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Politischer Machtkampf an türkischen Universitäten

Protestkundgebung an der Technischen Universität Istanbul: Die versammelten Professoren und Dozenten solidarisieren sich mit dem scheidenden Rektor Faruk Karadogan. Karadogan hatte zwar die Wahl an der Hochschule gewonnen und deutlich mehr Stimmen auf sich versammeln können als die fünf anderen Kandidaten. Zum neuen Rektoren ernannt hat Staatspräsident Abdullah Gül statt seiner aber den zweitplatzierten Kandidaten.

Von Susanne Güsten | 22.08.2008
    Zwar folgte Gül damit der Empfehlung der zentralen Hochschulbehörde, doch Karadogan wittert Unrat:

    " Viele Leute sehen diese Entscheidung als politische Intervention in die Hochschule. Ich sehe das auch so. "

    Weil Karadogan als Rektor energisch gegen den Versuch der Regierung aufgetreten war, das Kopftuchverbot für Studentinnen aufzuheben, sei er nun vom Staatspräsidenten abgestraft worden, glauben Kritiker. Ähnlichen Streit gibt es an etlichen weiteren der 21 Universitäten, die gerade turnusgemäß einen neuen Rektor bekommen haben. An neun dieser Hochschulen wurde nicht der Kandidat ernannt, der die meisten Stimmen bekommen hatte, sondern der zweit- oder drittplatzierte. Staatspräsident Gül wolle die Rektorenämter mit Anhängern seiner Kopftuchpolitik bestücken und die Universitäten islamisieren, werfen Kritiker ihm vor. Güls kemalistischer Amtsvorgänger Sezer habe nichts anderes gemacht, schießen seine Unterstützer zurück, etwa der Abgeordnete Öztayli von der Regierungspartei AKP:

    " Früher wurden reihenweise Wahlsieger nicht ernannt, da wurden dauernd die Zweit- und Drittplatzierten ernannt, und das fanden alle in Ordnung. Dieselben Leute, die damals nichts dagegen hatten, die sagen jetzt, das sei nicht demokratisch? Das Recht gilt für alle, gestern wie heute. "

    Tatsächlich ernannte Sezer in seiner Amtszeit als Präsident stets nur strikte Kopftuchgegner zu Rektoren - selbst wenn sie bei der Hochschulwahl glatt durchgefallen waren. Der Machtkampf zwischen Kemalisten und gemäßigten Islamisten wird dadurch schon seit Jahren über die Hochschulen ausgetragen. Das Problem ist die Machtbefugnis des Staatspräsidenten bei der Auswahl der Hochschulrektoren, sagt Professor Burhan Senatalar vom Verein der Hochschullehrer:

    " Diese Politisierung der Rektorenwahl dürfte eigentlich nicht sein. Aber weil unser Hochschulsystem aus politischen Gründen so strukturiert ist, weil es ein überzentralisiertes System ist, deshalb haben wir diese Probleme. "

    Von Hochschulautonomie kann im türkischen System ohnehin keine Rede sein. Das Hochschulwesen ist zentralistisch, hierarchisch und autoritär strukturiert, jeder Rektor hat an seiner Hochschule die absolute Macht - Hochschulräte oder Kuratorien gibt es nicht. Entsprechend wuchert der Missbrauch, wie auch die Kontroversen um die jüngsten Ernennungen zeigen. So grassiert an den Hochschulen die Ämterpatronage - einer der jetzt abgelehnten Wahlsieger hatte an seiner Uni exakt so viele Stimmen bekommen wie er in seiner Amtszeit neue Posten besetzt hatte. Gegen einen anderen Rektor, den seine Professoren wiederwählen wollten, wird wegen Veruntreuung staatlicher Gelder ermittelt. Und bei zwei Professorinnen, die trotz großer Stimmenmehrheit an der Hochschule nicht zur Rektorin ernannt wurden, handelte es sich um die Ehefrauen der amtierenden Rektoren. Eine Erblast des Militärputsches von 1980 ist dieses marode System, wie Professor Senatalar erläutert:

    " Das erklärt sich aus der Entwicklungsgeschichte der zentralen Hochschulbehörde, die 1981 nach dem Putsch gegründet wurde, und zwar aus politischen Motiven: Die Machthaber wollten die Hochschulen in den Griff bekommen. Die Wahlen wurden damals völlig abgeschafft, alle Rektoren wurden einfach vom Staatspräsidenten ernannt. Mit der Zeit wuchsen aber der Widerstand der Akademiker und die Forderung nach Wahlen an den Hochschulen. 1992 wurde als Kompromiss das jetzige System eingeführt, man traf sich damit in der Mitte - aber wie das mit Mittelwegen so ist, sie führen oft zu einem noch schlechteren Ergebnis. "