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Politische Ikone

Die Popularität Francois Mitterands ist auch zehn Jahre nach seinem Tod noch ungebrochen – das bewies jetzt auch die jüngste Umfrage, die den ehemaligen Staatschef zum "besten Präsidenten der V. Republik" erklärte. Möglicherweise hat diese Ehrung aber nicht nur mit dem Ansehen Mitterands zu tun – sondern auch mit dem Popularitätsverlust der politischen Klasse in Frankreich und mit den innenpolitischen Krisensymptomen. Aus Paris berichtet Christoph Heinemann.

    Francois Mitterrand vor General de Gaulle zu platzieren, das halte er nicht für gerechtfertigt, kommentiert der Rundfunkjournalist Alain Duhamel eine Umfrage, in der die Franzosen den Sozialisten gerade zum besten Präsidenten der Jahre der Fünften Republik erklärten.

    "De Gaulle hat als einziger Frankreich zweimal wiederaufgebaut. Er hat Frankreich zweimal in besserem Zustand hinterlassen, als er es vorgefunden hatte. Ich bin nicht sicher, dass Francois Mitterrand dies von sich behaupten könnte"."

    Dennoch: auch zehn Jahre nach seinem Tod fasziniert Mitterrand seine Landsleute. Der Mann, der sowohl dem Vichy-Regime diente, als auch der Resistance angehörte, der gegen die Unabhängigkeit Algeriens Stellung bezog und den Schulterschluss mit den Kommunisten herbeiführte; schließlich derjenige, der die Linke zur Macht führte. Am 10. Mai 1981, dem Tag der Präsidentschaftswahl, befand sich Francois Mitterrand in der burgundischen Ortschaft Chateau Chinon, der er 22 Jahre lang als Bürgermeister vorstand. Jean-Francois Menuel, dessen Familie das Hotel "Vieux Morvan" gehört, in dem Mitterrand wohnte, erinnert sich:

    ""Es war unglaublich. Alles war schwarz vor Menschen. Sie strömten aus einem Umkreis von 300 Kilometern hierher. Ich hatte keinen Champagner ins Kühlfach gelegt. Denn bei der Wahl 1974 hatte er ja knapp gegen Giscard d`Estaing verloren. Gegen halb sieben kam seine Wahlkampfsekretärin zu mir und sagte: 'Jeannot, alles ist gut!'"

    "Wir haben sofort den Champagner gekühlt, damit wir in um acht Uhr trinken konnten. Wir haben den nur noch so verteilt. Die Leute haben geweint"."

    "Der 10. Mai 1981: Das war ein verrückter Abend", sagt auch René-Pierre Signé, Mitterrands Nachfolger im Rathaus von Chateau-Chinon.

    ""Freude, Ausgelassenheit, Wahnsinn. Und Mitterand: keine Regung."

    ""Ich habe nie einen so selbst beherrschten Menschen wie Francois Mitterrand kennen gelernt. Er zeigte kaum Gefühle. Man musste ihn schon gut kennen, um mitzubekommen, wenn er glücklich oder froh war. In ganz Frankreich konnte man diejenigen, die ihn duzen durften, an zwei Händen abzählen"."

    Kurz nach Mitterrands Einzug in den Elysée diagnostizierten Ärzte Krebs. Sein Leiden verschwieg der Präsident seinen Landsleuten ebenso wie sein Doppelleben. Die Veröffentlichung von Informationen über seine nichteheliche Tochter Mazarine versucht Mitterrand mit illegalen Abhöraktionen zu verhindern. Seine Europapolitik, die Abschaffung der Todesstrafe, die Einführung einer zusätzlichen Urlaubswoche und eine neue Kulturpolitik, führen einstige Weggefährten an, wenn sie an die Leistungen des Präsidenten erinnern. Für den Journalisten Alain Duhamel war der Mann im Elysée vor allem ein republikanischer König:

    ""Das Monarchische war bei ihm schon ausgeprägt, bevor er Präsident wurde. Schon Anfang der 60er Jahre hatte er jemanden, der ihm seinen Hut und seine Aktentasche abnahm. Mitterrand trug keine Uhr. Er legte Wert darauf, zu spät zu kommen. Wenn er ausnahmsweise einmal pünktlich eintraf, lief er noch dreimal um den Häuserblock, um sicher zu sein, daß man ihn auch wirklich erwartete"."

    Seine politischen Gegner werfen Mitterrand bis heute vor, er habe durch die Einführung des Verhältniswahlrechtes 1986 dem rechtspopulären Front National zum Durchbruch verholfen. Der Historiker Max Gallo meint:

    ""Die Kunst von Francois Mitterrand bestand darin, daß er während seiner ganzen politischen Karriere weder mit der extremen Rechten noch mit der Linken gebrochen hat. Als Staatspräsident empfing er René Bousquet zum Mittagessen, den ehemaligen Generalsekretär der Polizei des Vichy-Regimes. Man kann dies als Skandal empfinden, aber er wollte alle Leidenschaften der Franzosen zu Ausdruck kommen lassen. In gewisser Weise ist es genau das, was heute im politischen Spektrum fehlt. Dort sieht man nur, so wie de Gaulle es einst ausgedrückt hat, kleine Leute, die auf kleiner Flamme ihr dünnes Süppchen kochen"."