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Politischer Islam
"Alles für Allah"

Wie verändert der politische Islam unsere Gesellschaft? Das fragen zwei deutsch-österreichische Publizisten in ihrem neuen Buch „Alles für Allah“. Ein Anzeichen für diese Veränderung sei beispielweise, dass heute jeder den islamischen Fastenmonat Ramadan kenne.

Von Abdul-Ahmad Rashid | 23.07.2019
"Wir haben versucht, Fakten zusammenzutragen, die Ideologie des Islamismus mal aufzudecken, zu sagen, worum geht es diesen Organisationen überhaupt, was vertreten die genau, und wie sind sie organisiert. Welche Organisationen finden sich da zusammen, und wie gehen sie vor. Wie versuchen sie, ihre Ideologie in die Gesellschaft hineinzutragen."
Heiko Heinisch ist Historiker, beschäftigt sich seit Jahren mit dem Phänomen des politischen Islam, vor allem in Deutschland und auch in Österreich, wo der Wissenschaftler seit vielen Jahren lebt. Er sieht in diesen politischen Auslegungen des Islam eine Bedrohung.
"Die Gefahr besteht vor allen Dingen darin, dass sich innerhalb des Islam in den letzten vierzig Jahren eine fundamentalistische Lesart des Islam quasi als Mainstream durchgesetzt hat. Zunächst in den Ländern der islamischen Welt, aber von dort ausgehend natürlich auch in den Communities hier in Europa."
Religiosität dringt in den öffentlichen Raum
Was ist in den vergangenen vierzig Jahren passiert? Wie konnte es zu dieser Entwicklung kommen? Heiko Heinisch und seine Co-Autorin, die Politologin Nina Scholz, geben darauf Antworten in ihrem neuen Buch. Sie skizzieren die Entwicklung des politischen Islam vom Ende des Kalifates 1924 über den Aufstieg der ägyptischen Muslimbruderschaft zu einer islamistischen Internationalen bis hin zu dem Jahr 1979 und der Machtübernahme des schiitischen Geistlichen Ayatollah Khomeini im Iran. Diese Entwicklung sei dann auch nach Europa gelangt. Doch welche Merkmale trägt der politische Islam? Oft wird er auch als Islamismus bezeichnet. Worin unterscheidet er sich für die beiden Autoren von dem gängigen Islamverständnis?
"Der Islamismus kann als islamischer Puritanismus beschrieben werden. Für viele Muslime scheint es das klar strukturierte Korsett sozialer Normen, klarer Regeln des Erlaubten und Verbotenen zu sein, das die Attraktivität des Puritanismus ausmacht. Er ersetzt jegliche individuelle Verantwortung sowie eigenständige Auseinandersetzung mit dem Islam. Das gute und richtige Leben, das gleichzeitig das Heil im Jenseits garantiert, besteht dann einzig in der Einhaltung des Regelwerks."
Zwei iranische Frauen vor einem Wandgemälde, das den Gründer der Islamischen Republik Iran, Ayatollah Ruhollah Khomeini, zeigt
Ein Wandgemälde in Teheran, Iran, zeigt den Gründer der Islamischen Republik Iran, Ayatollah Ruhollah Khomeini (imago / Rouzbeh Fouladi)
Das Problem dabei sei jedoch, so Scholz und Heinisch, dass diese Religiosität nicht im privaten Raum gelebt werde, sondern, als göttliche Gebote präsentiert, in den öffentlichen und politischen Raum dränge. So sei der Aktionismus vieler Muslime zu verstehen, ihre Religion nach außen zu tragen:
"Wenn wir vom Ramadan reden, dann kann man sagen, vor zwanzig Jahren haben Nichtmuslime in unseren Ländern vom Ramadan quasi nichts mitbekommen. Muslimische Familien haben das zuhause für sich gefeiert, weder an Schulen war das ein Thema, noch war das irgendwo in der Öffentlichkeit ein Thema. Das war eine private Angelegenheit oder eine Angelegenheit innerhalb von einer bestimmten religiösen Community, von einer Moscheegemeinde. Ramadan ist seitdem zu einem öffentlichen Event geworden. Das steht in Zeitungen, wir reden davon, wir lesen permanent davon, das ist eben breit öffentlich geworden. Jetzt gibt es diesen Ramadan. Ramadan bedeutet, dass Muslime fasten. Es fragt niemand mehr nach, ob wirklich alle Muslime fasten im Ramadan, sondern es ist akzeptiert worden, das tun Muslime halt."
Die Minderheit bestimmt die Debatte
Vielfach wird argumentiert, es sei doch gut, wenn muslimisches Leben hierzulande öffentlich werde. So könne der Islam seine Fremdheit ablegen und Muslime heimisch werden. Heiko Heinisch lässt diesen Einwand nicht gelten.
"Es wäre kein Problem, wenn Moscheegemeinden öffentliche Iftars, also Fastenbrechfeste veranstalten würden und dazu ihre Umgebung einladen würden. Quasi so ein Tag der offenen Tür am Ramadan. Das Problem, was wir aber haben, dass es eine ganz bestimmte Richtung ist, die da öffentlich auftritt, und zwar egal ob in Deutschland oder in Österreich. Die Personen und auch die Organisationen, die hier am meisten Öffentlichkeit beanspruchen, auch bekommen, kommen alle irgendwie aus diesem Umfeld politischer Islam, und die geben ein bestimmtes Regelkonzept vor."
Für die ihrer Einschätzung nach bedrohliche Entwicklung machen Scholz und Heinisch eine Minderheit unter den Muslimen verantwortlich, die die Mehrheit in Geiselhaft nehme und den Ton in der Debatte bestimme:
"Die, die immer am lautesten von der Vielfalt des Islam reden in der Öffentlichkeit, sind im Prinzip diejenigen, die das, was Islam ist, stärker einschränken. Ob das ist Einhalten des Ramadan, das Tragen des Kopftuchs, also eine ganze Menge von angeblich islamischen Regeln, die immer stärker durchgesetzt werden, dass das der Islam ist und nur wer das wirklich einhält, ist ein guter Muslim."
Karikaturen als religiös-politisches Streitthema
Allen im Buch genannten Organisationen sei eines gemeinsam, so die Autoren: Sie strebten die Umgestaltung von Staat und Gesellschaft nach islamischen Regeln an. Daher auch der Untertitel des Buches: "Wie der politische Islam unsere Gesellschaft verändert". Doch tut er das wirklich? Welche Anzeichen gibt es dafür?
"Das Beispiel eben, dass sich kaum noch eine Zeitung traut, eine Mohammed-Karikatur abzudrucken, ist irgendwie so offenkundig, dass sich da was verändert hat, weil mir fällt ehrlich gesagt kein anderes Thema ein, bei dem Medien davor zurückschrecken würden, dem mittels Karikaturen oder kritischen Artikeln zu begegnen, außer dieses eine Thema."
In ihrem Buch gehen Scholz und Heinisch hart mit dem politischen Islam ins Gericht. Es stellt sich jedoch die Frage: Darf eine Religion nicht politisch sein? Ähnliche Tendenzen gab es zumindest auch im Christentum.
"Wir hatten das. Wir hatten in Österreich unter anderem ein politisches Christentum, also einen politischen Katholizismus. Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts, und der war hochproblematisch. Der war nämlich genauso hochproblematisch wie es der politische Islam ist. Der hat nämlich auch versucht, demokratische Entwicklungen abzuwürgen und eine Gesellschaft auf vermeintlich katholischer Grundlage zu errichten. Von daher ist immer, wenn Religion eben nicht nur Religion ist, sondern wenn sie zu einer Ideologie wird, zu einer politischen Ideologie, dann wird sie zu einem problematischen Faktor in der Gesellschaft, über den man zumindest mal reden sollte."
Sachlicher Diskurs ohne Islamhass
Den möglichen Vorwurf, sie würden mit ihrem Buch Islamhassern Argumente liefern, wollen die Autoren nicht stehen lassen:
"Wenn tatsächlich diese Gruppen das Bild des Islam in der Öffentlichkeit prägen, dann gehe ich eher davon aus, dass in Teilen der Bevölkerung so etwas wie Islamfeindlichkeit noch mehr anwachsen wird, weil diese Gruppen eben sehr offen für Segregation eintreten, und das spürt man in den Stadtvierteln, wo sie aktiv sind und wo sie maßgeblichen Einfluss auf die Communities haben."
"Alles für Allah" ist trotz des reißerisch anmutenden Titels ein sehr lesenswertes Buch, das kenntnisreich und unaufgeregt auf die Strategien und die Gefahren des politischen Islam für die westlichen Gesellschaften hinweist.
Nina Scholz, Heiko Heinisch: Alles für Allah. Wie der politische Islam unsere Gesellschaft verändert
Molden Verlag, Wien 2019, 160 Seiten, 20 Euro