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Politische Medaillen in Pyeongchang
"Die Sportler müssen sich ihre Olympischen Spiele zurückholen"

Die Olympischen Spiele in Pyeongchang werden von der Annäherung zwischen Nord- und Südkorea sowie dem Skandal um das russische Staatsdoping geprägt. Dagmar Freitag, die Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses, sowie Athletensprecherin Silke Kassner forderten im Deutschlandfunk, dass der Sport bei den Spielen wieder in den Mittelpunkt rücken solle.

Moderation: Matthias Friebe, Sportredaktion DLF | 14.02.2018
    Arnd Peiffer mit Goldmedaille. Man sieht nur den Brustkorb und die Medaille.
    Die Medaillen bei den Olympischen Spielen von Pyeongchang haben auch eine politische Dimension. (imago sportfotodienst)
    Studiogäste:
    • Dagmar Freitag, SPD-Politikerin und Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag
    • Frank Hollmann, ARD-Korrespondent in Pyeongchang
    • Silke Kassner, stellvertretende Vorsitzende der Athletenkommission im Deutschen Olympischen Sportbund

    Zur Kritik am teilweise mangelnden Enthusiasmus der südkoreanischen Zuschauer unter anderem durch den Olympiasieger in der alpinen Kombination, Marcel Hirscher, meinte der aus Südkorea zugeschaltete ARD-Reporter Frank Hollmann, dass das Zuschauerinteresse tatsächlich sehr geteilt sei. Beim Eisschnelllauf beispielsweise sei die Halle voll, beim "Shorttrack sowieso", aber draußen sei es eisig kalt und die Wettbewerbe fänden teilweise erst um Mitternacht statt. Da dürfe man sich nicht wundern, dass "kaum noch Koreaner da sind". Sportpolitikerin Freitag sagte: "Nicht umsonst sagen viele, es ist das Größte im eigenen Land eine Spitzensportveranstaltung zu haben. Man sieht aber, dass die Belange der Sportler nicht unbedingt im Zentrum des Interesses des Internationalen Olympischen Komitees stehen."
    Cheerleader aus Nordkorea jubeln auf der Tribüne bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang / Südkorea.
    Cheerleader aus Nordkorea jubeln auf der Tribüne bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang / Südkorea. (dpa-Bildfunk / Christophe Bott / Keystone)
    Die Annäherung zwischen Nord- und Südkorea anlässlich der Olympischen Spiele wurde laut Frank Hollmann "heftig diskutiert". Auch jetzt noch werde in den Zeitungskommentaren weniger über Sport als über den "Süd-Nord-Konflikt" geredet. Dass ein Mitglied der Kim-Familie auf dem Landweg angereist sei und erstmals ein Schiff aus Nordkorea in einen südkoreanischen Hafen eingefahren sei, seien "einschneidende Maßnahmen, die hier in den Medien das Geschehen überlagern".
    Freitag: Machthaber missbrauchen die Bühne seit Langem
    Sportpolitikerin Freitag sagte, "die Bühne taugt". Man wisse aus vorhergehenden Veranstaltungen, dass es Machthaber gibt, die diese Bühne missbrauchen. Auch die Spiele in Sotschi vor vier Jahren seien auf ersten Blick ein "wunderbares Spektakel" gewesen. Politisch seien aber wenige Tage später mit der Krim-Annexion Realitäten geschaffen worden: "Die entscheidende Frage ist, was ist, wenn der Tross aus Korea wieder abgezogen worden ist."
    Was die Sportler betrifft, sagte Athletensprecherin Silke Kassner, sei es bewundernswert, wie diese die teilweise dominierenden Nebenschauplätze wie Koreakonflikt und russisches Doping ausblenden könnten. Dabei nannte sie das Beispiel des Olympiasiegers im Biathlon-Sprint, Arnd Peiffer: "Man kann gut verstehen, wieso ein Sportler auf die Piste oder an den Schießstand geht. Er will in erster Linie sich selbst übertreffen."
    Athletensprecherin Silke Kassner (l.) mit Moderator Matthias Friebe bei der Aufzeichnung der Sendung "Zur Diskussion".
    Silke Kassner (l.) mit Moderator Matthias Friebe bei der Aufzeichnung der Sendung "Zur Diskussion". (Deutschlandradio - Victoria Reith)
    Es liege mit an den Athletinnen und Athleten, aufzuzeigen, wie sie sich Sportveranstaltungen in der Zukunft vorstellen. Dabei könne es auch um Alternativen zu den Olympischen Spielen gehen. Es gebe auch Sportarten außerhalb des Olympischen Programms, die erfolgreich seien wie Darts. Dort könne man sich Inspiration holen.
    Sportpolitikerin Freitag sagte: "Die Athletinnen und Athleten müssen sich ihre Olympischen Spiele zurückholen." Der Kern der olympischen Idee - die Interessen von Athleten - sei in den Hintergrund zurückgetreten. Und das werde auch von der Bevölkerung erkannt: Nicht grundlos würden sich Menschen in München oder Hamburg davon abwenden, sich für Olympische Spiele zu bewerben. Sie würden kritisch auf das Produkt schauen. Der Gigantismus, die Vermarktungsmaschinerie, Korruption und Doping würden sie abstoßen. Der Wert der Olympischen Spiele dürfe nicht verloren gehen. Das sei ihre Sorge, wenn demnächst in Staaten wie Katar Sportgroßveranstaltungen ausgetragen würden. Silke Kassner kündigte einen größeren Einsatz der Athleten an: "Ganz im Sinne von 'Höher, Schneller, Weiter' werden wir uns den Sport zurückholen."
    Skandale überlagern den Sport
    Athletensprecherin Kassner räumte ein: "Das Thema Sport ist so gebeutelt durch Korruption, Manipulation und den Dopingskandal in Sotschi. Aber wir müssen hinter den Olympischen Spielen den gesamten Sport sehen und die Breite, die dahinter steht." Jeder Athlet entwickle eine Liebe zu seiner Disziplin, die ungewöhnlich sei. Dies treibe jeden Sportler weiter voran.
    Die Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages, Dagmar Freitag (SPD).
    Die Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages, Dagmar Freitag (SPD), fordert von den Athleten, sich ihre Spiele zurückzuholen. (dpa)
    Was den Medaillen- und Leistungsdruck betreffe, sagte die SPD-Politikerin Freitag, dass es unterschiedliche Möglichkeiten gebe, Erfolge zu definieren - zum Beispiel die Zahl der Medaillen in Bezug zur Gesamtbevölkerung zu setzen und dabei nicht nach Gold, Silber und Bronze zu unterscheiden. Athletensprecherin Kassner forderte, alte Rekorde zu streichen. Die Zahlen in den Ergebnislisten seien "möglicherweise hochgradig manipuliert". Daher müsse man Athleten nicht immer am Weltrekord messen.
    Einigkeit beim Thema Russland
    Was den Umgang mit Russland betrifft, waren sich die Gesprächspartner in ihrer Skepsis einig, die russischen Athleten - wenn auch unter neutraler Flagge - bei den Olympischen Spielen antreten zu lassen. Die Möglichkeit, dass das Russische Olympische Komitee schon vor der Schlussfeier durch das IOC rehabilitiert werden könnte, sahen die Diskutanten skeptisch. "Natürlich ist das zu früh. Welche Kriterien werden da angelegt?", fragte Dagmar Freitag. Sie beklage schon sehr lange, dass der Sport "nicht alleine in der Lage ist und auch nicht willens ist, das Problem in den Griff zu bekommen."