Samstag, 20. April 2024

Archiv

Politikwissenschaftler zur Katalonien-Krise
"Es muss ein Entspannungssignal gesetzt werden"

Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik sieht Neuwahlen als ein Szenario für den Konflikt zwischen Spanien und Katalonien. Die Einholung eines Votums der Bevölkerung könne zur Entspannung der Lage beitragen, sagte er im Dlf. Es müsse wieder Raum für Dialog und Vermittlung geschaffen werden.

Günther Maihold im Gespräch mit Sandra Schulz | 20.10.2017
    Demonstranten mit spanischen Flaggen fordern die Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung, wonach die Zentralregierung die katalanische Regionalregierung de facto entmachten kann
    Madrid wird sicherlich auf den Artikel 155 zurückgreifen und bestimmte Elemente einer Zwangsverwaltung in Katalonien einführen, sagte Günther Maihold (AFP/ Lluis Gene)
    Sandra Schulz: Offenbar will die spanische Regierung jetzt ja ernst machen in der Krise um Katalonien. Barcelona will die Unabhängigkeit und Madrid kündigt jetzt an, die Katalanen künftig stärker an die Kette zu nehmen und die Autonomie der Region einzuschränken. Der jetzt ja schon häufig erwähnte Artikel 155 der spanischen Verfassung, der erlaubt so etwas ja, und morgen will der spanische Ministerpräsident Rajoy mit seinem Kabinett beraten, was genau passieren soll. So lange warten die Separatisten nicht. Sie rufen jetzt zu einem, so heißt es, Sturm auf die Banken auf, auch dazu, massiv Geld von den größten Banken abzuheben.
    Am Telefon ist Professor Günther Maihold, stellvertretender Direktor für Internationalisierung bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Schönen guten Morgen.
    Günther Maihold: Guten Morgen.
    Schulz: Was ist Ihre Prognose? Womit rechnen Sie? Was wird Madrid da morgen beschließen?
    Maihold: Madrid wird sicherlich auf den Artikel 155 zurückgreifen und bestimmte Elemente einer Zwangsverwaltung in Katalonien einführen, die sich insbesondere auf den Polizei- und Sicherheitsapparat beziehen werden, aber natürlich auch die zum Teil jetzt schon intervenierte Finanzverwaltung im Lande. Hier kommt es insbesondere auf die Abführung von Steuern an, da die Regionalregierung hier wohl alternative Kanäle installieren will, falls es zur Aktivierung des Artikels 155 kommen sollte.
    Schulz: Das sind ja beides ganz sensible Bereiche, um die es jetzt auch in der Auseinandersetzung schon geht. Bleiben wir mal bei dem Szenario, das Burkhard Birke, unser Korrespondent eben gezeichnet hat, dass die Zentralregierung den Zugriff auf diese Mossos probiert, auf diese katalanische Polizei. Ist es vorstellbar, dass die dann mitmachen, dass die da Folge leisten?
    Maihold: Es ist davon auszugehen, dass da natürlich eine gewisse Passivität bei den Mossos sich darstellen wird. Andererseits muss man natürlich sehen, dass die nationale Polizei und die Guardia Civil ja bereits in Katalonien sind beziehungsweise verblieben sind nach ihrem Einsatz zur Verhinderung des Referendums. Das heißt, man wird sicherlich nicht auf die Zusammenarbeit setzen können, aber ich glaube nicht, dass es dann zu Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Polizeiapparaten kommen könnte.
    "Die Akzeptanz der Guardia Civil ist in Katalonien nicht besonders hoch"
    Schulz: Aber dass es unschöne Bilder geben könnte – unschöne Bilder haben wir ja auch gesehen am Rande des Referendums -, dass einfach die Guardia Civil wesentlich robuster vorgehen wird als die katalanische Polizei?
    Maihold: Das ist sicher so. Wir haben eine mobilisierte Gesellschaft, die natürlich zusätzlich durch diese Eskalation auch noch emotional angeheizt wird. Da kann es zu Auseinandersetzungen mit den Sicherheitsorganen kommen. Die Anerkennung und die Akzeptanz der Guardia Civil ist natürlich in Katalonien nicht besonders hoch.
    Schulz: Und auch die Kontrolle über die Finanzen. Darum geht es ja auch vielen Katalanen, die nach Unabhängigkeit streben, dass sie weniger Geld an den Zentralstaat abgeben sollen. Ist es im Bereich des Vorstellbaren, dass diese weitere Eskalationsstufe, auf die Madrid jetzt möglicherweise zusteuert, dass die die Wogen glättet, dass die Ruhe reinbringt in den Konflikt?
    Maihold: Das glaube ich weniger, weil natürlich die hohe Mobilisierung, die die Regionalregierung jetzt angestoßen hat und die durch diese weiteren Akte nur noch angeheizt wird, dazu führen kann, dass sich die Fronten verhärten. Es muss jetzt ein Entspannungssignal gesetzt werden. Das könnte wie gesagt die Ausrufung von Neuwahlen sein, da damit die Gewalt wieder an den Souverän zurückgegeben wird und Spanien sowie Katalonien damit ein Fenster schaffen würden, in dem die Bevölkerung sich neu artikulieren kann in einem überwachten und international garantierten Prozess.
    Schulz: Aber eine erzwungene Neuwahl, das als Zeichen der Entspannung, strapaziert das nicht unser aller Fantasie doch ein bisschen sehr?
    Maihold: Wir haben ja in anderen Fällen wie in Schottland auch gesehen, dass die Wahlen, die Frau May angesetzt hat, dazu geführt haben, dass die schottische Autonomie erst mal auf Eis gelegt wurde. Die Rückkehr zum Souverän und die Einholung eines Votums der Bevölkerung, das nicht einseitig durch einen Referendumsvorschlag geformt ist, kann durchaus zur Entspannung beitragen.
    "Europa kann hier nicht vermittelnd eingreifen"
    Schulz: Jetzt haben wir die Situation, dass der Druck auf den katalanischen Regionalpräsidenten Puigdemont kontinuierlich wächst. Der Regierungschef in Madrid, Rajoy, der sitzt im Moment am längeren Hebel. Der kann die Daumenschrauben immer enger stellen. Wie hilfreich ist es da, dass sich Europa, dass auch eine deutsche Kanzlerin Angela Merkel, da so uneingeschränkt hinter Rajoy stellt?
    Maihold: Nun, wenn man sich die Geschichte des Katalanismus anschaut, da war die Grundposition immer, Spanien ist das Problem, Europa die Lösung. Diese Hoffnung auf Europa zerschlägt sich natürlich durch diese harte Front, die seitens der Kommission und seitens der Mitgliedsstaaten gegenüber Katalonien aufgebaut wird, weil man Angst vor weiteren separatistischen Bewegungen in Europa hat.
    Auf der anderen Seite ist es klar: Europa kann hier nicht vermittelnd eingreifen. Das würde den institutionellen Rahmen sprengen. Hier ist Spanien gefordert und die Zurückhaltung, die in den Äußerungen europäischer Politiker im Prinzip vorhanden ist, ist sicherlich der richtige Weg.
    Schulz: Wir haben die Situation im Moment auch, dass Rajoy, dass die spanische Regierung ja sogar den Dialog verweigert. Wie oder in welchem Verfahren soll denn da eine gesichtswahrende Lösung entwickelt werden?
    Maihold: Hier ist der entscheidende Punkt, dass die katalanische wie auch die spanische Regierung sich auf Rechtspositionen zurückziehen und den politischen Prozess nicht betreiben. Die Frage wird sein, wie lange die Koalitionen halten, sei es der spanischen Sozialisten in ihrer Solidarität mit der konservativen Regierung in Madrid, sei es hinsichtlich der unterschiedlichen Strömungen innerhalb der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Dafür muss Platz gemacht werden, um die Pluralität der Positionen wieder ans Licht zu bekommen, um dadurch Platz auch für Vermittlung und Dialog zu schaffen.
    Schulz: Das habe ich, ehrlich gesagt, nicht verstanden. Was für ein Forum soll das sein, in dem die Liberalität der Positionen oder Pluralität, wie Sie es gerade sagen, zur Geltung kommen?
    Maihold: Wir haben die parlamentarische Ebene, die bisher quasi ausgeschaltet ist. Es ist eine Konfrontation zwischen zwei Regierungen. Die parlamentarischen Kräfte werden konsultativ einbezogen, aber haben keinen politischen Gestaltungsraum. So haben die spanischen Sozialisten ja beispielsweise das Argument von Neuwahlen eingebracht, oder die Option eines Artikel 155 light. Da werden sehr differenzierte Positionen sichtbar, die nicht die harten Linien, die bisher von den Regierungen vorgetragen wurde, so unmittelbar unterstützen. Da gilt es, etwas mehr Luft hinein zu bekommen und diesen Akteuren mehr Spielraum zu geben.
    "Entweder maximale Autonomie oder minimale Souveränität"
    Schulz: Das Szenario, das Sie sehen, das wären Neuwahlen. Und das wäre dann auch Ihre Einschätzung, verstehe ich Sie da richtig, dass ein Carles Puigdemont so geschwächt ist, dass der auch gar nicht als neue Spitzenfigur aus so einer Wahl hervorgehen würde? Oder würden die Katalanen nicht vielleicht gerade das Gegenteil machen und sagen, jetzt erst recht, das ist der Mann, der jetzt endlich diese Diskussionen mal angestoßen hat, und die wollen wir jetzt auch mal führen?
    Maihold: Der Katalanismus hat sich immer zwischen zwei Positionen artikuliert. Entweder maximale Autonomie oder minimale Souveränität. Und die Frage ist, wo die Bevölkerung im gegenwärtigen Zeitpunkt steht in dieser aufgeputschten Situation. Das stimmt sicherlich. Aber ich glaube, es gibt viele Stimmen, die sich für maximale Autonomie und nicht für minimale Souveränität entscheiden würden, und diese Abstimmung, diese Präferenzen müssen wir bei der Bevölkerung abfragen, um einen weiteren Weg klar zeichnen zu können.
    Aufruf zum Sturm auf die Banken "dürfte ein Schuss in den Ofen werden"
    Schulz: Jetzt haben wir diese neue Entwicklung, dass Unabhängigkeitsbewegungen zu einem Sturm auf die Banken aufrufen, so heißt es, die dazu raten, massiv Geld abzuheben von den großen Banken. Welche Art von Eskalation zeichnet sich da ab?
    Maihold: Das dürfte ein Schuss in den Ofen werden, weil natürlich die Bevölkerung massiv verunsichert ist über die wirtschaftlichen Folgen der jetzigen Hängepartie. Insofern gehe ich davon aus, dass die Bevölkerung hier ganz klar für ihre wirtschaftlichen Interessen stimmen wird und sich jetzt nicht an einer Chaos-Dimension beteiligen wird, die ihre eigenen Lebensbedingungen nur massiv beeinträchtigen wird.
    Schulz: Professor Günther Maihold, stellvertretender Direktor für Internationalisierung bei der Stiftung Wissenschaft und Politik und heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Danke Ihnen für das Interview.
    Maihold: Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.