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Politikwissenschaftler: EnBW-Affäre auch für Bundes-CDU "brandgefährlich"

In einer "sehr fatalen Situation" sieht der Tübinger Parteienforscher Hans-Georg Wehling die CDU in Baden-Württemberg. Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus habe in der Partei einen Scherbenhaufen hinterlassen, der auch der Bundes-CDU noch "sehr gefährlich" werden könnte, glaubt Wehling.

Hans-Georg Wehling im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Am Telefon ist nun Professor Hans-Georg Wehling, er ist Politikwissenschaftler und Parteienforscher an der Universität Tübingen. Guten Tag, Herr Wehling!

    Hans-Georg Wehling: Guten Tag, Frau Engels!

    Engels: Rechnen Sie denn damit, um die letzte Frage an unseren Korrespondenten noch mal aufzugreifen, dass es doch noch schärfere Töne beim CDU-Parteitag gibt?

    Wehling: Na ja, die ganze Bundesrepublik schaut ja zu. Und von daher versucht man sich einigermaßen glimpflich aus der sehr fatalen Situation heraus zu retten. Aber wenn Sie sich an der Basis umhören in der CDU, da ist die Verurteilung von Mappus sehr viel deutlicher. Die CDU macht ja gerade ein bisschen Verwirrspiel mit Worten. Es geht ja nicht nur und nicht mal in erster Linie darum, ob er strafrechtlich verantwortlich ist, sondern das Problem ist doch eher, ob er politisch verantwortlich ist, und da muss man uneingeschränkt ja sagen. Ich meine, sein politischer Umgangsstil war immer schon hier berüchtigt, das haben die Leute an der Spitze ja auch unmittelbar erfahren, da kann also Strobl ein Lied von singen, und Hauk auch. Er war ein sehr ruppiger Machtpolitiker, und das haben alle zu spüren bekommen, wenn sie etwa den Umgang mit dem Finanzminister Stächele bei dem EnBW-Deal, wo er eigentlich den massiv gedemütigt hat und ihn letztlich auch ums Amt gebracht hat. Das konnte Mappus, was er aber nicht konnte, war inhaltlich arbeiten, und das legt vor allen Dingen auch der E-Mail-Verkehr mit seinem "Freund" in Anführungsstrichen Dirk Notheis offen, und da zeigt er sich als ein Papiertiger, der zwar laut brüllen konnte, aber selbst keine inhaltlichen Vorstellungen hatte und auch nicht wusste, wie er Politik machen kann. Und das ist ja auch für die CDU viel gefährlicher, denn es ist fraglich, in der Tat, ob er verurteilt würde vor einem Gericht, da kann man also immer mit der Unschuldsvermutung kommen, aber was er innerhalb der Partei angerichtet hat, das ist viel schlimmer, das ist der eigentliche Scherbenhaufen, und da kann man nicht, wie Volker Kauder, einfach drüber weggehen, vor allen Dingen, wenn man barfuß ist, da schneidet man sich ganz schön ins eigene Fleisch.

    Engels: Schauen wir einmal auf die Psyche der CDU Baden-Württemberg. Das ist ja nun der zweitgrößte Landesverband der CDU überhaupt. Ein Parteisprecher hat kurz vor diesem Parteitag noch einmal erklärt, dass bislang nur wenige Mitglieder des Landesverbandes wegen der Affäre um Stefan Mappus die Partei verlassen haben. Wieso sind die CDU-Mitglieder im Südwesten offensichtlich so geduldig?

    Wehling: Es ist in erster Linie, würde ich sagen, eine Schockstarre, weil man noch nicht weiß, wie man mit dieser Situation umgehen soll. Sie halten es, gerade die Mitglieder an der Basis halten es für ungeheuerlich, was da passiert ist, und sie können sich es nicht erklären, und sie haben Probleme, damit fertig zu werden. Das kann sich eben noch ändern, und es kann auch noch sehr gefährlich werden für die Bundespolitik. wir haben ja nächstes Jahr Bundestagswahlen, und wenn Niedersachsen, die ja im Januar wählen, und wenn Baden-Württemberg bei der Wahl so schlecht dort dastehen, dann kann man sich fragen, ob es da noch für Schwarzgelb auf Bundesebene und für Angela Merkel reichen wird.

    Engels: Schockstarre auf der einen Seite, nun auf der anderen Seite der von Ihnen auch beschriebene autokratische Führungsstil von Stefan Mappus, der ist ja lange Jahre in Baden-Württemberg offenbar sehr gut angekommen. Gibt es auch einen starken Flügel in der CDU Baden-Württemberg, der darauf setzt, dass ein solcher Führungsstil auch in Zukunft gepflegt wird, heißt, Mund abwischen und weitermachen und sich nicht von Kritikern beirren lassen?

    Wehling: Das ist sicher noch ein Flügel, aber der dürfte nicht allzu stark sein. Die Übermittlung der E-Mails durch die Bank, wer die gelesen hat, die E-Mails, der kann einfach nicht mehr sagen, wir machen weiter so, sondern da muss eine deutliche Veränderung stattfinden. Die CDU merkt es ja auch schon seit Jahren hier in Baden-Württemberg, dass sie Stück für Stück eben abschmilzt, gerade eben in den Hochburgen, die eben südlich der Donau liegen, Gegenden, die katholisch sind, da verliert so über die Jahre gerechnet die CDU so pro Jahr ein Prozent, wenn Sie das also aufteilen auf die Jahre. Und die Grünen sind eben eine Alternative geworden, bislang sind diese katholischen Gegenden Baden-Württembergs ja aufgrund ihrer Konfession hinter der CDU gestanden. Die Bindung an Konfessionen lässt ja nach, das wirkt sich aus. Aber es gibt eben auch eine Alternative in Gestalt der Grünen, die eben genau das verkörpern, was dieses CDU-Programm, das jetzt auf dem Parteitag vorgelegt wird, in der Überschrift stehen hat – vielfältig, bodenständig, bürgernah –, das sind die Grünen, und das ist auch Winfried Kretschmann, der auch ein Stück weit die Gegenfigur zu Stefan Mappus ist, und das wird der CDU zu schaffen machen. Und das Ganze eben in Kombination mit dem, wie Mappus sich verhalten hat, das ist für die CDU – auch auf Bundesebene – brandgefährlich.

    Engels: Nun steht der CDU-Landesverband Baden-Württemberg traditionell für den konservativen Flügel der Union. Hat dieser Rückschlag nun für den Landesverband, den Sie ja auch begleiten, möglicherweise, mit grundsätzlichen gesellschaftlichen Verschiebungen in Baden-Württemberg, die Sie beobachten, auch Folgen für die Union der Bundesebene, was diesen konservativen Teil angeht?

    Wehling: Ich meine, die Konservativen haben ja der Merkel schon einiges vorgeworfen, dass sie eben zu stark sozialdemokratisch geworden sei. Das ist eine innerparteiliche Polemik, wird man so nicht sagen können – also die konservative Seite hier ist nicht, in Baden-Württemberg, ist nicht unbedingt so eine Mappus-Partei, sondern wir haben hier eine sehr starke wertkonservative Verankerung – Erhaltung der Schöpfung als Stichwort –, das hängt mit der katholischen Orientierung im Süden von Baden-Württemberg zusammen, im Norden sieht es ein bisschen anders aus, weil da die CDU auch sehr viel evangelischer ist. Und in dieser wertkonservativen Richtung, da sind CDU und Grüne sich sehr nahe, also wenn Mappus nicht auch vor der Wahl alles falsch gemacht hätte, nämlich Norbert Röttgen wegen der Laufzeitverlängerung anzugreifen – Mappus war dafür und Norbert Röttgen war dagegen, und da hat er seinen Rücktritt sogar gefordert –, damit hat er natürlich ganz laut die Tür zu den Grünen zugeschlagen. Und ich meine, das hat letztlich auch der CDU die Fähigkeit, eine Regierung zu führen, abhandenkommen lassen, denn da war mit den Grünen nichts mehr drin. Und er hat dann auch noch den weiteren Fehler gemacht zu sagen, er will nur mit der FDP regieren, auch keine große Koalition, und ein guter Politiker lässt sich ja immer verschiedene Optionen offen, und das hat Mappus nicht getan, also darüber muss die CDU auch nachdenken. Sie darf nicht nur sich beschäftigen mit diesem EnBW-Deal. Der war massiv und der hat also besonders stark dann auch ins Kontor geschlagen bei der CDU, aber das ist nicht alles, sondern die CDU muss insgesamt hier einen Nachdenkprozess einleiten, wenn sie sich halten will, wen sie wieder zurück an die Regierung kommen will.

    Engels: Professor Hans-Georg Wehling, Politikwissenschaftler und Parteienforscher an der Universität Tübingen. Vielen Dank für das Gespräch!

    Wehling: Danke, Frau Engels!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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