Donnerstag, 28. März 2024

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Krise in Spanien
"Eine Revolution, wie wir sie in Europa selten gesehen haben"

Der Romanist Axel Schönberger erwartet, dass Katalonien sich auf lange Sicht von Spanien abspalten wird. Der spanische Staat werde gar keine Möglichkeit mehr haben, Katalonien wirksam unter seine Kontrolle zu bringen, sagte er im Dlf. Er appellierte an die EU, einen katalanischen Staat aufzunehmen.

Axel Schönberger im Gespräch mit Daniel Heinrich | 19.10.2017
    Zwei junge Frauen, in die spanische Nationalflagge (r) sowie die katalanische Flagge "Estelada" gehüllt, halten sich am in Barcelona an der Hand.
    Die katalanische Regierung hat das Ultimatum der spanischen Regierung verstreichen lassen. Wie geht es nun weiter in Katalonien? (dpa-Bildfunk / AP / Emilio Morenatti)
    Daniel Heinrich: Am Telefon ist Axel Schönberger, Professor für romanische Philologie mit Schwerpunkt Katalonien an der Uni Bremen. Guten Abend, Herr Schönberger!
    Axel Schönberger: Guten Abend.
    Heinrich: Die katalanische Regierung hat das Ultimatum der spanischen Regierung verstreichen lassen. Wie viel banaler Machtwille von Carles Puigdemont steckt denn hinter dieser Unabhängigkeitsbewegung?
    Schönberger: Das ist eine Frage, die insinuiert, dass Carles Puigdemont eine treibende Kraft dieser Unabhängigkeitsbewegung sei. Das ist eine Bewegung, die von Millionen von Menschen in Katalonien getragen wird, eine katalanische Revolution, und die gewählte katalanische Regierung ist bemüht, das umzusetzen, was eine Mehrheit des katalanischen Volkes wünscht und im Übrigen auch am ersten Oktober in einem Referendum eindeutig zum Ausdruck gebracht hat.
    Heinrich: Dann helfen Sie mir zu verstehen, Herr Schönberger. Den Widerstand im ganzen Land, den gibt es ja nicht nur von der spanischen Regierung; die Sozialdemokraten und die Liberalen stimmen da auch zu. Auch hunderttausende Demonstranten auch in Barcelona selbst haben dagegen demonstriert. Wer ist denn nun in der Mehrheit?
    Schönberger: Spanien ist ein Vielvölkerstaat. Die Katalanen sind eines der Völker, die im spanischen Staat derzeit noch zuhause sind. Und sie dürfen natürlich, wenn es um Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien geht, nur die katalanische Nation als solche sehen und nicht andere spanische Völker oder die Restbevölkerung des Gesamtstaates. Was wir im deutschen Fernsehen nicht gesehen haben, waren etwa die vielfältigen Hitler-Grüße, die am 8. Oktober in Barcelona von den Demonstranten, die für die Einheit Spaniens demonstrierten, gemacht wurden, die mit Bussen und Bahnen aus ganz Spanien nach Barcelona gefahren sind, um dort gegen eine Abspaltung zu demonstrieren, die aber zum großen Teil nicht aus Katalonien selbst gekommen sind.
    "Hitler-Grüße waren von den Befürwortern der Gegner des Referendums"
    Heinrich: Was haben jetzt Hitler-Grüße mit einem Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien zu tun?
    Schönberger: Die Hitler-Grüße waren von den Befürwortern der Gegner des Referendums, die aus ganz Katalonien gekommen sind, weil unter den Befürwortern einer Einheit Spaniens noch sehr viele Leute sind, die das Spanien zur Zeit Francos hochhalten, und da gibt es sehr viele Leute, auch junge Leute, die mit Hitler-Gruß grüßen, und das konnte man dann am 8. Oktober in Barcelona ja sehen, als diejenigen, die gegen Puigdemont demonstrierten und gegen die Katalanen, sich mit Hitler-Gruß begrüßt haben. Diese Bilder sind aber im deutschen Fernsehen nicht gekommen.
    Heinrich: Aber Sie wollen nicht, um mal Ihr Wort zu benutzen, insinuieren, dass die spanische Regierung Hitler unterstützt?
    Schönberger: Nein, das will ich nicht insinuieren. Aber die spanische Regierung verfolgt einen Kurs, der sehr wohl in einer Tradition steht, die in Spanien schon zur Zeit des Francismus gegenüber Katalonien gefahren wurde.
    Heinrich: Wenn wir schon bei Geschichte sind, dann lassen Sie uns mal zurückblicken. 1714 – vor über 200 Jahren war Katalonien zum letzten Mal unabhängig. Warum muss das ausgerechnet jetzt wieder sein?
    Schönberger: Das ist an sich nicht etwas, was aus Katalonien selbst ausgeht. Die Katalanen haben über viele Jahre eigentlich eher versucht, sich eine Autonomie innerhalb von Spanien auszuhandeln und ihre historischen Begebenheiten, Brauchtum, Sitten, ihre Sprache innerhalb von Spanien erhalten zu können. Aber die derzeitige spanische Minderheitsregierung beziehungsweise damals war sie noch nicht in Regierung, die Partei Partido Popular, Volkspartei, hat seit Jahren alles daran gesetzt, den Konflikt zu eskalieren, und hat durch ihr Verhalten diese Unabhängigkeit in Katalonien überhaupt so groß gemacht. Es gab ein zweites Autonomiestatut. Das ist im Jahr 2006 ausgehandelt worden, ist vom spanischen König, vom spanischen Parlament, vom katalanischen Parlament unterschrieben worden. Und mit diesem Autonomiestatut wären die Katalanen vermutlich zufrieden gewesen, würden in Spanien bleiben und es gäbe keine Frage einer Abspaltung. Die Volkspartei hat das spanische Verfassungsgericht angerufen, das beschlussunfähig war, weil drei der Richter verstorben waren, einer über der Altersgrenze war, und trotzdem hat dieses nach seinen eigenen Statuten nicht beschlussfähige Verfassungsgericht damals beschlossen, dass dieses Statut für Katalonien in Teilen verfassungswidrig sei, und es wurde außer Kraft gesetzt. Damit ging die Unabhängigkeitsbewegung in einer Massierung, wie es das bisher so nicht gegeben hatte, los. Mittlerweile haben Millionen von Katalanen ihre spanische Staatsbürgerschaft aufgegeben und der spanische Staat wird gar keine Möglichkeit mehr haben, Katalonien wirksam unter seine Kontrolle zu bringen. Was dort im Moment passiert, ist eine Revolution, wie wir sie in Europa bisher selten gesehen haben und zum Glück eine friedliche Revolution.
    "Jede Nation hat die Möglichkeit auf Selbstbestimmung"
    Heinrich: Aber, Herr Schönberger, Rechtsbruch bleibt Rechtsbruch.
    Schönberger: Nach dem Völkerrecht und nach dem Naturrecht hat jede Nation die Möglichkeit auf Selbstbestimmung.
    Heinrich: Also ist die spanische Verfassung nichts wert?
    Schönberger: Wenn Sie Rechtsbruch sagen, dann hätte zum Beispiel 1918 keine deutsche Demokratie ausgerufen werden können, denn das war ein Rechtsbruch. Wollen Sie es den katalanischen Demokraten und Republikanern verwehren, dass sie sich von einer Monarchie lösen, aus der sie anders gar nicht ausscheiden könnten, weil damals nach dem Ende der Franco-Zeit auf Wunsch von Franco ein spanischer König eingesetzt wurde auf eine Art und Weise, die es so gut wie unmöglich macht, die Monarchie in Spanien abzuschaffen? Die Katalanen wollen sich nicht mehr von einer Monarchie von Francos Gnaden regieren lassen.
    Demonstranten mit spanischen Flaggen fordern die Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung, wonach die Zentralregierung die katalanische Regionalregierung de facto entmachten kann
    Demonstranten mit spanischen Flaggen fordern die Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung, wonach die Zentralregierung die katalanische Regionalregierung entmachten kann (AFP/ Lluis Gene)
    Heinrich: Nun sind wir ja nicht im Jahr 1918, sondern im Jahr 2017, und wir sind nicht in Deutschland, sondern in Spanien. Spanische Verfassung, Artikel 155 – sagen Sie, das ist alles nichts wert?
    Schönberger: Dieser Artikel 155 ist innerhalb des Europarechts nicht durchsetzbar, denn eine Durchsetzung würde bedeuten, dass Spanien mit brutaler Militärgewalt Katalonien militärisch besetzen und die Katalanen gewaltsam unterdrücken müsste. Sie können ein Volk von Millionen von Menschen, das dem spanischen Staat in einem solchen Fall friedlich und zivil Widerstand leisten wird – und das werden Sie ab morgen acht Uhr sehen, wenn die nächsten Widerstandsaktionen morgen um acht Uhr in Katalonien beginnen werden -, können Sie weder mit Waffen, noch mit Polizeigewalt zwingen, einem Staat anzugehören, dem diese Menschen millionenfach nicht mehr angehören wollen. Es gab und gibt das Dialogangebot der katalanischen Regierung. Das war ein offenes Dialogangebot. Die spanische Minderheitsregierung, die etwa 21 Prozent der spanischen Wählerinnen und Wähler vertritt, hat dieses Dialogangebot abgelehnt und von Anfang an auf eine gewaltsame Eskalation gesetzt. Eine solche gewaltsame Eskalation würde zu massiven Verstößen gegen Artikel zwei Titel eins des Europavertrags, des Vertrags der Europäischen Union führen und würde die Europäische Union voraussichtlich zum ersten Mal in ihrer Geschichte dazu zwingen, die Mitgliedschaft Spaniens zu suspendieren, nach Artikel sieben des europäischen Vertrages, und das würde für Spanien eine gewaltige wirtschaftliche Krise heraufbeschwören.
    Heinrich: Sie geben mir das Stichwort an die Hand, Herr Schönberger: die Wirtschaft. Nichts hassen Unternehmen mehr als unsichere Rechtslagen. Über 700 Firmen haben ihren Sitz schon ausgelagert. Sinkende Touristenzahlen. Wenn wir an die Arbeitsplätze, die daran hängen, denken, wenn wir an die Menschen denken, ist das nicht alles hochgradig unverantwortlich, was da in Katalonien passiert?
    Schönberger: Unverantwortlich würde ja unterstellen, dass der demokratische Mehrheitswille von Millionen von Menschen in Katalonien verantwortlicherweise nicht ausgeführt werden dürfte.
    Heinrich: Aber die Menschen müssen ja irgendwo arbeiten können.
    Schönberger: Augenblick! Das würde ja, wenn man Ihre Frage ernst nimmt, insinuieren, dass wir das demokratische Prinzip beerdigen müssten. Wenn ein Volk, eine Nation in einer überwältigenden Mehrheit mit Millionen von Menschen sagt, wir wollen eine Republik, wir wollen nicht mehr der spanischen Monarchie angehören, dann wird weder Europa, noch Spanien, noch sonst jemand in der Welt die Katalanen langfristig davon abhalten können. Katalonien wird entweder, falls die Europäische Union sich sperrt, eine zweite Schweiz Europas werden, mit niedrigen Steuersätzen, und wird für Unternehmen geradezu ein Paradies sein. Oder, wenn Europa klug ist und den neuen katalanischen Staat als Mitgliedsstaat so schnell wie möglich aufnimmt, wird es einer der prosperierendsten europäischen Staaten sein.
    Heinrich: Herr Schönberger, da muss ich jetzt eingrätschen. Das wird ja nicht passieren, weil alleine eine Stimme, die von der spanischen Regierung reichen würde, um das nicht zustande kommen zu lassen.
    Schönberger: Dann warten Sie mal ab.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.