Mittwoch, 15. Mai 2024

Archiv


Politischer Erntedank?

Gerhard Lödige, Bio-Bauer im ostwestfälischen Großenmarpe bei Detmold gehört zu den Pionieren des Öko-Landbaus in Deutschland. Er stellte seinen Betrieb bereits Mitte der 70er Jahre auf ökologische Wirtschaftsweise um, ohne dass er dafür eine staatliche Prämie oder andere öffentliche Unterstützung bekommen hätte. Der Pionier finanzierte seine Umstellung auf Öko-Landbau allein aus den höheren Verkaufserlösen in seinem Hofladen.

Von Michael Schlag | 12.10.2003
    Ja, wir sind mit Getreide angefangen - wir wollten gar kein Gemüse bauen - und dann kamen die Leute: "Wir wollen Kartoffeln haben, wir wollen Gemüse haben", und so sind wir dann langsam angefangen und es ist immer mehr geworden. Und dann wollten sie Naturkost haben, Milchprodukte haben, so haben wir unseren Laden, unser Programm immer weiter erweitert. Die 70, 80er Jahre, auch Anfang der 90er lief es sehr gut, aber es ist natürlich auch so, je mehr Betriebe dazu kommen, um so mehr muss sich der Brei geteilt werden.

    "Die 80er Jahre waren die besten", sagt Lödige rückblickend. Es gab nur wenige, überwiegend lokale Anbieter, die die Nachfrage kaum decken konnten. Abseits des konventionellen Lebensmittelmarktes bildete sich ein eigener Markt für Bioprodukte, mit eigenen, direkten Vertriebswegen und höheren Preisen. Mitte der 80er Jahre noch war jeder neue Bio-Bauer willkommen im Club. Wolfgang Busch, ein anderer Bio-Pionier aus Brandoberndorf im hessischen Taunus.

    Damals waren wir schon alle darauf aus, dass immer mehr umstellen. Aber dadurch, dass es seinerzeit keinerlei Förderung gab, war es ein Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage. Im Gegenteil, das Angebot war eher knapp. Als Beispiel war die Getreideernte im nächsten Jahr April/Mai immer ausverkauft. Bio-Weizen kostete damals zwischen 80 und 90 Mark und wenn man einen direkten Draht zum Bäcker hatte, ging das auch weit über die 100 Mark.

    Von 50 Euro für einen Doppelzentner Weizen, also 50 Cent pro Kilogramm, kann ein Bio-Bauer heute nur träumen. Mit der Hälfte muss er schon zufrieden sein, selbst die Pioniere kämpfen ums Überleben. Der Hofladen von Lödige macht heute 1000 Euro weniger Umsatz pro Woche als in guten Zeiten, die Schweine im Strohstall haben ihr Schlachtgewicht überschritten, zu den benötigten Preisen sind sie kaum mehr abzusetzen. Der Laden öffnet täglich wie immer, doch die Kunden bleiben aus. Warum auch sollte man weiter wie früher zum Bauern fahren, wenn mittlerweile in fast jedem Supermarkt Bio-Produkte mit Qualitätssiegel angeboten werden - und zu deutlich niedrigeren Preisen? Wolfgang Busch, der im Taunus Hühner, Schweine und Rinder im Freiland hält, will noch nicht von einer Existenzkrise sprechen - aber es werde immer schwieriger, als Bio-Bauer zu überleben.

    Der Agrarbericht der Bundesregierung bestätigt die miserable Einkommensentwicklung. Gilt für den Durchschnitt der gesamten Landwirtschaft die Faustregel: 50 Prozent des Gewinns liefert die Produktion, die andere Hälfte stammt aus öffentlicher Unterstützung, sieht es bei den Bio-Betrieben schlechter aus: Laut Agrarbericht macht der durchschnittliche Bio-Betrieb mit dem Verkauf seiner Produkte, trotz Öko-Zuschlag, überhaupt keinen Gewinn mehr. Professor Alfons Janinhoff vom Fachbereich "Ökonomik der landwirtschaftlichen Produktion" an der Fachhochschule Bingen hat die Zahlen analysiert.

    Das heißt, auch der höhere Preis, den er für seine Ware erreicht, bringt in vielen Betrieben gerade die Kostendeckung, aber keine Arbeitsentlohnung und keine Kapitalentlohnung. Die kommt voll aus finanziellem Ausgleich durch den Staat. Wichtig ist auch, dass bis vor drei Jahren im Agrarbericht die Öko-Betriebe einen höheren Gewinn hatten als die konventionelle Vergleichsgruppe. Seit drei Jahren gehen die Gewinne des ökologischen Landbaus unter die des konventionellen Landbaus. Im letzten Jahr waren es schon 10.000 Euro weniger, die die ökologischen Betriebe weniger verdient haben gegenüber der konventionellen Vergleichsgruppe.

    So hängt der ökologische Landbau, das Leitbild der Agrarwende, heute am Tropf des Staates, finanziert durch drastisch höhere Subventionen als sie die übrige Landwirtschaft erhält, so die Berechnungen von Professor Janinhoff. Er addiert zu den Öko-Hektarprämien alle weiteren Sonderzahlungen wie Kontrollkostenzuschüsse und Förderung von Vermarktung und Öko-Investitionen. Im Jahr 2001 erhielt der durchschnittliche Biobetrieb demnach 35.000 Euro staatliche Zuwendung, davon 15.000 Euro als Sonderzuschuss für Bio-Produktion.

    Janinhoff bezieht diese Subventionen aber nicht - wie meist üblich - auf die bewirtschaftete Fläche, sondern auf die erzeugten Produkte und kommt angesichts der geringeren Erträge pro Öko-Hektar zu dem Ergebnis: der Staatsanteil in jedem Öko-Produkt ist heute doppelt so hoch wie im konventionellen Lebensmittel.

    Was ist geschehen in den vergangenen drei Jahren, in denen das Einkommen der Biobauern so drastisch sank – in jenen drei Jahren, seitdem die deutsche Agrarwende ausgerufen wurde? Wie wurde aus einem florierenden Nischenmarkt, der ohne Sondersubventionen auskam, ein Not leidender Massenmarkt - in dem Bio-Bauern ihre Molkereien bestreiken, um höhere Preise durchzusetzen?

    Professor Ulrich Hamm lehrt Agrar- und Lebensmittelmarketing an der Universität Kassel. Er zeigt Besuchern gerne eine Unterlage aus seinen Vorlesungen: die Nachfragekurve für Lebensmittel in der Theorie: Eine fast senkrecht stehende, nur leicht geneigte Gerade. Konkret heißt das: Mangel führt rasch zu explodierenden Preisen, Überschüsse dagegen zum Zusammenbruch.

    Viel mehr als das war auch 2001, im Jahr der Agrarwende, nicht über den Ökomarkt bekannt. Sicher war nur, wie viele Ökobauern es gibt und wie viel Fläche sie bewirtschaften. Das neue Leitbild "Öko" wurde sozusagen in’s Blaue verkündet - ohne genaue Kenntnis von Produktion und Absatz, von Warenströmen, von Import und Export. Professor Ulrich Hamm:

    Die Datenlage war äußerst unbefriedigend, sie ist heute auch noch weitgehend schlecht. Das heißt wir können nicht genau sagen, wie hoch zum Beispiel die Produktion an Öko-Getreide im vergangenen Jahr gewesen ist oder wie hoch die Milchproduktion ganz konkret gewesen ist im Öko-Bereich. Wir haben ungefähre Angaben in Deutschland, wir haben eine gute Datenlage eigentlich nur in Dänemark. Und in dem Augenblick, wo die Datenlage relativ schlecht ist, ist es natürlich gefährlich, politisch einzugreifen in den Markt und hier einseitig das Angebot zu fördern oder auch einseitig die Nachfrage zu fördern.

    Der Sündenfall begann aber nicht erst 2001, so Professor Hamm, sondern schon 1988: Die Europäische Union hatte den Öko-Landbau als Mittel entdeckt, Überschüsse zu senken und belohnte ihn dafür mit einer Extensivierungs-Prämie. Die Folgen: die Öko-Flächen wuchsen auf das zehnfache, die Preise brachen ein. Die Öko-Produzenten erschlossen zwar neue Absatzwege, die Produkte fanden den Weg in die Supermärkte, allerdings zu erheblich niedrigeren Preisen. Der Absatz der Ökoprodukte stieg, blieb bis Ende der 90er Jahre aber noch unter zwei Prozent des Gesamtmarktes.

    Als das politische Ziel "20 Prozent Öko-Anteil" ausgegeben wurde, waren die Informationen über die Nachfrage - von der ja abhängt, ob die Agrarwende sich über den Markt finanzieren kann – ebenso lückenhaft wie über das Angebot. Die Zeitung der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft "Bauernstimme" warnte schon im Februar 2001 eindringlich, die Neue Agrarpolitik solle den "Biomarkt nicht kaputtfördern".

    Erkenntnisse über das Marktpotential stammten vor allem aus Umfragen, die auf der Höhe des BSE-Skandals eine enorme Bereitschaft feststellten, Bio-Lebensmittel zu kaufen und dafür mehr zu bezahlen. Doch Umfragen zum ökologischen Einkaufsverhalten neigen dazu, stets das politisch korrekte Ergebnis zu liefern. Markus Rippin von der Zentralen Markt- und Preisberichtsstelle der Landwirtschaft, ZMP, in Bonn:

    Es ist sozial erwünscht, dass man naturbelassene, mit möglichst wenig chemischen Substanzen versehene Lebensmittel kauft. Und da der Verbraucher, wenn er befragt wird zu diesem Thema, eine positive Einstellung zum Kauf von Öko-Produkten zum Ausdruck bringt, aber letztlich dann beim tatsächlichen Kaufakt doch aufgrund des höheren Preises sich für die günstigere konventionelle Ware entscheidet. Sogar bis zu 70 Prozent sagten, sie würden Öko-Eier kaufen. Dieser Wert liegt natürlich jenseits von gut und böse, da wir einen deutlich niedrigeren Absatz-Anteil von Öko-Eiern feststellen müssen.

    Zwei Drittel sagen, sie kaufen die teureren Öko-Eier, nur 3 Prozent tun es wirklich. Das stellt die Annahme, die Verbraucher würden die Agrarwende durch höhere Preise an der Ladentheke finanzieren, in Frage. Zwar werden Öko-Waren heute überall angeboten – doch die Preisdifferenz zu konventionellen Produkten schwindet. 20 Prozent Aufschlag für Bio-Lebensmittel sei das Höchste, was durchsetzbar sei, wenn man mehr als nur eine Minderheit der Verbraucher erreichen wolle, sagt Markus Rippin.

    Doch selbst wenn sich der Aufschlag erzielen lässt – er gilt nur für die Produkte, die auch tatsächlich als Öko-Lebensmittel den Markt erreichen. Ein beachtlicher Teil, bei Milch etwa ein Drittel, geht aber mangels Nachfrage zum konventionellen Preis in die ganz normale Molkerei. Für Schweine und Rinder gilt ähnliches. Damit deckt das Öko-Plus im Handel die Zusatzkosten der Produktion bei weitem nicht ab.

    Bleibt die Agrarwende mit ihrem ökologischen Leitbild also ein politisches Unternehmen auf Kosten des Steuerzahlers, ohne Aussicht auf eigenes Bestehen am Markt? "Einspruch", sagt Thomas Dosch vom Bundesverband ökologische Lebensmittelwirtschaft BÖL in Berlin.

    Kein Landwirt möchte von Subventionen leben und sich dies auch noch vorwerfen lassen. Heute ist es so, dass die Betriebe ohne öffentliche Zuwendungen nicht existieren können. Ich bezeichne das allerdings nicht als Subventionen und schon gar nicht bei Bio-Betrieben. Es ist die Honorierung von Leistungen für die Volkswirtschaft. die über den Verkauf der Produkte nicht erwirtschaftet wird. Wenn ein Liter Milch beim Bauer 30, 33 Cent kostet, er aber mit seiner Viehhaltung Landschaftspflege betreibt, letztendlich durch den Verzicht auf chemisch-synthetischen Dünge- und Pflanzenschutzmitteln etwas für die Umwelt tut, weniger CO2 bei der Produktion seiner Lebensmittel emittiert, dann bringt er eine Leistung, die ihm durch den Verkauf dieses Liters Milch nicht erbracht wird. Wenn aber die Gesellschaft, die Politik, diese Leistungen haben möchte, muss sie dies dem Bauern aus anderen Töpfen honorieren.

    Unbestritten ist, dass Öko-Bauern den Acker umweltschonender bearbeiten und ihre Tiere artgerechter halten. Bezweifelt aber wird, ob die derzeitige Förderung des Öko-Landbaus tatsächlich das richtige Mittel ist, um mehr Umwelt-, Natur- und Tierschutz in die ganze Landwirtschaft einzuführen. Die Statistik des Öko-Anbaus zeigt zwar seit 2001 zweistellige jährliche Zuwachsraten bei den ökologisch bewirtschafteten Flächen. Gemessen an der gesamten Agrarfläche sieht die Erfolgsbilanz aber erheblich nüchterner aus. Selbst in Boom-Jahren wuchs der Anteil der Öko-Fläche nur um ein halbes Prozent.

    Projektiert man die Zuwächse der vergangenen Jahre in die Zukunft würde es ein halbes Jahrhundert dauern, bis tatsächlich 20 Prozent der Gesamtfläche umgestellt sind, wie von der Regierung angepeilt. Werner Wahmhoff, Abteilungsleiter für Umweltforschung und Naturschutz bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt in Osnabrück, bemängelt darüber hinaus die Festlegung auf den Öko-Landbau als Patentrezept zur Lösung aller agrarischen Umweltprobleme. Er plädiert dafür, in jedem einzelnen Fall zu bestimmen, welches der beste Weg ist. Beispiel Artenschutz:

    Eine durchgreifende Wirkung ist meines Erachtens nur dadurch zu erreichen, dass man ganz gezielte Maßnahmen einsetzt. Wenn Sie zum Beispiel an das Börde-Gebiete denken, dort gibt es noch an vielen Standorten den Hamster, oder es gibt dort den roten Milan, einen Greifvogel. Hier müssten ganz gezielte Maßnahmen durch die Landwirte ergriffen werden, zum Beispiel Randstreifen. Oder dass man in bestimmten Bereichen den Reihenabstand des Weizens wieder erhöht, um diese Arten zu fördern. Und wenn man also Artenschutz in der Kulturlandschaft machen will, dann kann man das immer nur auf regionaler oder sogar nur auf lokaler Ebene. Ich kann den Hamster nur dort schützen, wo er auch natürlicherweise vorkommt und das gleiche gilt für das Rebhuhn oder auch für andere Tiere oder auch für Pflanzenarten.

    Solche Agrar-Umweltpolitik könne effizient und preiswert sein, ohne übermäßige Belastung der Produktionskosten. Doch sie verliert sich im fachlichen Dickicht von Naturschutz und Entschädigungspolitik und ist damit denkbar ungeeignet als großer politischer Wurf.

    Auch für ein weiteres Umweltproblem, die Nitratauswaschung in das Grundwasser, nennt Wahmhoff ein Lösungs-Modell, das allen Landwirten offen steht: Die Kooperation zwischen Wasserwerken und Landwirten in Wasserschutzgebieten. Die Landwirte erhalten Entschädigungen, wenn sie auf den Flächen, auf die es ankommt, gar nicht oder nur wenig düngen. Für Wahmhoff ein "funktionierender Markt ökologischer Leistungen", mit klarer Zielvorgabe - weniger Nitrat im Grundwasser – mit hoher Beteiligung und mit dem ökologischen Landbau als einer von vielen Möglichkeiten, dieses Ziel zu erreichen.

    Vielversprechender als mit staatlichen Mitteln ökologische Inseln zu schaffen, erscheint ihm deshalb, in möglichst großer Breite ökologisch relativ günstige Verfahren einzuführen, wie im Integrierten Landbau: Dort wird der chemische Pflanzenschutz nicht ausgeschlossen, der Kerngedanke lautet vielmehr: "So wenig wie möglich". Thomas Dosch vom Bundesverband ökologische Lebensmittelwirtschaft sieht darin aber Halbheiten.

    Die Frage ist, wie setze ich das in der Praxis um? Bei uns gibt es nur ein 'entweder – oder’. Und in diesem 'entweder – oder’ ist es auch möglich, eine konsequente Kontrolle durchzuführen. Die hat letztendlich auch der Gesetzgeber etabliert. Ich kann eben auf dem Acker feststellen, als Kontrolleur, ob der Düngemittel verwendet hat oder nicht, ob der einen Wachstumsregulator verwendet hat, um Unkraut abzutöten, oder nicht. Wenn er aber von allem ein bisschen verwenden darf, ist es sehr schwer, das letztendlich auch wirklich nachzuvollziehen. Von daher glaube ich, dass die effizientere Form und die umweltgerechte eben die ökologische Landwirtschaft darstellt.

    Konservative Agrarökonomen, wie der Kieler Professor Reimar von Alvensleben halten dem entgegen, dass für die erhofften Wirkungen des ökologischen Landbaus in Umwelt-, Natur- und Tierschutz bis heute keine Kosten-Nutzen-Analyse aufgestellt wurde. Aus Sicht der Umweltökonomie könne ein System aber nur dann als nachhaltig gelten, wenn es die angestrebten Umweltziele mit dem geringsten Mittelaufwand erreiche.

    Der Streit darüber, ob der Öko-Landbau überhaupt nachhaltig ist im Sinne aller drei Rio-Kriterien - ökologisch, sozial und wirtschaftlich – eskalierte zuletzt im April 2002. Damals wurde in der "nationalen Nachhaltigkeitsstrategie" der Anteil der Öko-Fläche als Gradmesser für die Nachhaltigkeit der gesamten Landwirtschaft in Deutschland herangezogen. Und das, obwohl der zuständige "Rat für nachhaltige Entwicklung" ausdrücklich geschrieben hatte - Zitat: "Der vorliegende Indikator ordnet dem ökologischen Landbau eine Exklusivität zu, die ihm nicht zukommt." Der Präsident der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft kündigte daraufhin seine Mitgliedschaft im Nachhaltigkeitsrat, der jetzt ohne Vertreter der Landwirtschaft tagt.

    Und was schließlich wurde aus den traditionellen Qualitätskriterien für Bio-Lebensmittel? Was blieb von der Idee der Ernährungs-Ökologie, die nicht nur bei der Produktion der Rohprodukte die Umwelt weniger belasten will, sondern für eine Ernährungsform eintritt, die insgesamt und auf allen Verarbeitungs- und Handelsstufen weniger Ressourcen verbraucht? Der Agrarsoziologe Rainer Oppermann ging der Frage in seiner Doktor-Arbeit nach und bezeichnet die aktuelle Entwicklung als "Ent-Ökologisierung."

    Ich bin in der Arbeit, auf die sie sich hier beziehen, erstmal von den Maßstäben ausgegangen, die die Öko-Bewegung selbst aufgestellt hat. Und das war ja nicht nur, umweltfreundlicher oder ökologischer zu produzieren, sondern da waren auch soziale Ideen im Spiel, etwa dass man regional produziert und vermarktet, dass man in kleinen Einheiten produziert, dass man vieles was sozusagen an überdrehter Verpackung von Nahrungsmitteln, die dann letztlich Energie- und Umweltprobleme mit sich bringen, dass man das zurückdreht. Und was wir heute feststellen ist, dass ein Teil dieser Ansprüche sich unter heutigen Marktbedingungen nicht realisieren lässt.

    So gut wie jedes Produkt gibt es mittlerweile auch als Bio-Variante – tiefgekühlte Pizza, Schokolade, Zigaretten. Der Transport von Obst mit dem Flugzeug – Erdbeeren zu Weihnachten, Spargel im Winter - galt einmal als der ökologische Wahnsinn schlechthin. Heute gibt es selbstverständlich zu Weihnachten auch Öko-Erdbeeren und ab Februar Öko-Spargel. Im März dieses Jahres kamen zum ersten Mal Öko-Äpfel aus Chile auf den deutschen Markt. Argentinien baut eine umfangreiche Öko-Apfelproduktion auf für die Belieferung der europäischen Öko-Märkte im Sommer.

    Über Bord ging - mit dem Bio-Siegel - auch die Idee vom geschlossenen Betriebskreislauf mit Futter nur von den Flächen, die vom eigenen Vieh gedüngt werden. Im heutigen Bio-Futter können auch brasilianische Zitruspellets, Reste der Orangensaftindustrie, stecken. Viele Produkte, die heute das Biosiegel tragen, hätten vor 15 Jahren gar nicht als Bio-Produkte vermarktet werden dürfen.

    Götz Schmidt, Autor des Buches "Agrarwende oder die Zukunft unserer Ernährung" schrieb dazu, man habe "beim Kampf um den Platz im Supermarktregal alles vergessen, was den Öko-Landbau bisher so erfolgreich machte." Der Agrarwissenschaftler aus Witzenhausen entwarf vor zweieinhalb Jahren eine Vorstellung von der Agrarwende, die möglichst viele Bauern gewinnen sollte, ohne ihnen eine Richtungsentscheidung abzuverlangen. Er sieht sich heute gründlich getäuscht.

    Es hat sich dann sehr bald herausgestellt, dass der Öko-Landbau im Zentrum der Entwicklung steht, dass die Mehrheit der Bauern sich als Giftspritzer, als Agrarfabriken verstanden sahen und dann begann eine ganz scharfe Spaltung zwischen konventioneller Landwirtschaft und Öko-Landbau, die in dieser Schärfe eigentlich unsinnig ist und gar nicht notwendig gewesen wäre. Ich glaube, es wäre auch möglich gewesen, einen viel größeren Teil von Bauern zu gewinnen für andere Wege. Während so hat man diese Polarisierung geradezu verschärft und damit viele wichtige Neuerungen verhindert.