Seit dem Brand im Auffanglager Moria werde diskutiert, ob Deutschland helfen müsse - notfalls auch im Alleingang. Im Deutschlandfunk-Interview spricht sich der Politikwissenschaftler Olaf Kleist dafür aus.
Europa sei nun endlich gezwungen, über die Situation an seinen Außengrenzen, die es selbst geschaffen hat, zu sprechen, sagt der Politikwissenschaftler Olaf Kleist. Diese Diskussion sei jahrelang nicht geführt worden. Die Abschreckungspolitik der griechischen Regierung nannte er eine politisch nachvollziehbare, aber auch zynische Haltung: "Weil hier Menschen als Geiseln gehalten werden, um ein Exempel zu statuieren. Das ist wirklich hoch problematisch. Weil das nicht nur Flüchtlinge betrifft, sondern die Idee von Rechten, von Menschenrechten, von Grundrechten in Europa. Das trifft uns alle in den Grundfesten Europas."
Abschreckung: zynisch und wirkungslos
Die Abschreckungspolitik Europas könne nicht greifen, weil die Flüchtlinge zum überwiegenden Teil aus Syrien und Afghanistan kämen. "Die Menschen fliehen nicht, weil sie nach Europa wollen, sondern weil sie aus Situationen heraus müssen, die für sie lebensgefährlich sind. Es gibt hier keinen sogenannten Pull-Faktor, die Menschen suchen Sicherheit." In Europa suchten die Flüchtlinge Demokratie und Grundrechte und Freiheit. Das hätten Umfragen ganz explizit gezeigt. "Und wenn wir das nicht aufs Spiel setzen wollen, dann genau müssen wir eben auch Menschenrechte und Freiheit und Demokratie hochhalten."
Die Flüchtlingskrise als Wendepunkt
Das Jahr 2015 sei nicht bedeutsam gewesen, weil die Flüchtlingskrise in diesem Jahr den Aufstieg der AfD befördert hat. Proteste gegen Flüchtlinge habe es auch in den 90er Jahren gegeben, so Olaf Kleist: "Das Überraschende an 2015 war die unglaubliche Hilfe, die Millionen von Menschen, die hier ehrenamtlich geholfen haben. Und das ist, was wirklich bleibt. Die Flüchtlingshelfer in den Kommunen, die machen weiter, auch wenn wir nicht mehr so viel über sie reden."
Flüchtlinge als Lakmustest für Demokratie
Der Gründer und Vorsitzender des Netzwerks Fluchtforschung sieht große Kapazitäten in Deutschland. Das in Moria auch im Alleingang helfen müsse, im Namen von Demokratie und Menschenrechten: "Man kann nicht, wenn das Haus brennt, sagen, ich trage dort nur Eimer mit Wasser hin, wenn andere mithelfen. Da muss man tun, was man tun kann."
Es sei kein Zufall, dass gerade die antidemokratischen Staaten in Europa die Staaten seien, die die Aufnahme von Flüchtlingen ablehnten: "Die Flüchtlinge sind hier quasi die Kanarienvögel in der Kohlemine. Sie sind diejenigen, an denen wir messen können, wie der Stand der Demokratie in unserer Gesellschaft ist."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.