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Politischer Extremismus und Geschichtspolitik

Rechtsextreme Gruppen in Deutschland haben ein Problem mit seriöser Geschichtswissenschaft. Ginge es nach ihrem Verständnis von Geschichte, dann war das alles ganz anders mit Hitler und dem Nationalsozialismus. Der besondere Umgang von Extremisten mit Geschichte stand im Mittelpunkt einer Tagung in Berlin.

Von Bettina Mittelstraß |
    "Einige der erfolgreichsten rechtsextremen Kampagnen der jüngeren Vergangenheit sind geschichtspolitische Kampagnen. Denken Sie an den großen Aufmarsch in Dresden vor einigen Wochen. Denken Sie an die Kampagne gegen die Wehrmachtsausstellung in den 1990er-Jahren."

    Der Potsdamer Politikwissenschaftler Gideon Botsch.

    "Brauchen Extremisten - als Personen, als Parteien, als Organisationen - mehr Geschichte als verglichen mit dem Rest der Gesellschaft? Diese Frage ist entstanden vor allem aus der Arbeit des Arbeitskreises Politik und Geschichte über viele Jahre hinweg, wo die Frage Geschichtspolitik, Erinnerungskultur immer im Mittelpunkt steht und immer darauf zielt: Umgang mit Geschichte, zu welchen Zwecken? Identität der einzelnen Personen, Organisation, Legitimierung von Politik. Und Idee der Tagung war es, einen Teil der Gesellschaft, den extremen politischen Bereich herauszusuchen und zu fragen: Was ist da besonders im Umgang mit Geschichte?"

    Harald Schmid, Politologe an der Universität zu Kiel und Sprecher des Arbeitskreises Politik und Geschichte in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft.

    Die These auf der Frühjahrstagung des Arbeitskreises, die gemeinsam mit dem Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin organisiert wurde, lautete: Ja, politisch extreme Randgruppen haben einen außergewöhnlichen Bedarf an Historie, zum Beispiel um Herrschaftsansprüche zu rechtfertigen. Demokratien haben diesen Bedarf nicht, sagt Horst-Alfred Heinrich, Professor für Empirische Sozialforschung an der Uni Passau.

    "Sie legitimieren sich anders. Sie legitimieren sich über den Volkswillen, den Willen der Bevölkerungsmehrheit, während Extremisten erstmal Demokratie ablehnen. Und daher brauchen die andere Möglichkeiten, um in irgendeiner Form ihre Herrschaft, die sie anstreben, legitimieren zu können."

    "Rechtsextreme brauchen Geschichte, und zwar Geschichte in einem bestimmten Sinn. Für Rechtsextreme, für Leute, die dem völkischen Nationalismus anhängen, stellt sich in der Geschichte eines Volkes dessen Charakter dar, sein Wesen sozusagen, sein Volksgeist. Insofern ist die rechtsextreme Ideologie elementar mit einer ganz starken Berücksichtigung vergangener, aber auch zukünftiger Geschichte verbunden. Die können gar nicht anders."

    Michael Kohlstruck vom Zentrum für Antisemitismusforschung. Die als glorreich, dramatisch oder auch tragisch dargestellte "eigene" Volksgeschichte eint nach innen und außen. Sie bietet extremistischen Gruppen den sozialen Rahmen und eine Art politische "Heimat". Dieser Zweck heiligt die Mittel. Aus ein bisschen Realgeschichte und Mythen entsteht eine historisch fiktionale Gegenerzählung zum Rest der Welt, so Gideon Botsch vom Moses-Mendelssohn-Zentrum für europäisch-jüdische Studien der Universität Potsdam.

    "Man nimmt sich das heraus, was in das Geschichtsbild passt und das auch nur selektiv war. Und dann greift man eben Dinge auf, die gerade aktuelle relevant sind oder aktuell ins Bild passen. Man reißt zum Beispiel die Konfrontation zwischen der islamischen Welt und dem – in Anführungsstrichen - 'Abendland' aus ihrem historischen Kontext. Und man beruft sich eben auf die Verteidigung des Abendlandes vor Wien in der zweiten türkischen Belagerung beispielsweise. Das ist ein solches Motiv. Aber man baut sie sozusagen nichts systematisch in eine Geschichtserzählung ein, sondern man nimmt sie sich und collagiert sie, montiert sie so, wie sie ins Bild passen."

    "Die bauen sich eine Geschichte aus vielen, vielen Fragmenten zusammen, und damit wird dann auch eine Anhängerschaft herangeholt, damit kann auch versucht werden, nachher Wahlstimmen zu gewinnen."

    Die Montage kommt, was die Deutsche Geschichte angeht, nicht an den nationalsozialistischen Verbrechen vorbei. Rechtsextreme Gruppen in Deutschland haben deshalb stets ein gespaltenes Verhältnis zu dieser Geschichte, sagt Gideon Botsch.

    "Einerseits kommt man davon nicht los: Die Beschäftigung mit dem Zweiten Weltkrieg, mit der SS, mit den Lanzern, mit der Kolonialgeschichte und anderen Aspekten der deutschen Geschichte ist ganz zentral, auch im individuellen Verlauf des Einstiegs in rechtsextreme Szenen. Andererseits ist es immer begründungsbedürftig, warum man diese Geschichte in der Öffentlichkeit heroisiert und affirmiert. Das schönste Beispiel, um das Spannungsverhältnis zu zeigen, ist eben das Bedürfnis, stolz auf die eigenen Großeltern und manchmal sogar Urgroßeltern sein zu können. Wir haben im Land Brandenburg eine der NPD nahestehende Rechtsrockband. Die nennt sich seit Opas Enkels: Wir sind Opas Enkel. Im harten offenen Neonazismus spricht man dann schon mal ganz offen davon: Opa war Sturmführer in der SS und sein Enkel wird Sturmführer in der SS - und bekennt sich zu diesen Verbrechen. Typischer ist aber, dass man diese Verbrechen als Notwehrreaktion darstellt oder rundweg leugnet oder aufrechnet mit - in Anführungsstrichen – 'den Verbrechen der anderen'."

    Die Leugnung historischer Fakten folgt einer bestimmten Technik. Eine Verschwörung stecke hinter den Lügenmärchen, so die rechtsextreme Argumentation.

    "Es gibt sozusagen ein Interessen geleitetes Vorgehen, das deutsche Volk von seiner Geschichte abzuschneiden, indem man diese Geschichte praktisch mit Lehm bewirft, indem man Dinge behauptet, die dann im Rechtsextremismus als Fälschung dargestellt werden. Ein frappierendes Beispiel ist die Debatte über die Bombenopfer in Dresden im Februar 1945, wie sie zur Zeit in der Jungen Freiheit geführt wird, wo eine ganz ähnliche Argumentation läuft. Hier wird zwar nicht der Holocaust geleugnet, hier wird nichts strafrechtlich Relevantes gesagt, aber hier wird gesagt, ganz offensiv: Das ist ein Auftrag gewesen, die Zahl runterzurechnen, immer weiter runterzurechen. Und wenn der Auftraggeber das bezahlt, dann ist ja klar, was dabei rauskommt."

    Im Kontext des Rechtsextremismus wird unter anderem mit solchen Argumenten die Strategie verfolgt, die Verurteilung des Nationalsozialismus nach 1945 zu relativieren, sagt Michael Kohlstruck.

    "Damit sagt man nun nicht direkt: Der Nationalsozialismus war eine gute Sache, sondern man verfährt indirekt und sagt: Diejenigen, die das Urteil über den Nationalsozialismus gesprochen haben und vor allem natürlich über diese Makroverbrechen, das sind Leute, die ja selbst in Kriegsverbrechen verwickelt waren. Denen steht das gar nicht zu, über uns Deutsche zu urteilen oder in ähnlicher Weise. Das sind indirekte Strategien, die sich nicht direkt als Parteigänger des Nationalsozialismus darstellen, sondern die den Umweg gehen über die Diskreditierung der Kritiker des Nationalsozialismus. Heute haben wir es sehr stark mit indirekten Strategien zu tun. Und wir müssen, wenn wir diese Strategien bei politischen Rechtsextremen beobachten, uns davor hüten, jetzt jede Erzählung und jeden Bericht, der Deutsche als Opfer darstellt, unter Rechtsextremismusverdacht zu stellen. Als rechtsextrem würde ich nur solche Erzählungen, solche Narrative bezeichnen, die tatsächlich rückgekoppelt sind an die indirekte Propagierung eines völkischen Nationalismus."