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Politikwissenschaftler sieht keine Gefahr eines Kalten Krieges

Professor Herfried Münkler, Politikwissenschaftler an der Humboldt-Universität in Berlin, glaubt nicht, dass das Verhältnis zwischen Russland und der Europäischen Union sowie den Vereinigten Staaten von Amerika zu einem neuen Kalten Krieg führen könnte. Richtig sei allerdings, dass Russland mehr Selbstvertrauen - besonders gegenüber Washington - zeige.

Moderation: Klaus Remme |
    Klaus Remme: Es sind ja noch einige Tage bis zum Beginn des G8-Gipfels in Heiligendamm, doch das Seebad nähert sich immer mehr dem Ausnahmezustand. 12 Kilometer Zaun sind um den Ort geschlagen worden, zweieinhalb Meter hoch, mit Stacheldraht, Durchkriechschutz und Kameras abgesichert. Bisher gab es Durchgangsstellen an diesem Zaun, doch seit heute Morgen ist er zu. Nur noch knapp 300 Einwohner sowie Mitarbeiter von Unternehmen, die einen Berechtigungsschein haben, haben von nun an bis zum Gipfeltreffen Zugang. Vorbereitet wird das Treffen außenpolitisch heute von den Außenministern der G8-Staaten. Sie haben sich in Potsdam versammelt und die Liste der Themen ist lang: Irak, Iran, Afghanistan, der Nahe Osten.
    Neben den vielen regionalen Konflikten, schwelt das wachsende Misstrauen zwischen Russland und dem Westen. Sicher nicht zufällig hat Moskau gestern zwei Raketentypen getestet: das eine eine Interkontinentalrakete - Erinnerungen und Bilder werden wach an den Kalten Krieg - und das andere eine Kurzstreckenrakete, dies möglicherweise auch mit Bezug auf das Raketenabwehrsystem, das die Amerikaner im Osten Europas planen.
    Am Telefon begrüße ich nun Professor Herfried Münkler, Politikwissenschaftler an der Humboldt-Universität in Berlin. Ich grüße Sie, Herr Münkler!

    Herfried Münkler: Hallo!

    Remme: Herr Münkler, wir haben es gerade gehört. Für wie bedrohlich halten Sie dieses Säbelrasseln zwischen Russland und dem Westen?

    Münkler: Nun gut, die Russen sind seit 91 in einer defensiven Position gewesen. Sie sind immer weiter zurückgedrängt worden. In Zentralasien und Ostmitteleuropa haben die Amerikaner insbesondere Positionen besetzt, die eigentlich klassisch russische Einflussgebiete waren. Nun ist Russland ökonomisch wieder in stärkerer Weise handlungsfähig aufgrund der hohen Preise für Öl und Gas und sie möchten ganz offenbar anknüpfen vielleicht nicht an die Position der Sowjetunion, aber an die klassische Position, die Russland inne gehabt hat in geopolitischer Hinsicht. Das führt natürlich zwangsläufig zu Reibereien, aber dass das ein neuer Kalter Krieg sein würde, wie man das gelegentlich hört, das denke ich ist übertrieben. Dafür gibt es auch viel zu viele gemeinsame Interessen.

    Remme: Ich wollte gerade fragen. Es ist ja noch nicht lange her, da war Russland bei den Überlegungen, wie eine neue Weltordnung aufzubauen sei, ein Partner. Ist es damit fürs erste vorbei?

    Münkler: Nein, das denke ich nicht. Es hat sich ein bisschen was verändert innerhalb des Gefüges einer solchen potenziellen Partnerschaft. Aus der bundesrepublikanischen Perspektive spricht man ja auch von einer strategischen Partnerschaft. Russland hat mehr Selbstbewusstsein. Es lässt sich nicht mehr so einfach behandeln oder gewissermaßen es akzeptiert nicht mehr bestimmte Vorstellungen, die aus dem Westen, insbesondere aus Washington kommen. Insofern wird der Umgang miteinander schwieriger, aber andererseits ist natürlich Russland sehr daran interessiert, weiterhin seine Ressourcen nach insbesondere Westeuropa zu verkaufen, denn Westeuropa ist ein zuverlässiger und zahlungsfähiger Partner. Also ich denke das ist zurzeit so ein bisschen Geschubse und Positionierung, aber das ist nicht die eigentliche weltpolitische Herausforderung.

    Remme: Die steht sicherlich auf der Agenda der Außenminister in Potsdam. Die Liste ist lang; wir haben es gehört: Irak, Iran, Afghanistan, der Nahe Osten. Das Stichwort Kosovo ist gefallen. Herr Münkler, wenn Sie Einfluss hätten auf die Tagesordnung, wo würden Sie beginnen?

    Münkler: Ja gut, das ist die Frage was ich mir zutraue, bei einem solchen Einfluss zu lösen. Vielleicht die kleineren Probleme sind wohl der Kosovo, ohne dass man das jetzt einer Lösung zuführen kann, aber da scheinen sich ja doch gewisse Schnittmengen entwickelt zu haben. Das ist in Ihrem Beitrag angesprochen worden. Das größte Problem ist sicherlich die Region von Irak bis nach Pakistan, auf die vermutlich dann auch die Außenminister die meiste Zeit und Sorgfalt zu verwenden haben, weil es hier eher darum geht, überhaupt erst einmal auszuloten, wo Handlungsmöglichkeiten sind, wo man das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet stabilisieren kann, wo man vielleicht auf den Iran zugehen kann, wo eventuelle Kompromisslinien sind. Da ist nichts erwartbar, was in irgendeiner Weise mit dem Begriff Durchbruch zu belegen wäre.

    Remme: Herr Münkler, es gibt ja Aspekte, die all diese Themen eint, auch wenn die Schauplätze unterschiedliche Namen tragen. Der Kampf gegen den Terror ist ein solcher Aspekt. Erkennen Sie in diesem Punkt Fortschritte?

    Münkler: Das ist eine sehr plakative Überschrift und eine sehr plakative Einung unterschiedlicher Punkte, die im Wesentlichen die Agenda, wie sie von Washington ausgesetzt wird, beschreibt. Fortschritte sicherlich nicht in dem Sinne, dass man über Ursachen des Terrorismus spricht, wie diese Ursachen beseitigt oder eingedämmt, wenn denn überhaupt erkannt wären. Es bleibt wohl dabei, dass das, was die Amerikaner "crater middle east" nennen, also im Prinzip die Region von Israel bis zur indischen Grenze, wie eine notorisch instabile Region ist und man zufrieden sein muss, wenn es gelingt zu vermeiden, dass dort die Konflikte nicht weiter hochkochen.

    Remme: Und wo sehen Sie hoffnungsvolle Akzente in diesem Bereich?

    Münkler: Was "crater middle east" anbetrifft?

    Remme: Ja.

    Münkler: Na ja, gut. Das glaube ich vorgestern oder vorvorgestern stattgefundene erste Gespräch zwischen Amerikanern und Iranern in Bagdad zeigt vielleicht eine Richtung, die die bald drei Jahrzehnte währende Sprachlosigkeit zwischen den USA und dem Iran überwunden werden kann, denn die beiden müssen ihre Interessenssphären gegeneinander abstecken. Wenn es dort Konkurrenzen gibt, dann gibt es eine Möglichkeit, doch vielleicht die sehr bedrohliche Entwicklung im Hinblick auf Nukleartechnologie zu beenden, aber vielleicht auch den Zerfall des Irak in Grenzen zu halten.

    Remme: Herr Münkler, was darf man vom G8-Gipfel in wenigen Tagen in diesen Fragen erwarten?

    Münkler: Keine Durchbrüche, sondern eher eine Klärung unterschiedlicher Interessenslagen mit der Ausmittlung von Schnittstellen.

    Remme: Das klingt fast resigniert?

    Münkler: Ist es aber nicht.

    Remme: Herr Münkler, der Zaun hat sich geschlossen. Die Regierenden schotten sich ab. Haben Sie Verständnis für diese gewaltigen Sicherheitsmaßnahmen?

    Münkler: Das ist eine ganz schwierige Frage. Ich meine man könnte schon überlegen, inwieweit man so etwas nicht doch auf einer Insel irgendwo macht oder auf einem Schiff, um auf diese Weise die Kosten in Grenzen zu halten und auch die möglichen Konfliktlinien. Es ist aber andererseits auch klar, dass sich Deutschland keine Tumulte, kein Genua und derlei mehr leisten kann und leisten will. Insofern ist das jetzt eine Sache, bei der von beiden Seiten Fingerspitzengefühl abverlangt ist. Man wird sehen, ob das klappt.

    Remme: Sie haben eine Insel vorgeschlagen oder ein Schiff. Könnte es nicht auch einfach so sein, dass sich diese Art von Gipfeltreffen schlicht überlebt hat?

    Münkler: Das glaube ich nicht. Unmittelbar kommt dabei natürlich nichts Entscheidendes heraus, aber was wichtig ist, dass ein Datum da ist, durch das die Berater und die Beamten von Regierungen vorher gezwungen sind, etwas zügiger zu verhandeln, Vorlagen zu machen, also zu Klärungsprozessen beizutragen. Die Bedeutung dieser Gipfel liegt vielleicht gar nicht in dem, was sichtbar ist, sondern eigentlich eher in dem, was so nicht sichtbar bleibt. Wenn man das wegnimmt, dann hätte man eine Kooperations- und Kommunikationszone von weltpolitischer Bedeutung gestrichen, und das wäre eigentlich ein Problem.

    Remme: Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Herr Münkler, vielen Dank fürs Gespräch!

    Münkler: Bitte schön!