Freitag, 29. März 2024

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Politisch korrekte Sprache
"Die Eliten betreiben eine Sprachwaschmaschine"

Geflüchtete statt Flüchtlinge: Sprache wird immer wieder angepasst, um Menschen nicht zu verletzen oder herabzusetzen. Der Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant nennt das "Sprachreinigung". Dahinter stecke meist ein politisches Motiv, sagte er im DLF. Ihm gehen solche "semantischen Zwänge" oft zu weit.

Jürgen Trabant im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 20.03.2017
    Die Begriffe Asylberechtigte, Migranten, Flüchtlinge, Vertriebene, Asylbewerber stehen auf einer Tafel.
    Für den Begriff "Flüchtlinge" gibt es auch alternative Begriffe. (Deutschlandradio / Stefan Fries)
    Doris Schäfer-Noske: Whitewashing – das ist ein Wort, das erst kürzlich wieder in Zusammenhang mit einem Buchcover aufgetaucht ist. Eine schwarze Schriftstellerin hat einen Roman über eine schwarze Frau geschrieben. Und der Verlag schickte ihr zunächst einen Cover-Vorschlag zu, auf dem eine weiße Frau zu sehen war. Auch Hollywood muss sich immer wieder den Vorwurf des Whitewashings gefallen lassen - etwa wenn Tilda Swinton im Superheldenfilm "Doctor Strange" eine Figur aus Tibet spielt. Mit einer anderen Art des Waschens beschäftigt sich der Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant in einem Aufsatz, den er jetzt in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift für Ideengeschichte veröffentlicht hat. Und zwar schreibt er dort über Sprachwaschmaschinen. Frage an ihn: Herr Trabant, was verstehen Sie denn unter einer Sprachwaschmaschine?
    Jürgen Trabant: Die Sprachwaschmaschine ist ein gesellschaftliches Spiel, wenn Sie so wollen, in dem Sprache, die nicht gefällig ist, korrigiert wird: erst kritisiert wird, dann korrigiert wird. Gefällig heißt in diesem Fall tatsächlich philosophisch und wissenschaftlich nicht gefällig. Was ich da zeige in dem Aufsatz ist, dass aus der Philosophie heraus ein Bedürfnis nach reiner Sprache bestand, und zwar in dem Moment, in dem die Gelehrten, die europäischen Philosophen entdecken, dass die Volkssprachen und die verschiedenen Sprachen der Welt verschiedenes Denken enthalten. Die Entdeckung der verschiedenen Semantiken der Sprachen, das war eigentlich der Ausgangspunkt. Und dann haben die Philosophen gesagt: Um Gottes willen, das Volk denkt ja was ganz Schreckliches, etwas, was nicht der Wissenschaft entspricht, und das müssen wir auf jeden Fall ausmerzen. Der erste, der das richtig leidenschaftlich gedacht hat, war der englische Philosoph Francis Bacon.
    "Die Sprachwaschmaschine wird von den Eliten betrieben"
    Schäfer-Noske: Nun gibt es aber auch politische Motive, warum man Sprache reinigen kann. Hat denn Donald Trump eine Sprachwaschmaschine?
    Trabant: Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil: Donald Trump ist sozusagen die Maschine gegen die Sprachreinigung. Trump und die ganze populistische Bewegung ist ja eine Bewegung gegen diejenigen, die die Sprachwaschmaschine betreiben. Um das noch mal ganz deutlich zu sagen: Die Sprachwaschmaschine wird von den Eliten betrieben, wird von den Wissenschaftlern betrieben, wird von Leuten betrieben, die die Wahrheit haben. Und der politische Moment, an dem die Wahrheit und die Wissenschaft und die Philosophie an die Macht gekommen sind in Europa, ist die Französische Revolution. Da war endlich die Philosophie an der Macht und die Philosophen, die die französischen Revolutionäre waren, haben dann darauf bestanden, dass die Völker oder das französische Volk dann auch richtig spricht, und hat dann versucht, tatsächlich die Sprache zu reinigen.
    Ich weiß nicht, ob Sie den französischen revolutionären Kalender kennen. Der Kalender begann mit dem ersten Tag der Republik und dann wurden die sieben Tage abgeschafft, weil sieben ist unordentlich, es muss eine Zehnerstaffelung sein. Erster Tag, zweiter Tag, dritter Tag und so weiter, und der zehnte Tag war der Sonntag. Und auch die Monate wurden nicht mehr wie bei uns Februarius, Januarius, Julius und so was vielleicht nach Göttern und Kaisern genannt, Augustus, sondern es wurden Monatsnamen eingeführt, die der Realität entsprachen: der Heißmonat, der Keimmonat, der Kaltmonat, der Nebelmonat und so. Das ist eine typische Sprachreinigungsaktivität, dass man etwas richtig macht, richtig stellt, die Semantik richtig stellt.
    Flüchtling: "Das Wort wird geächtet"
    Schäfer-Noske: Lassen Sie uns noch mal bei den sieben Tagen der Woche bleiben. Das ist ja doch etwas, was sich auch gegen die Bibel richtet und damit ja im Grunde genommen auch wieder eine politische Geschichte, die möglicherweise da drinsteckt.
    Trabant: Absolut! Die französischen Republikaner in der heißen Phase der französischen Republik waren ja ausgesprochen antichristlich eingestellt und haben natürlich den christlichen Kalender abschaffen wollen.
    Schäfer-Noske: Dann lassen Sie uns noch mal auf die Gegenwart kommen. Sind es denn auch Sprachwaschmaschinen, die aus Flüchtlingen geflüchtete Personen machen, oder die aus Negern Schwarze gemacht haben, dann Farbige, Menschen afrikanischen Ursprungs?
    Trabant: Ja, ganz bestimmt ist das so. Man hat gespürt, bleiben wir mal bei den Schwarzen, Farbigen und so weiter, dass der Ausdruck Negro schändlich ist oder schlecht konnotiert ist, und dann hat man andere Wörter dafür gesucht, bessere, die die entsprechenden Personen nicht verletzen. Bei den Geflüchteten und den Flüchtlingen ist es ein bisschen anders. Auch hier hat eine Gruppe von Rechthabenden beschlossen, dass das Wort Flüchtling einen negativen Beigeschmack hätte, was es, glaube ich, im normalen Deutschen nicht hat. Damit wird dann dieses Wort gleichsam geächtet und es wird allen wohlmeinenden Menschen, die die Wahrheit möchten und die gut sein wollen, nahegelegt, dass sie doch Geflüchtete sagen und nicht mehr Flüchtlinge.
    "Wir können aus den Sprachen heraus"
    Schäfer-Noske: Da geht auch Ihnen dann die Political Correctness etwas zu weit. – Ist denn da nicht auch die Grenze nahe, wo Sprachwäsche irgendwann zur Gehirnwäsche wird?
    Trabant: Ja, das ist ja die Idee dahinter. Dass die Sprachwäsche Gehirnwäsche wird, ist ja von Orwell im Roman "1984" ganz deutlich beschrieben worden. Aber das ist ganz deutlich die Absicht, das war auch die Absicht der französischen Revolutionäre, dass das Denken gesäubert wird. Aber der Irrtum dabei, wenn ich das vielleicht gleich anfügen darf, ist, dass die Sprache, die das Volk spricht, ja nicht insgesamt und völlig das Denken determinieren. Wir können aus den Sprachen heraus. Mein Beispiel hier ist immer: Wir sagen immer, die Sonne geht unter. Wir wissen genau, dass nichts dergleichen geschieht, und trotzdem sagen wir das und können, obwohl wir das sagen, genau wissen, dass die Erde sich um die Sonne dreht. – Oder das andere Beispiel ist immer mein Walfisch. Wir wissen genau, dass der Wal kein Fisch ist, und dennoch können wir Walfisch sagen, und mein Plädoyer ist eigentlich, dass man dieses intolerante religiöse Verhalten gegenüber der Semantik der normalen Sprachen, dass man das sein lässt, dass man einfach auch etwas toleriert, auch wenn es nicht ganz sauber, nicht ganz ordentlich ist. Einen semantischen Zwang finde ich so furchtbar.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.