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Politische Heimat für Juden

Der jüdische Arbeitskreis in der SPD hat mehr als 100 Mitglieder und versteht sich in der Partei und darüber hinaus als Ansprechpartner für jüdische Themen in der bundesdeutschen Gesellschaft. In seiner religiösen und kulturellen Ausrichtung ist er einmalig in der Parteienlandschaft.

Von Thomas Klatt |
    "Wieso kriegen die Juden ihren eigenen Arbeitskreis? Nachher will jeder seinen eigenen Arbeitskreis kriegen! Wir freuen uns, wenn wir Menschen damit irritieren. Wieso seid ihr in der SPD? Wieso seid ihr ein jüdischer Arbeitskreis? Diese Irritation kann die Debatte befördern, wie dieses Land sich zu einem pluralen Land entwickelt."

    Alexander Hasgall gehört zum Bundesvorstand des Arbeitskreises jüdischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Gerade die SPD sei immer schon die politische Heimat für Juden in Deutschland gewesen, schwärmt der aus der Schweiz stammende Historiker.

    "Das beginnt bei Lassalle, das geht von Luxemburg, Bernstein, Jeanette Wolff vor nicht so langer Zeit. Es ist erstaunlich, wie viele jüdische Protagonisten die Sozialdemokratie kennt und wie stark Juden sich dort eingesetzt haben. Die Linke an sich war der Ort, wo die Juden sich immer sehr eingesetzt haben. Das hängt schon zusammen mit einer traditionellen Beschäftigung mit Themen der sozialen Gerechtigkeit, aber eben auch mit eigenen Erfahrungen als Minorität, eigenen Verfolgungserfahrungen. Weil wir für etwas stehen, was eine Tradition in der Sozialdemokratie hat."

    Der Arbeitskreis hat mittlerweile rund 100 Mitglieder. Sie setzen sich etwa für die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft ein, um Menschen mit Migrationshintergrund das Leben in ihrer alten wie auch ihrer neuen Heimat Deutschland besser ermöglichen zu können. Damit widersprechen sie etwa ihrem Parteigenossen und Berliner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky, der ein eindeutiges Bekenntnis allein zur deutschen Staatsbürgerschaft einfordert. Vor allem aber will der Arbeitskreis für jüdische Themen ansprechbar sein. Denn da gebe es nicht nur innerhalb der SPD viel Aufklärungsbedarf, weiß Alexander Hasgall.

    "Die Beschneidungsdebatte hat gezeigt, dass es wichtig war, dass es Menschen gab in der Partei, die Ansprechpartner waren, die erklären konnten, die auch die Position der Juden in Deutschland vertreten. Für die meisten Menschen, mit denen ich gesprochen habe, war es ein Schock, wie stark jüdische Traditionen in Frage gestellt wurden."

    Dass zum Beispiel SPD-Chef Sigmar Gabriel erst im letzten Jahr die israelische Palästinenser-Politik mit der damaligen Apartheidpolitik Südafrikas verglichen hatte, ist für Grigori Lagodinsky vom jüdischen Arbeitskreis nicht hinnehmbar. Die rassistische Abgrenzung der Weißen gegen die Schwarzen könne man nun mal nicht mit der Politik Israels gegenüber den Palästinensern gleichsetzen.

    "Was Sigmar Gabriel sagt, ist nicht die SPD. Das ist eine Aussage, die er selbst zu verantworten hat und selbst postet. Wir waren irritiert. Solche Äußerungen gibt es nicht nur bei Sigmar Gabriel in Deutschland. Das ist bei dieser Nahost-Problematik oftmals eine leicht verkürzte Sicht der Dinge."

    Doch statt unter Protest aus der Partei auszutreten, wollen die Juden lieber nachhaltig innerhalb der SPD wirken. Die Zugehörigkeit zur Partei eint alle Mitglieder des Arbeitskreises. Wie sie es aber mit der Religion halten, bleibt jedem selbst überlassen. Der Jurist Grigori Lagodinsky ist etwa als zweiter Vorsitzender in seiner Kasseler Gemeinde aktiv. Als tief religiös würde er sich dennoch nicht bezeichnen.

    "Jüdisch sein bedeutet für mich nicht die Frage, ob ich Schweinefleisch esse oder am Samstag arbeiten kann oder nicht, sondern eben auch den geschichtlichen, den sozialen Hintergrund zu kennen. Zu wissen, woher ich komme, was an Werten wichtig ist, die über das Technische einer Religion hinausgehen. Ich bin natürlich auch Synagogen-Gänger, wo man sich einmal in der Woche heimisch fühlen kann. Aber das ist eine Sache, die jeder für sich selbst entscheiden kann."

    Noch vor Jahrzehnten galt es zumindest in Westdeutschland bei vielen Menschen als schick, Klezmer-Musik zu hören, israelische Volkstänze einzuüben oder gefilte Fisch zu essen. Nun aber scheint, Grass-Gedicht hin, Augstein-Debatte her, die Israel-Kritik immer lauter zu werden. Für den jüdischen Sozialdemokraten Grigori Lagodinsky ist dies aber Teil eines normalen demokratischen Prozesses.

    "Hatten die jüdischen Bürger dieses Landes was davon, dass Klezmer und koscheres Essen irgendwie in waren? Ich würde nicht behaupten, dass es die jüdischen Bürger jetzt schwerer hätten als vorher. Ja, natürlich muss man sich als Jude manche Fragen stellen lassen, die man sich vorher nicht getraut hätte. Aber ich bin immer ein Verfechter davon, Tabus abzubauen und lieber Fragen zu stellen, um zu wissen, wo die Probleme in dem vermeintlichen Dialog liegen, wo die Baustellen sind, an denen man arbeiten sollte. Aber wir werden hier als vollwertige Bürger bleiben."