsache, dass wir 52.000 arbeitslose Menschen im Saarland haben."

    6500 Menschen sind nach Angaben der Industrie- und Handelskammer des Saarlandes direkt beim Bergwerk beschäftigt und noch einmal die gleiche Anzahl hänge indirekt davon ab. Im Saarland sind dies drei Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten: Der Wirtschaftsminister zeigt sich jedoch völlig ungerührt vom Arbeitsplatzargument, dem einzigen mit dem der hoch subventionierte Steinkohlenbergbau in Deutschland noch gerechtfertigt werden könne. Hans-Peter Georgie:

    "Die IGBCE und andere sprechen ständig von 12.000 Arbeitsplätzen, die hier wegfallen würde, das ist eine Scheindebatte. Fest steht, dass nach bisheriger Kohlepolitik im Jahr 2012 im Saarland noch 31.500 Arbeitnehmer im Bergbau arbeiten würden."

    Der Streit darüber wie viele Arbeitsplätze die Steinkohleförderung in ihrem Umfeld schafft, währt schon lange. Bei den Maschinen- und Anlagenbauern, die sich auf Bergbautechnik spezialisiert haben, sind es in Deutschland aktuell etwa 16.000. Zwei Milliarden Euro setzt die Branche jährlich um, mehr als zwei Drittel davon im Ausland. Aber nicht alle haben es geschafft, im Ausland Fuß zu fassen. Jüngstes Beispiel: Deilmann Haniel in Dortmund. Das Tochterunternehmen des Baukonzerns Heitkamp rang wochenlang mit der Insolvenz, weil die Aufträge der DSK ausblieben. Für SPD, Gewerkschaft und die DSK ist Deilmann-Haniel daher ein abschreckendes Beispiel dafür, was passiert, wenn die staatlichen Hilfen für die Zechen schneller abgeschmolzen werden als geplant. Nicht nur die Kumpel sondern auch die Beschäftigten in der Zulieferbranche verlören ihre Jobs zu Tausenden. Doch Wilhelm Droste, wirtschaftspolitischer Sprecher der Union im Düsseldorfer Landtag, sieht die Verantwortung nicht bei der Politik, sondern beim Unternehmen.

    "Ich sage es frei heraus: Es ist schon eine Unverschämtheit, wenn die Folgen unternehmerischer Unfähigkeit nun dem Landtag vor die Tür gekippt werden sollen."

    Während im Plenum über die Rolle der Politik beim Abschied vom Bergbau diskutiert wurde, waren draußen 1600 Beschäftigte von Deilmann-Haniel vor den Düsseldorfer Landtag gezogen. Die Subventionspolitik der CDU-geführten Landesregierung trage die Mitschuld am sich abzeichnenden Job-Desaster. Da könne sich die CDU nicht einfach herausreden, befand der vormalige SPD-Landeschef und Arbeitsminister Harald Schartau.

    "Sie haben etwas damit zu tun. Ich war eben bei den Demonstranten, die Kälte draußen ist nur noch zu überbieten gegen die Kälte hier drinnen."

    Für die Bergbaubeschäftigten gibt es Regeln. Werden ihre Arbeitsplätze abgebaut, so geschieht dies nach wie vor unter komfortablen Vorzeichen, wenn sie in den Vorruhestand verabschiedet werden. Die Zulieferindustrie verfügt über solche Instrumente gar nicht oder nur sehr eingeschränkt. Bei Deilmann-Haniel hat die Rettung des Unternehmens 780 Mitarbeiter den Job gekostet. Über die Hälfte der Betroffenen wurde gekündigt. Lediglich für 330 Beschäftigte wurden die bergbauspezifischen Regeln einer sozialverträglichen Anpassung angewendet. Auch ein Teil der DBT, ein Zusammenschluss mehrerer Bergbauzulieferer unter dem Dach der deutschen Bergbautechnik, hat Töchter, die auf Gedeih und Verderb auf die DSK angewiesen sind. Reiner Speicher Betriebsratsvorsitzender bei der Deutschen Bergbautechnik, Transporttechnik Saar:

    "Wir sind unmittelbar davon betroffen, wenn was passiert, wenn ein Bergbaustopp verhängt wird. Zurzeit sind schon wieder betriebsbedingte Kündigungen im Gange, das heißt, wir haben schon wieder einen Sozialplan gemacht, um die Menschen ein wenig sozial abgefedert dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen."

    Auch andere Industriezweige, denen nicht nur in den vergangenen Jahren sondern auch zukünftig glänzende Aussichten unterstellt werden, sind mitunter nicht erfreut, sollten die Kohlesubventionen schneller heruntergefahren werden. Die Rede ist von der Kraftwerksbranche. Augenblicklich diskutieren die Kraftwerksbauer darüber, an der Saar ein neues Kraftwerk zu errichten. Es soll ab 2012 eines der vier saarländischen Großkraftwerke ersetzen. Bislang werden alle Kraftwerke überwiegend mit heimischer Kohle gespeist. Die kurzen Transportwege bieten Kostenvorteile, die es zu nutzen gilt. Wenn das letzte Bergwerk an der Saar schneller geschlossen wird als erwartet, also vor 2016, dann ergäben sich völlig neue Anforderungen an die Logistik . Hans-Herrmann Michaelis, Kraftwerksleiter der VSE, der Vereinigte Saar Elektrizitätswerke.

    "Das hängt letztendlich davon ab, wie viel Kohle hier her gebracht werden muss. Wir müssen das auch im Kontext sehen mit dem Kohlebedarf der ZKS, der Kokerei in Dillingen, die auch einen Großteil ihrer Kohle über den Schifffahrtsweg bezieht. Dann müsste man gegebenenfalls auf die Bahn ausweichen, was dann auch wieder zu höheren Kosten führt."

    Was es heißt, wenn plötzlich die Transportkapazitäten knapp werden und die Preise explodieren, hat die Stahlindustrie leidvoll erfahren müssen. Preissteigerungen bis zu 300 Prozent für die Tonne Koks waren zum Teil auch auf die fehlenden Transportkapazitäten zurückzuführen. Ein solches Szenario steht für die Kraftwerkskohle zwar nicht zu befürchten. Aber die Moselschleusen müssen erst ertüchtigt werden, damit sie das zusätzlich anfallende Frachtaufkommen zukünftig bewältigen können. Die logistischen Probleme sind zu lösen, das steht außer Frage, aber ihre Lösung braucht Zeit, und sie kostet Geld. Kraftwerksleiter Hans-Herrmann Michaelis.

    "Es wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu Kostenerhöhungen kommen."

    Auch die drei saarländischen Kraftwerke der RAG-Tochter Steag werden mit heimischer Steinkohle befeuert. Und ein Interesse daran, dass die Kosten für die Energieerzeugung steigen, hat Werner Müller, der Vorstandschef der RAG, sicherlich nicht.

    Der parteilose Wirtschaftsminister im ersten Kabinett Gerhard Schröder ist ein strategischer Kopf. Er will ein Industrie-Konglomerat an die Börse bringen. Allerdings nur den so genannten weißen Bereich zu dem die Sparten Energie, Chemie und Immobilien gehören. Der schwarze Bereich, zu dem die verbliebenen Steinkohlezechen mit ihren immer noch rund 36.000 Bergleuten gehören, will er abkoppeln. "Die Beseitigung einer Last aus der alten Bundesrepublik", nennen das Kenner der Szene. Das geht nicht ohne die Politik. Müller braucht grünes Licht aus Berlin für den eleganten Abschied vom schwarzen Gold von einst.

    "Hier sind jetzt die wichtigsten Entscheidungen von der Politik zu treffen. Die Gespräche dazu laufen - entgegen manchen Spekulationen in den Medien - gut und konstruktiv","

    so Werner Müller am 18. Mai in der Bilanzpressekonferenz in Essen. Der feinsinnige RAG-Chef überlässt beim großen Industrie-Monopoly nichts dem Zufall. Altkanzler Gerhard Schröder ist sein Berater, die CDU-Größe Friedrich Merz vertritt die Interessen der RAG als Anwalt der Kanzlei Mayer, Brown, Rowe & Maw. Bis vor wenigen Wochen schien die "Operation Börsengang" ein Selbstläufer, mittlerweile hat sich das Tempo der RAG hin zu einem neuen börsennotierten Konzern im Ruhrgebiet merklich verlangsamt. Das zweite Quartal 2007 als Börsenstart ist kaum noch zu realisieren. Umstritten ist die Frage, ob der Börsenerlös für die weißen Sparten genügend Geld einbringen wird, um die so genannten Ewigkeitskosten des Bergbaus - Pensionen und vor allem die immensen Bergschäden - decken zu können. Denn das, was der weiße Bereich wert ist, soll für die Lasten des Bergbaus verwandt werden. Eine Paketlösung könnte unter Umständen nicht die vorteilhafteste Variante für die öffentliche Hand sein, argumentiert Prof. Christoph Schmidt, vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen.

    ""Der Punkt ist: Könnte man mehr erzielen durch die drei einzelnen Teile oder durch die Veräußerung des ganzen Pakets? Eigentlich habe ich nur von den Analysten gehört, dass das Paket einen Verlust von mehreren hundert Millionen Euro bedeutet, eventuell noch mehr. Die Zahlen sind nicht ganz sicher, aber das ist schon eine Menge Holz. Das Paket würde allerdings bedeuten: ein neuer dax-notierter Konzern im Ruhrgebiet."

    Die schwarz-gelbe Landesregierung in Düsseldorf - mit 500 Millionen Euro im vergangenen Jahr zweitgrößter Subventionsgeber für die RAG-Zechen nach dem Bund - favorisiert eindeutig den lukrativeren Einzelverkauf. Denn der Staat haftet für alle Schäden, die der Bergbau im Revier verursacht hat und noch verursachen wird. Derzeit wird in diversen Gutachten ermittelt, wie hoch die Lasten des Steinkohlenbergbaus ausfallen könnten. Eine Rechnung mit einer großen Unbekannten, denn noch ist nicht entschieden, wann definitiv die letzte Schicht im allerletzten Bergwerk gefahren wird. Und das wiederum ist eine hoch politische Frage. Christoph Schmidt vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung:

    "Das einzig wirklich entscheidende ist, dass man sich endlich dazu bekennt, dass damit irgendwann mal Schluss sein muss - nicht in zwölf Jahren, das macht ja keinen Sinn, aber in ein paar Jahren, aber, dass man den Betroffenen hinreichend Zeit gibt. Wer redet heute noch von der Textilindustrie in NRW? Die hatten halt keine Lobby, die ihnen geholfen hat."

    Eine große Expertenrunde des Wirtschafts- und Finanzministeriums unter Beteiligung der beiden Förderländer NRW und Saarland, sowie der Deutschen Steinkohle AG und der Bergbau-Gewerkschaft IGBCE soll sich bis zum Jahresende auf eine weitere Kürzung der jährlichen Steinkohlemenge verständigen. Weitere vier Millionen Tonnen bis zum Jahr 2012 seien die Zielsetzung , heißt es dazu aus der Runde. Von den ursprünglich vorgesehen 16 Millionen Tonnen habe man sich bereits verabschiedet. Ein Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG kommt sogar zu dem Ergebnis, dass 2018 ein Komplettausstieg möglich ist. Ein kleinerer einstelliger Milliardenbetrag wäre als allerletzte Draufgabe nötig, um alle Zechen zu schließen und die letzten Kumpel abzufinden. Eine Verlockung in Anbetracht von 128 Milliarden Euro, die seit 1958 aus öffentlichen Kassen der Steinkohlebranche zur Verfügung gestellt wurden. Ein Großteil davon floss als so genannte Verkaufshilfe: Geld, das die Differenz zwischen dem Weltmarktpreis und den tatsächlichen Förderkosten ausgleichen sollte. Zuletzt war die deutsche Steinkohle dreimal so teuer wie die aus Übersee.

    Werner Müller sieht derweil keine Alternative zu seinem Konzept "Börsenerlöse für Altlastenausgleich". 5,3 Milliarden Euro an Rückstellungen hat die RAG der öffentlichen Hand anzubieten plus den Preis für den weißen Bereich. Zusätzliche Kosten kämen auf keinen Fall auf den Staat zu, versicherte er vor zwei Monaten, als er ein Rekordergebnis in der Firmengeschichte verkünden konnte. Aus einem Aschenputtel namens RAG sei in knapp drei Jahren ein moderner, effizienter und selbstbewusster Industriekonzern geworden.

    "Der geplante Börsengang der RAG ist zugleich ein beispielloser Reformprozess für Deutschland. Er ist ein Synonym dafür, ob und wie schnell wir uns in Deutschland auf die Zukunft einstellen, die dazu notwendigen Aufgaben lösen können."

    Derzeit ist unwahrscheinlich, dass Werner Müller seinen Zeitplan einhalten kann. Die Politik zögert noch, den vom RAG-Chef ausgelegten Köder zu schlucken. Die RAG-Aktionäre E.ON, RWE, ThyssenKrupp und Arcelor sind bereit, ihre Anteile für symbolische Beträge dem Staat zu überlassen. Zu den Börsenerlösen kommt noch eine weitere Draufgabe an die öffentliche Hand. 25,1 Prozent soll die Stiftung, die die Altlasten in Zukunft begleichen soll, an der neuen RAG halten. Damit ist sie an den Gewinnen des Konzerns beteiligt, was, so Christoph Schmidt vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung, noch nicht ausreicht an Sicherheiten.

    "Die Altlasten sind eine große Unbekannte. Nur die Altlasten sollen aber sozialisiert werden und die Erlöse nach dem Börsengang sollen in eine private, von Anteilseignern gehaltenen Unternehmung sein. Ein Handel, auf den sich der Steuerzahler nur bedingt einlassen sollte."

    Die Politik, die RAG und die Gewerkschaft ringen noch über Tempo und Umfang des Ausstiegs aus der deutschen Steinkohleförderung. Die Betroffenen selbst - rund 36.000 Bergleute und ihre Familien - möchten hingegen planen können. Die Zeiten, in denen Steinkohlegegnern auf öffentlichen Veranstaltungen im Ruhrgebiet Blumen zuflogen, an denen unten noch die Töpfe hingen, sind längst vorbei. Das Thema ist kein emotionales mehr. Es geht den übrig gebliebenen Beschäftigten, die in der goldenen Zeit des Bergbaus einmal 650.000 waren um Weiterqualifizierung und Abfindungen. Eine große Kohlekonferenz mit allen Beteiligten an einem Tisch könnte solche Themen behandeln. Noch ist ein Termin dafür nicht in Sicht.